Die Selbstbestellung des Vorstands der Aktiengesellschaft zum Geschäftsführer der 100%-igen Tochter-GmbH – Gestattung des Selbstkontrahierens mit und ohne Satzungsgrundlage

Anlässlich des 65. Geburtstags von Prof. Dr. Heribert Heckschen ist eine wunderbare Festschrift entstanden. Um den darin enthaltenen Beiträgen mehr Aufmerksamkeit zu verleihen, veröffentlichen wir an dieser Stelle eine Zusammenfassung einzelner Beiträge und empfehlen deren Lektüre. Prof. Dr. Heribert Heckschen dankt allen herzlich, die an der Festschrift mitgewirkt haben.

 

Zusammenfassung des Beitrags von Manfred Born in:
Festschrift für Heribert Heckschen zum 65. Geburtstag, 2024, S. 173
 

I. Ausgangslage

Nach § 181 BGB ist ein Vertreter grundsätzlich daran gehindert, im Namen des Vertretenen mit sich selbst (Selbstkontrahierung) oder als Vertreter eines Dritten (Mehrfachvertretung) Rechtsgeschäfte vorzunehmen. Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn das Rechtsgeschäft der Erfüllung einer Verbindlichkeit dient. Diese Regelung betrifft nur gesetzliche und gewillkürte Stellvertreter und nicht den Vorstand einer Aktiengesellschaft, da dieser als Organ der Gesellschaft handelt. Da die Vorschrift aber einen allgemeinen Rechtsgedanken enthält, ist nach dem II. Zivilsenat des BGH und der Mehrheit der Literatur die Vertretungsmacht des Vorstandsmitglieds einer AG ebenfalls nach § 181 BGB beschränkt, wenn es um seine Bestellung zum Geschäftsführer einer 100%-igen Tochter-GmbH geht. Wird ein Vorstandsmitglied im Namen der Muttergesellschaft als Alleingesellschafterin der Tochter-GmbH zum Geschäftsführer bestellt und nimmt es die Bestellung im eigenen Namen an, handelt es sich um ein einheitliches Rechtsgeschäft, das von § 181 BGB betroffen ist. Die Stimmabgabe des Vorstandsmitglieds bei der Beschlussfassung zur eigenen Bestellung ist dabei schwebend unwirksam, solange sie nicht durch die Alleingesellschafterin genehmigt wird (§ 177 Abs. 1 BGB). Diese Genehmigung kann rückwirkend die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts herstellen (§ 184 Abs. 1 BGB). Zuständig für die Genehmigung nach § 177 Abs. 1 BGB ist jedes vertretungsberechtigte Organ, das nicht selbst von § 181 BGB betroffen ist. Dies ist in der Regel nicht das betroffene Vorstandsmitglied, sondern andere vertretungsberechtigte Personen. Bei einem Mangel an vertretungsberechtigten Vorstandsmitgliedern werden verschiedene Lösungen diskutiert: entweder die Genehmigung durch den Aufsichtsrat oder die Bestellung eines stellvertretenden Vorstandsmitglieds nach § 105 Abs. 2 AktG. Jedoch bestehen hier Konflikte mit anderen gesetzlichen Regelungen, wie etwa der Kompetenzzuweisung nach § 78 Abs. 1 S. 1 AktG, die besagt, dass der Vorstand grundsätzlich die Vertretung der Gesellschaft übernimmt. Darüber hinaus genügt die vorübergehende Verhinderung eines Vorstandsmitglieds nach herrschender Auffassung nicht, um eine Ausnahmeregelung zu rechtfertigen.

II. Vorbeugende Gestaltung

Es empfiehlt sich daher, dass die Aktiengesellschaft im Rahmen ihres Selbstorganisationsrechts die Möglichkeit schafft, den Vorstand von den Einschränkungen des § 181 BGB zu befreien, um ihm ein eigenständiges Handeln zu ermöglichen. Offen bleiben jedoch die Fragen, wie die Befreiung einzelner oder sämtlicher Vorstandsmitglieder vom Selbstkontrahierungsverbot gestaltet werden kann, um die Selbstbestellung zum Geschäftsführer in der 100%-igen Tochter-GmbH zu begründen und welche Schritte dabei erforderlich sind, um diese Befreiung rechtlich umzusetzen.

