13.05.2025
Notizen zur Rechtsprechung
Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:
BGH
18.03.2025
II ZB 7/24
BeckRS 2025, 7961
Geschäftsguthaben im Sinn von § 85 Abs. 2 UmwG ist der Nominalwert der Beteiligung des Mitglieds an der Genossenschaft, d.h. der bilanziell auszuweisende Betrag, den das Mitglied tatsächlich auf den oder die Geschäftsanteile eingezahlt hat, zu- bzw. abzüglich etwaiger Gewinn- oder Rückvergütungsgutschriften und Verlustabschreibungen. Eine wirtschaftliche Bewertung des "inneren Werts" des Geschäftsguthabens unter Einbeziehung von Rücklagen oder stillen Reserven der Genossenschaft findet nicht statt.
Der Antragsteller war mit zwei vollständig eingezahlten Geschäftsanteilen zu je 125 € Mitglied der V. Bank eG. Im Jahr 2021 wurde diese Genossenschaft gemeinsam mit einer weiteren auf die V. Bank E. eG verschmolzen. Laut Verschmelzungsvertrag wurden die bisherigen Geschäftsguthaben auf neue Anteile der aufnehmenden Genossenschaft zu je 25 € umgerechnet. Der Antragsteller erhielt zehn neue Anteile. In einem Spruchverfahren beantragte er vor dem Landgericht (LG) einen Ausgleich in Höhe von 1.063 €, da er einen Wertverlust seiner Beteiligung geltend machte. Das LG wies den Antrag als unzulässig ab, die Beschwerde blieb erfolglos. Mit zugelassener Rechtsbeschwerde verfolgte der Antragsteller sein Begehren weiter, unterstützt vom gemeinsamen Vertreter der übrigen Anteilseigner.
Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Das LG hat richtigerweise entschieden, dass das Spruchverfahren nicht statthaft ist, da das Spruchverfahrensgesetz hier weder aufgrund einer spezialgesetzlichen Verweisung noch analog anwendbar ist. Ein Ausgleichsanspruch nach § 85 Abs. 2 UmwG besteht nur dann, wenn das Geschäftsguthaben des Mitglieds in der übernehmenden Genossenschaft niedriger ist als in der übertragenden. Dies war im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben, da der Antragsteller bei der Antragsgegnerin Anteile mit dem gleichen Nominalwert von insgesamt 250 € erhielt, ohne dass Rücklagen oder stille Reserven berücksichtigt wurden. Eine analoge Anwendung des Spruchverfahrens scheidet ebenfalls aus, da keine planwidrige Regelungslücke vorliegt (vgl. BGH, Urteil vom 25. November 2002 – II ZR 133/01, BGHZ 153, 47, 58).
§ 85 Abs. 2 UmwG sieht vor, dass Mitglieder einer übertragenden Genossenschaft bei einer rein genossenschaftlichen Verschmelzung nur dann einen Anspruch auf Verbesserung des Umtauschverhältnisses im Spruchverfahren geltend machen können, wenn ihr Geschäftsguthaben in der übernehmenden Genossenschaft niedriger ist als in der übertragenden. Hierbei ist ausschließlich der Nominalwert des Geschäftsguthabens maßgeblich, d.h., der Betrag, den das Mitglied tatsächlich in die Geschäftsanteile eingezahlt hat, abzüglich etwaiger Gewinn- oder Rückvergütungsgutschriften und Verlustabschreibungen (vgl. Beuthien/Beuthien, GenG, 16. Aufl., § 7 Rn. 4; Fronhöfer in Widmann/Mayer, UmwR, 170. EL März 2018, § 80 Rn. 25; Lutter/Bayer, UmwG, 7. Aufl., § 80 Rn. 15). Eine Berücksichtigung des „inneren Werts“ des Geschäftsguthabens, wie etwa Rücklagen und stille Reserven, ist nicht vorgesehen.
Der Gesetzgeber hat sich bewusst für diese Beschränkung des Ausgleichsanspruchs auf den Nominalwert entschieden, um zu verhindern, dass Mitglieder der übertragenden Genossenschaft bei einer Verschmelzung Ansprüche auf Beteiligungen an Rücklagen oder anderen Vermögensbestandteilen der Genossenschaft erheben. Dies würde im Falle eines Ausscheidens durch Kündigung oder Ausschlagung der Genossenschaft auftreten, was durch die Regelung vermieden werden soll (vgl. FraktionsE der CDU/CSU und der FDP eines Gesetzes zur Bereinigung des Umwandlungsrechts [UmwBerG], BT-Drucks. 12/6699, S. 108 zu § 85 Abs. 1 UmwG aF). Mit der Neuregelung des § 85 UmwG im Rahmen der Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie wurde lediglich die Nummerierung geändert, ohne die inhaltliche Bestimmung zu ändern (vgl. RegE eines Gesetzes zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie [UmRUG], BT-Drucks. 20/3822, S. 81).
