Die Digitalisierung im Gesellschaftsrecht schreitet unaufhörlich voran. Am 5. Juli 2021 wurde im Bundesgesetzblatt das Gesetz zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie (DiRUG) veröffentlicht, durch welches die sogenannte Digitalisierungsrichtlinie umgesetzt wird (→ vgl. hierzu die Fachbeiträge vom 16.04.2021 und vom 20.09.2021; siehe auch Heckschen/Knaier, NZG 2021, 1093 ff.). Hintergrund dieser im Wesentlichen zum 1. August 2022 in Kraft tretenden Regelungen ist ein angestrebter Gewinn an Kostenersparnis und Zeiteffizienz. Das Herzstück der neuen Regelungen im DiRUG ist die Online-Gründung der GmbH. Auch für weitere Registeranmeldungen sind Online-Verfahren vorgesehen. Dabei müssen stets hohe Anforderungen gewahrt werden, um die Gleichwertigkeit mit dem Präsenzformat zu gewährleisten. Auf diese Weise stellt das DiRUG einen Meilenstein im deutschen Unternehmensrecht dar.
Die im DiRUG enthaltenen Digitalisierungsfortschritte und Innovationen gehen der neuen Bundesregierung jedoch nicht weit genug. Diese hat sich in ihrem Koalitionsvertrag darauf geeinigt, die Digitalisierung im Gesellschaftsrecht weiter zu fördern. Namentlich soll die Beurkundung per Videokommunikation auch bei Gründungen mit Sacheinlage und weiteren Beschlüssen erlaubt werden. Die Möglichkeit, Registeranmeldungen im Online-Verfahren durchzuführen, soll auf Personengesellschaften und Genossenschaften erweitert werden. Hierzu wurde nun am 22. März 2022 ein Referentenentwurf durch das Bundesjustizministerium veröffentlicht, durch den das DiRUG weiter ausgebaut werden soll. Darüber hinaus sind auch erstmals Regelungen zur virtuellen Gesellschafterversammlung in der GmbH enthalten. Die vorgeschlagenen Neuregelungen sollen im Nachfolgenden vorgestellt und bewertet werden.
1. Ausweitung der Online-Beurkundung
Kernstück des Entwurfs ist der vorgeschlagene weitere Ausbau der Online-Beurkundung, insbesondere für die Online-Gründung der GmbH. Wichtig ist, dass auch hier die hohen Anforderungen des DiRUG (vgl. § 78p BNotO), die eine Gleichwertigkeit zu einem Präsenzverfahren sicherstellen sollen, eingehalten werden müssen.
a) Online-Gründung der GmbH
Durch das DiRUG wird erstmals die Möglichkeit einer Online-Gründung (ausschließlich) der GmbH eingeführt. Diese erfährt allerdings eine Einschränkung: Sie ist sachlich auf Bargründungen beschränkt und lässt damit Sachgründungen außen vor. Diese Beschränkung ist in der Literatur teilweise auf Kritik gestoßen. An dieser Stelle soll nun zu Recht legislativ nachgebessert werden. Zukünftig soll der Anwendungsbereich der Online-Beurkundung auch auf die Sachgründung der GmbH erweitert werden. Es ist allerdings zu beachten, dass Sachgründungen in der Praxis schon bislang nur einen geringen Teil der Gründungsvorgänge ausmachen und seit einer Entscheidung des BFH im Jahr 2010 in der Praxis die Bargründung mit sog. Sachagio bzw. Barkapitalerhöhung mit Sachagio nunmehr an Bedeutung gewonnen hat. Eine Ausnahme ist jedoch für Sachgründungen unter Einbringung von Gegenständen vorgesehen, deren Übertragung ihrerseits beurkundungspflichtig ist, da das Online-Verfahren für diese Beurkundungsgegenstände nicht zugelassen ist. Dies ist insbesondere für Sachgründungen unter Einbringung von Grundstücken oder GmbH-Anteilen der Fall.
