31.10.2025
Notizen zur Rechtsprechung
Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:
OLG Karlsruhe
23.08.2023
14 W 144/21 (Wx)
FGPrax 2023, 225
Anfechtung der Erbschaftsannahme wegen Irrtum über die Zusammensetzung des Nachlasses [ PDF ]
Die Beschwerde richtet sich gegen einen Beschluss des Nachlassgerichts Offenburg, mit dem die Einziehung eines erteilten Erbscheins abgelehnt wurde.
Der Beteiligte zu 1 ist der einzige Abkömmling der im Jahr 2018 verstorbenen Erblasserin und ihres im Jahr 2005 vorverstorbenen Ehemanns. Die Eheleute betrieben ein Gasthaus; die Erblasserin war Eigentümerin der Immobilie. Der Beteiligte zu 1 hat drei volljährige Kinder.
Im Jahr 1998 wurde bei der Erblasserin wegen des Verdachts auf einen Gehirntumor im Universitätsklinikum F eine Biopsie durchgeführt, in deren Folge sie schwere, irreversible neurologische Gesundheitsschäden erlitt, ins Koma fiel und sodann intensiv betreut und gepflegt werden musste. Die Erblasserin erhob – zunächst vertreten durch ihren zum Betreuer bestellten Ehemann – im September 2004 Klage gegen das Universitätsklinikum F, mit welcher sie Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 200.000 € und weiteren Schadensersatz geltend machte. Nach dem Tod ihres Ehemanns übernahm zunächst der Beteiligte zu 1 als Betreuer die gesetzliche Vertretung der Erblasserin, ab dem Jahr 2009 die für den Aufgabenkreis der Vermögenssorge eingesetzten Berufsbetreuer.
Im April 2015 wurde über das Vermögen des Beteiligten zu 1, der ab dem Jahr 2000 die Gastwirtschaft der Eltern als Pächter betrieben hatte, das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Beteiligte zu 2 wurde zur Insolvenzverwalterin bestellt. Im September 2015 wurde auch über das Vermögen der Erblasserin das Insolvenzverfahren eröffnet und C. als Insolvenzverwalter eingesetzt. Das Gasthaus wurde im April 2016 veräußert. Nach Abzug der Belastungen und Kosten ergab sich ein Überschuss von 39.136,25 €. Die Beteiligte zu 2 meldete für den Beteiligten zu 1 Forderungen in Höhe von 391.647 € zur Tabelle an. Nach dem Tod der Erblasserin wurde das Insolvenzverfahren als Nachlassinsolvenzverfahren fortgeführt. Der Beteiligte zu 1 reichte beim AG Offenburg ein Nachlassverzeichnis ein, in dem ein Vermögen der Erblasserin von 444,39 € angegeben wurde. Zudem fügte er die Bemerkung „Der Nachlass ist überschuldet“ an. Kurz darauf erklärte der Beteiligte zu 1 die Annahme der Erbschaft und beantragte die Erteilung eines Erbscheins für ihn als Alleinerben. Dieser wurde ihm am selben Tag erteilt.
Im Rahmen des Schadensersatzprozesses der Erblasserin gegen das Universitätsklinikum F, den der Nachlassverwalter C. fortführte, schlossen die Parteien einen Vergleich, in dem sich das Universitätsklinikum zur Zahlung von 1.500.000 € verpflichtete. Der Betrag wurde im April 2020 auf das Anderkonto des Nachlassverwalters überwiesen. Dieser führte in seinem Bericht vom Mai 2020 aus, dass die Erbmasse nun ausreichen werde, um die erstrangigen Forderungen der Gläubiger der Erblasserin voll zu befriedigen. Es wurde nur ein Teil der angemeldeten Forderungen in Höhe von 919.120,05 € tatsächlich festgestellt, da ein erheblicher Teil bestritten und zurückgenommen worden war. Der Nachlassinsolvenzverwalter C. teilte im August 2020 mit, dass nachrangige Forderungen in Höhe von 175.478,91 € angemeldet und in Höhe von 79.842,72 € festgestellt worden. Nach der Verteilung und nach Abzug aller Kosten ergab sich ein Überschuss von 294.100 €.
Dem Beteiligten zu 1 wurde Restschuldbefreiung gewährt. Im Oktober 2020 hat der Beteiligte zu 1 in notariell beglaubigter Form die Anfechtung der Erbschaftsannahme wegen Irrtums erklärt und die Erbschaft ausgeschlagen. Zur Begründung führte er aus, dass er die Erbschaft bei Kenntnis von der Werthaltigkeit des Nachlasses seiner Mutter ausgeschlagen hätte, damit dieser nicht in die Insolvenzmasse falle. Im Dezember 2020 beantragte er die Einziehung des Erbscheins. Er habe sich falsche Vorstellungen über die Zusammensetzung des Nachlasses gemacht und sei wegen dieses Irrtums zur Anfechtung berechtigt.
Die Beschwerde hat vor dem OLG Karlsruhe Erfolg. Der Erbschein war gem. § 2361 BGB einzuziehen. Er ist durch die Ausschlagung der Erbschaft gem. § 1957 Abs. 1 BGB nach der wirksamen Anfechtung der Annahme der Erbschaft unrichtig.