Die Gesetzesbegründung zur Änderung der Regelung des Umtauschverhältnisses in § 80 Abs. 1 Nr. 2 UmwG zeigt, dass der „innere Wert“ des Geschäftsguthabens bei einer Verschmelzung von Genossenschaften nicht berücksichtigt werden soll. Eine entsprechende Satzungsregelung könnte diesen inneren Wert ausgleichen, jedoch gehört dies nicht zum allgemeinen gesetzlichen Umtauschverhältnis (vgl. RegE, BT-Drucks. 13/8808, S. 13). Auch in der Europäischen Genossenschaftsverordnung wird betont, dass beim Ausscheiden von Mitgliedern kein Anspruch auf den inneren Wert der Genossenschaft besteht (vgl. RegE eines Gesetzes zur Einführung der Europäischen Genossenschaft und zur Änderung des Genossenschaftsrechts, BT-Drucks. 16/1025, S. 55).
Die Regelung passt sich systematisch dem genossenschaftsrechtlichen Nominalwertprinzip an, das auch in anderen Vorschriften wie § 73 Abs. 2 Satz 3, § 76 Abs. 1 GenG und § 80 Abs. 1 Nr. 2 UmwG zum Ausdruck kommt. Demnach haben ausscheidende Mitglieder keinen Anspruch auf Rücklagen oder das Vermögen der Genossenschaft, sondern nur auf eine Beteiligung am verbleibenden Vermögensüberschuss im Falle der Auflösung der Genossenschaft (vgl. Beuthien, NZG 2022, 1323, 1326).
Der Einwand, dass Liquidation und Verschmelzung wirtschaftlich vergleichbar seien, ist unzutreffend. Während bei der Liquidation das Vermögen tatsächlich an die Mitglieder verteilt wird, geht bei einer Verschmelzung das Vermögen der übertragenden Genossenschaft auf die übernehmende über, ohne eine direkte Verteilung an die Mitglieder zu erfolgen. Eine Verschmelzung dient der Fortführung des genossenschaftlichen Zwecks, weshalb eine Beteiligung an den Rücklagen und stillen Reserven der übertragenden Genossenschaft systemwidrig wäre (vgl. Scholderer in Semler/Stengel/Leonhard, UmwG, 5. Aufl., § 85 Rn. 5; BeckOGK UmwG/Fuchs, Stand 1.1.2025, § 85 Rn. 29).
Die Begrenzung des Ausgleichsanspruchs dient außerdem dem Ziel, das Eigenkapital der übernehmenden Genossenschaft zu sichern, um den Förderzweck weiterhin zu verfolgen, und um eine finanzielle Motivation der Mitglieder zur Kündigung oder zum Ausscheiden zu verhindern, um den Mitgliederbestand nach der Verschmelzung zu wahren (vgl. BeckOGK UmwG/Fuchs, Stand 1.1.2025, § 85 Rn. 6; Beuthien/Wolff, GenG, 16. Aufl., Sammelkomm. §§ 2 ff. UmwG Rn. 45).
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Regelung werden vom Senat nicht geteilt. Die Regelung verstößt nicht gegen die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG, da der Gesetzgeber die Interessen der Beteiligten unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und des Gleichheitssatzes in einen gerechten Ausgleich gebracht hat (vgl. BVerfGE 101, 239, 259; 104, 1, 11; NJW 2017, 217 Rn. 281 ff., 348, 386). Der Eingriff in das durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentumsrecht ist als zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung des genossenschaftlichen Eigentums gerechtfertigt.
Der Senat lehnt auch eine teleologische Reduktion des Anspruchsausschlusses nach § 85 Abs. 2 UmwG ab, auch in Fällen, in denen der innere Wert des Geschäftsguthabens erheblich vom Nominalwert abweicht. Eine solche Reduktion würde die Grenzen zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung überschreiten, da der Gesetzgeber mit dem Wortlaut und der Gesetzesbegründung zu § 85 UmwG keine planwidrige Regelungslücke geschaffen hat, die eine solche Reduktion erfordert (vgl. BGH, Urteil vom 7. April 2021 – VIII ZR 49/19, NJW 2021, 2281 Rn. 36; Beschluss vom 28. Juni 2022 – II ZB 8/22, ZIP 2022, 1859 Rn. 12).