1. Keine Sperre der Gestattung durch § 112 S. 1 AktG

Grundsätzlich ist die Gestattung, Vorstandsmitglieder einer AG von den Beschränkungen des § 181 BGB zu befreien, nach bisher überwiegender Auffassung nicht zulässig, da die gesetzliche Vertretungsbefugnis der Vorstandsmitglieder nach § 78 AktG bereits durch § 112 S. 1 AktG eingeschränkt wird. Ob und in welchem Umfang eine Befreiung möglich ist, hängt daher davon ab, wie weit der Anwendungsbereich von § 112 S. 1 AktG interpretiert wird. Nach dieser Vorschrift vertritt der Aufsichtsrat die AG gegenüber Vorstandsmitgliedern in gerichtlichen und außergerichtlichen Angelegenheiten, was einen Schutzmechanismus zur Abwehr von Interessenkonflikten bieten soll. Die Selbstbestellung eines Vorstandsmitglieds zum Geschäftsführer einer GmbH, bei der die AG die Alleingesellschafterin ist, fällt jedoch nicht in den Schutzbereich des § 112 S. 1 AktG, da die Stimmabgabe im Rahmen der Bestellung als Willenserklärung der AG in ihrer Eigenschaft als Alleingesellschafterin gilt, die gegenüber der GmbH abgegeben wird. Diese Erklärung richtet sich nicht direkt an das Vorstandsmitglied. Die Bestellungserklärung der GmbH betrifft vielmehr ein Rechtsgeschäft, das nicht der AG, sondern der GmbH zugerechnet wird. Es handelt sich dabei um eine Handlung der Gesellschafterversammlung nach § 164 Abs. 1 S. 1 BGB, welche unmittelbar für und gegen die GmbH wirkt. Wenn daher § 181 BGB im Fall der Selbstbestellung in der 100%-igen Tochter-GmbH durch § 112 S. 1 AktG nicht gesperrt wird, entfällt die Rechtfertigung für ein Verbot der Gestattung.

2. Gestattung mit und ohne Satzung

Die nächste Frage, die beantwortet werden muss, lautet: Auf welcher Grundlage und von wem kann die Gestattung erteilt werden?

a) Generelle Gestattung nur in der Satzung

Als eine Möglichkeit wurde im Rahmen des Gesetzgebungsverfahren des MoMiG diskutiert, die Berechtigung des Vorstands zur Einzelvertretung sowie die Befreiung von § 181 BGB als gesetzliche Regelfälle mit in das Gesellschaftsrecht aufzunehmen. Dies wurde jedoch nicht umgesetzt, da in der Praxis in der weit überwiegenden Zahl der Fälle den Vorständen gerade nicht die Befugnis zur Einzelvertretung eingeräumt wird und eine solche Satzungsgestaltung eher unüblich ist. Als gesetzliche Lösung kommt daher lediglich § 78 Abs. 3 S. 1 AktG in Betracht, wonach in der Satzung festgelegt werden kann, ob und unter welchen Bedingungen Vorstandsmitglieder abweichend von den allgemeinen Regelungen zur Vertretung der Gesellschaft befugt sind. Die Gestattung kann dabei auch durch Beschlüsse des Aufsichtsrats erfolgen, sofern dies in der Satzung ausdrücklich vorgesehen ist. Das Verbot des Selbstkontrahierens ist zentral, um Interessenkonflikte und eine potenzielle Schädigung der Gesellschaft zu verhindern, wie beispielsweise bei der vorliegenden Entscheidung im Hinblick auf eine 100%-ige Tochtergesellschaft. Um rechtlich wirksam zu sein, muss die Gestattung des Selbstkontrahierens im Handelsregister eingetragen werden, § 181 Abs. 3 AktG. Die Eintragung beschreibt dabei die Einschränkungen sowie die Bedingungen der erweiterten Vertretungsbefugnis.

b) Gestattung im Einzelfall ohne Satzungsregelung

Fraglich ist darüber hinaus, ob einem Vorstandsmitglied einer AG im Einzelfall auch die Selbstbestellung zum Geschäftsführer einer 100%-igen Tochter-GmbH gestattet werden kann, ohne dass eine entsprechende Regelung in der Satzung vorliegt. Die Hauptversammlung ist anders als bei der generellen Gestattung durch Satzungsbestimmung für diese Einzelfallentscheidung nicht zuständig. Der Aufsichtsrat kann eine Einzelfallentscheidung ohne Satzungsregelung ebenfalls nicht treffen. Weder § 112 AktG noch das GmbH-Recht rechtfertigen eine solche Ermächtigung, sodass eine ad-hoc-Befreiung vom Verbot des Selbstkontrahierens ohne Satzungsregelung nicht möglich ist. Lediglich der Vorstand selbst ist für die Gestattung im Einzelfall zuständig, allerdings nur unter Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften, § 78 Abs. 1 S. 1 AktG. Vorstandsmitglieder, die nicht direkt betroffen sind, können eine solche Entscheidung treffen, da die Gestattung des Selbstkontrahierens ein Rechtsgeschäft darstellt und den Regeln des § 181 BGB unterliegt. Ein Stellvertreter kann deshalb das Selbstkontrahieren auch nicht im Namen des Vertretenen erlauben. Die hier dargestellten Aspekte bieten jedoch lediglich einen Überblick über die verschiedenen rechtlichen Ansichten, welche zu der vorliegenden Thematik vertreten werden. 

Für eine vertiefte Analyse der Problematik verweisen wir auf den vollständigen Beitrag von Manfred Born in der Festschrift Heckschen, 2024, S. 173.

 

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