b) Weitere Erleichterungen im notariellen Verfahren im Hinblick auf die GmbH
Auch darüber hinaus sieht der Referentenentwurf zum Ausbau des DiRUG wesentliche Erleichterungen vor. Bislang können nach dem DiRUG nur im Rahmen der GmbH-Gründung gefasste Beschlüsse der Gesellschafter mittels Videokommunikation beurkundet werden. Diese Beschränkung soll nach dem Willen des Referentenentwurfs entfallen. Nun soll der Anwendungsbereich des notariellen Verfahrens über GmbH-Sachgründungen hinaus auch auf die Online-Beurkundung, auf einstimmig gefasste satzungsändernde Beschlüsse sowie auf Gründungsvollmachten ausgeweitet werden.
aa) Einstimmig gefasste Beschlüsse
Zukünftig sollen auch einstimmig bei der Gründung gefasste Beschlüsse der Gesellschafter online beurkundet werden können. Dies erscheint aus praktischen Gesichtspunkten richtig und praxisrelevant, da Einstimmigkeit bei der Gründung der Regelfall sein wird. Eine wesentliche Einschränkung besteht jedoch: Es können nur nicht beurkundungspflichtige Beschlüsse bei der Gründung mit beurkundet werden. Auf diese Weise werden insbesondere Umwandlungsvorgänge vom Online-Verfahren ausgenommen.
bb) Sonstige Willenserklärungen bei Gründung
Gemäß der vorgeschlagenen Neuregelung soll nicht nur der Gesellschaftsvertrag im Wege der Videokommunikation online beurkundet werden können, sondern auch sonstige Willenserklärungen, welche nicht der notariellen Form bedürfen. Der Referentenentwurf zielt hier expressis verbis auf Erfüllungsgeschäfte im Zusammenhang mit einer Sachgründung ab. Voraussetzung ist eine gem. § 2 Abs. 3 Satz 1 GmbHG-E zulässige Videobeurkundung sowie eine Aufnahme in die hierzu nach § 16b BeurkG errichtete elektronische Niederschrift.
cc) Gründungsvollmachten
Im Zusammenhang mit der Online-Beurkundung von Gründungsvollmachten erkennt der Referentenentwurf ein praktisches Bedürfnis, insbesondere für die Beurkundung/Beglaubigung sog. Vollzugsvollmachten, an (so ausdrücklich auch Heckschen/Knaier, NZG 2021, 1093, 1094). In einer Vollzugsvollmacht räumen die Gesellschafter den Mitgesellschaftern oder Mitarbeitern des die Gründung beurkundenden Notars Vollmachten ein, Erklärungen abgeben und entgegennehmen zu können, die für den Vollzug der Gründung erforderlich oder zweckmäßig sind. Dies gilt insbesondere für den Fall der Beanstandung von Regelungen des Gesellschaftsvertrages durch das Registergericht.
cc) Kapitalerhöhung
Das eben Gesagte soll auch für Erklärungen zur Übernahme von im Rahmen einer Kapitalerhöhung neu geschaffenen Geschäftsanteilen Geltung beanspruchen.
c) Erleichterungen bei Online-Anmeldungen
Nach § 12 Abs. 1 S. 2 HGB-DiRUG ist der Anwendungsbereich für öffentliche Beurkundungen mittels Videokommunikation eng begrenzt. Die Online-Beglaubigung von Handelsregisteranmeldungen ist danach nur zulässig für Einzelkaufleute, die GmbH, die AG, die KGaA sowie für Zweigniederlassungen von Kapitalgesellschaften, die dem Recht eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum unterliegen. Namentlich Personengesellschaften wurden hiervon vollkommen ausgespart. Dies erschien insbesondere für die GmbH & Co. KG unpraktisch. Dort konnte nur die Registeranmeldung für die Komplementär-GmbH, nicht aber für die KG online angemeldet werden. Durch den neuen Gesetzesentwurf sollen diese Beschränkungen nun umfassend aufgehoben werden. Nach der vorgeschlagenen neuen Rechtslage soll die öffentliche Beglaubigung mittels Videokommunikation gem. § 40a BeurkG generell und rechtsformunabhängig zulässig sein. Dies gilt selbst für Online-Beglaubigungen von nicht registrierten Gesellschaften, etwa bei der Online-Beglaubigung von Anmeldungen im Zusammenhang mit Umwandlungen. Erfasst sind auch Anmeldungen zum Vereins-, Genossenschafts- und Partnerschaftsregister.