Demnach ist der Antrag auf Ausgleich im Spruchverfahren gemäß § 15 Abs. 1, § 1 Nr. 4 SpruchG wegen des Ausschlusses des über den Nominalwert hinausgehenden Ausgleichsanspruchs nach § 85 Abs. 2 UmwG unzulässig. Ebenso ist eine analoge Anwendung des Spruchverfahrens ausgeschlossen, da der Gesetzgeber das Spruchverfahren in diesem Zusammenhang nicht eröffnet hat (vgl. BeckOGK SpruchG/Drescher, Stand 1.10.2024, § 1 Rn. 17).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der BGH in seiner Entscheidung einen klaren rechtlichen Rahmen für die Anwendung des § 85 Abs. 2 UmwG setzt und zugleich die Grenzen möglicher Ausgleichsansprüche im Zusammenhang mit der Mitgliedschaft und dem Vermögen bei genossenschaftlichen Verschmelzungen definiert. Zudem gibt der BGH praxisrelevante Hinweise zur Durchführung des Spruchverfahrens in diesem Kontext.
So stellt der BGH klar, dass das Spruchverfahren nach dem Spruchverfahrensgesetz grundsätzlich nicht für Ausgleichsansprüche im Rahmen von Verschmelzungen zwischen Genossenschaften anwendbar ist – es sei denn, das Geschäftsguthaben des Mitglieds in der übernehmenden Genossenschaft ist niedriger als in der übertragenden Genossenschaft. Die Statthaftigkeit des Spruchverfahrens ist auch dann abzulehnen, wenn der Ausgleichsanspruch lediglich den Nominalwert betrifft und keine Differenz zwischen innerem Wert und Nominalwert des Geschäftsguthabens besteht.
Ein zentraler Punkt der Entscheidung ist, dass ein Ausgleich über den Nominalwert hinaus – etwa unter Einbeziehung von Rücklagen oder stillen Reserven – ausgeschlossen ist, selbst wenn der innere Wert vom Nominalwert abweicht. Der Gesetzgeber hat sich bewusst gegen eine solche weitergehende Ausgleichsregelung entschieden, um zu verhindern, dass Mitglieder der übertragenden Genossenschaft im Rahmen einer rein genossenschaftlichen Verschmelzung an Rücklagen oder sonstigem Vermögen beteiligt werden.
Der Ausgleichsanspruch ist damit auf den Nominalwert des Geschäftsguthabens beschränkt, was im Einklang mit dem genossenschaftsrechtlichen Nominalwertprinzip steht. Ein darüber hinausgehender wirtschaftlicher Ausgleich wäre nicht nur rechtlich ausgeschlossen, sondern würde auch das genossenschaftliche System und den Zweck der Verschmelzung als Fortführung der genossenschaftlichen Tätigkeit beeinträchtigen.
Darüber hinaus stellt der BGH klar, dass eine teleologische Reduktion des Anspruchsausschlusses nach § 85 Abs. 2 UmwG nicht in Betracht kommt – auch dann nicht, wenn der innere Wert erheblich vom Nominalwert abweicht. Eine verdeckte Regelungslücke, die eine richterliche Rechtsfortbildung rechtfertigen könnte, besteht nicht. Der Anspruch auf Ausgleich bleibt somit auf den Nominalwert beschränkt.
Abschließend betont der BGH, dass der mit § 85 Abs. 2 UmwG verbundene Eingriff in das durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentum der Genossenschaftsmitglieder eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung darstellt. Der Gesetzgeber habe dabei die schutzwürdigen Interessen aller Beteiligten berücksichtigt und eine sachgerechte Lösung gefunden.
Für die Praxis bedeutet dies, dass ein Anspruch auf Ausgleich des Umtauschverhältnisses bei genossenschaftlichen Verschmelzungen nur dann geltend gemacht werden kann, wenn das Geschäftsguthaben in der übernehmenden Genossenschaft niedriger ist als zuvor. Genossenschaften und ihre Mitglieder sollten sich darauf einstellen, dass ein Ausgleich über den Nominalwert hinaus gesetzlich nicht vorgesehen ist. Für betroffene Mitglieder ist es daher wichtig zu wissen, dass sie an Rücklagen oder stillen Reserven nicht beteiligt werden, sofern sich der Nominalwert ihres Geschäftsguthabens nicht ändert. Die klare Orientierung des BGH an der gesetzgeberischen Intention sollte im praktischen Umgang mit Ausgleichsansprüchen stets beachtet werden.