Nach Auffassung des Senats befand sich der Beteiligte zu 1 bei Annahme der Erbschaft in einem Eigenschaftsirrtum gem. § 119 Abs. 2 BGB. Zu den Eigenschaften der Erbschaft als „Sache“ im Sinne der Vorschrift gehört die Zusammensetzung des Nachlasses. Somit kann ein Irrtum über die Zugehörigkeit bestimmter wesentlicher Rechte zum Nachlass zur Anfechtung der Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft berechtigen. Die Überschuldung des Nachlasses stellt eine verkehrswesentliche Eigenschaft dar.
Fehlvorstellungen darüber, dass die Verbindlichkeiten den Wert der Nachlassgegenstände übersteigen, berechtigen aber nur dann zu einer Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB, wenn sie sich auf die Zusammensetzung des Nachlasses beziehen. Fehlvorstellungen über die Bewertung der Höhe einer zum Nachlass gehörenden Forderung oder Verbindlichkeit berechtigen hingegen nicht zur Anfechtung, denn der Wert der Nachlassgegenstände ist keine verkehrswesentliche Eigenschaft im Sinne des § 119 Abs. 2 BGB. Der Beteiligte zu 1 ging bei Annahme der Erbschaft davon aus, dass Forderungen in Höhe von ca. 2.000.000 € zur Insolvenztabelle angemeldet waren. Dass sich ein Teil der Forderungen beispielsweise durch Rücknahme erledigen könnten, war nicht besprochen worden oder für den Beteiligten zu 1 naheliegend. Demnach ging dieser davon aus, dass auch bei Erledigung des Schadensersatzprozesses durch Vergleich ein erzielter Schadensersatz nicht zur vollständigen Tilgung der Schulden der Erblasserin ausreichen würde.
Dieser Irrtum des Beteiligten zu 1 war für die Annahme der Erbschaft auch ursächlich. Die Anfechtung der Annahme der Erbschaft ist nur begründet, wenn die Kenntnis der wahren Sachlage bei objektiv verständiger Würdigung Anlass gegeben hätte, von der Erklärung abzusehen. Hierbei ist auf eine wirtschaftliche Betrachtungsweise abzustellen. Es ist eine objektive Beurteilung aus Sicht eines verständigen Dritten im Zeitpunkt der Erklärung vorzunehmen. Daran gemessen hat der Beteiligte zu 1 zur Überzeugung des Senats darlegt, dass er die Erbschaft ohne den Irrtum über die tatsächlich nicht vorhandene Überschuldung des Nachlasses ausgeschlagen hätte mit der Folge, dass die Vermögenswerte aus dem Nachlass der Erblasserin seinen Kindern als weitere Abkömmlinge an seiner Stelle zugeflossen wären.
Der Beteiligte zu 1 hat die Anfechtung der Erbschaftsannahme auch wirksam erklärt und insbesondere die sechswöchige Anfechtungsfrist des § 1954 Abs. 1 BGB eingehalten. Diese beginnt mit Kenntnis des Anfechtungsberechtigten vom Anfechtungsgrund. Kenntnis vom Irrtum hat der Anfechtungsberechtigte, wenn ihm die dafür maßgeblichen Tatsachen bekannt werden und er erkennt, dass seine Erklärung eine andere Wirkung hat, als er ihr beilegen wollte. Dass die Verbindlichkeiten die Höhe der Aktiva des Nachlasses nicht erreichen würden, wurde für den Beteiligten zu 1 erst mit der Niederschrift des Insolvenzgerichts, die ihm am 01.10.2020 zuging, deutlich. Darin waren die festgestellten Forderungen aufgeführt, anhand derer der Beteiligte zu 1 erkannte, dass er die relevanten Verbindlichkeiten unzutreffend eingeschätzt hatte.
Die Entscheidung des OLG Karlsruhe betrifft zwar einen außergewöhnlichen Sachverhalt, berührt aber zentrale Fragen der Anfechtung einer irrtümlich angenommenen bzw. irrtümlich ausgeschlagenen Erbschaft. Kritisch kann die Entscheidung dahingehend betrachtet werden, dass sie dem Annehmenden bzw. Ausschlagenden einer Erbschaft, die sich in der Nachlassinsolvenz befindet, die Gelegenheit bietet, die Werthaltigkeit des Nachlasses nach Vorliegen des Schlussberichts des Nachlassverwalters erneut zu überprüfen, um eine Anfechtung in Erwägung zu ziehen. In der Konsequenz könnte dies zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit führen und dem Erklärenden die Möglichkeit verschaffen, das Verfahren für ihn „arbeiten“ zu lassen, um im Nachhinein eine Irrtumsanfechtung vortragen zu können. Diese Besorgnis ist naheliegend, da der Schlussbericht des Insolvenzverwalters immer einen anderen Vermögensstand ausweisen wird, als die zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgestellte Vermögensübersicht (Anm. Prof. Dr. Jörn Heinemann, MittbayNot 2025, 56 ff.).