Darüber hinaus sollen nach dem Referentenentwurf auch Gesellschafterbeschlüsse zur Änderung des Gesellschaftsvertrages (sogenannte satzungsändernde Beschlüsse) einschließlich Kapitalmaßnahmen (Erhöhung und Herabsetzung des Stammkapitals) in den Anwendungsbereich des Online-Verfahrens einbezogen werden.
2. Virtuelle Gesellschafterversammlung in der GmbH
Darüber hinaus schlägt der Entwurf Regelungen zu einem vom DiRUG unabhängigen Themenkomplex, der virtuellen Gesellschafterversammlung bei der GmbH, vor. Der Vorschlag reiht sich in die jüngsten legislativen Bestrebungen zur Verstetigung der virtuellen/hybriden Hauptversammlung bei der AG ein (→ siehe hierzu den Fachbeitrag vom 14.09.2021, Heckschen/Hilser, ZIP 2022, 461 ff. sowie Heckschen, Blog Gesellschaftsrecht). Im GmbH-Recht gilt das Leitbild einer Präsenzversammlung. Bereits nach bisheriger Rechtslage konnten die Gesellschafter aber in der Satzung die virtuelle Beschlussfassung vorsehen. Hier bestanden jedoch Unklarheiten. Umstritten ist, ob der Minderheit das Recht auf Präsenz durch eine Mehrheitsentscheidung genommen werden kann, mit anderen Worten, ob eine entsprechende Satzungsbestimmung einstimmig gefasst werden muss. Hier soll nun Klarheit durch den Gesetzgeber geschaffen werden.
In § 48 Abs. 1 GmbHG soll ein neuer Satz eingefügt werden: „Versammlungen können auch fernmündlich oder mittels Videokommunikation abgehalten werden, wenn sämtliche Gesellschafter sich damit in Textform einverstanden erklären.“ Eine solche Neuregelung wäre nachdrücklich zu begrüßen. Virtuelle Gesellschafterversammlungen bringen auf der einen Seite Zeit- und Kostenvorteile mit sich. Auf der anderer Seite weisen sie auch zahlreiche Defizite auf. Insbesondere kann sich virtuell keine dem Präsenzformat äquivalente Diskussion einstellen und das Recht auf eine nichtöffentliche Versammlung, die nicht dem Zugriff Dritter offensteht, wird nicht gewahrt (→ hierzu ausführlich Heckschen/Hilser, ZIP 2022, 461, 464). Wenn die Mehrheit allein über das Versammlungsformat entscheiden kann, besteht daher die Gefahr, bei kontroversen Entscheidungen auf das insoweit unkomplizierte bzw. angenehme Online-Verfahren auszuweichen. Deswegen ist es richtig, dass die virtuelle Beschlussfassung auf einer einstimmigen Grundlage beruhen muss.
3. Bewertung
Die vorgeschlagenen Regelungen sind im Wesentlichen zu begrüßen und ein weiterer konsequenter Schritt in puncto Digitalisierung des Gesellschaftsrechts. Sowohl die Möglichkeit der Online-Anmeldung von sämtlichen Rechtsträgern als auch die Online-Sachgründung von GmbH erscheinen sinnvoll. Stets wird auch die wichtige Rolle des Notars anerkannt und berücksichtigt. Zuletzt überzeugt auch das Erfordernis der Einstimmigkeit von virtuellen Gesellschafterversammlungen. Dies stellt sicher, dass in das Recht des einzelnen Gesellschafters auf physische Präsenz nicht durch die Mehrheit eingegriffen werden kann und erkennt implizit auch die Wesensverschiedenheit von Präsenzversammlung und virtueller Versammlung an. Die GmbH-Gesellschafter sind nun aufgerufen, sich über entsprechende Regelungen Gedanken zu machen (→ ausführlich dazu Heckschen/Strnad, GmbHR 2020, 807, 815 sowie Heckschen/Hilser, ZIP 2022, 670). Es erscheint sinnvoll, grundsätzlich am Präsenzformat festzuhalten und nur auf virtuelle Formate zu rekurrieren, wo dies entweder eine Ausnahmesituation (z.B. Pandemie) gebietet oder wo ein Beschluss mit geringer Bedeutung in Rede steht.
Autor: Prof. Dr. Heribert Heckschen, Notar, Dresden