OLG Saarbrücken 5 W 50/24
Erteilung eines Europäischen Nachlasszeugnisses

29.10.2025

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Saarbrücken
29.01.2025
5 W 50/24
ErbR 2025, 587

Leitsatz | OLG Saarbrücken 5 W 50/24

  1. Mit dem Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts soll nach den Erwägungsgründen des Verordnungsgebers auf den tatsächlichen Lebensmittelpunkt einer natürlichen Person abgestellt werden, der mittels einer Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers in den Jahren vor seinem Tod und im Zeitpunkt seines Todes festzustellen ist.
  2. Wesentliche Faktoren zur Bestimmung des Lebensmittelpunktes sind die Dauer, die Regelmäßigkeit und die Umstände des Aufenthalts, die Gründe für diesen Aufenthalt, die Staatsangehörigkeit, die Sprachkenntnisse sowie die familiären und sozialen Bindungen der betreffenden Person.

Sachverhalt | OLG Saarbrücken 5 W 50/24

Im Nachlass des Erblassers (E), der aus einer geschiedenen Ehe stammt, sind die Beteiligten zu 1 bis 3 sowie eine weitere Person als Kinder vorhanden. Eine letztwillige Verfügung des E existiert nicht. Zum Nachlass gehört unter anderem Grundbesitz in Frankreich.

Mit notarieller Urkunde vom 2. November 2023 beantragten die Beteiligten zu 1 und 2 die Ausstellung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (ENZ) auf Grundlage der gesetzlichen Erbfolge, welches sie selbst sowie die Beteiligten zu 3 und eine weitere Person als Erben zu gleichen Teilen (je 1/4) ausweisen sollte.

Daraufhin brachte die Beteiligte zu 3 gegenüber dem AG Saarbrücken vor, eine nicht näher bezeichnete Frau habe mehrfach telefonisch behauptet, ein Kind des Erblassers zu sein. Das AG lehnte daraufhin am 24. Juli 2024 die Ausstellung des ENZ ab, da es sich bei diesem Verfahren um ein reines Konsensverfahren handele und die Beteiligte zu 3 der Ausstellung ausdrücklich widersprochen habe.

Gegen diese Entscheidung legten die Beteiligten zu 1 und 2 Beschwerde ein und verfolgen damit ihren Antrag auf Erteilung des ENZ weiter.

Entscheidung | OLG Saarbrücken 5 W 50/24

Die Beschwerde ist zulässig und begründet und hat somit Erfolg, weil die Voraussetzungen für die antragsgemäße Erteilung des ENZ vorliegen, weshalb das AG anzuweisen war, das beantragte ENZ auszustellen.

Das AG Saarbrücken hat stillschweigend, aber zutreffend die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für die Ausstellung des Europäischen Nachlasszeugnisses (ENZ) angenommen, da E seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte. Maßgeblich hierfür ist Art. 4 EuErbVO, der an den tatsächlichen Lebensmittelpunkt des Erblassers anknüpft. Trotz seines Wohnsitzes und Todes in Frankreich bestanden seine wesentlichen Bindungen weiterhin in Deutschland: Er war alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer zweier deutscher Unternehmen, verfügte in Deutschland über eine Wohnung, erzielte sämtliche Einkünfte dort, war steuerlich im Inland veranlagt, sprach ausschließlich Deutsch und unterhielt seine familiären und sozialen Kontakte ausschließlich in Deutschland. Auch seine medizinische Versorgung erfolgte zuletzt fast ausschließlich in Deutschland.

Die Beschwerde der Beteiligten zu 1 und 2 gegen die Entscheidung des AG ist begründet. Nach Art. 63 und 65 EuErbVO haben Erben Anspruch auf ein ENZ, wenn sie sich in einem anderen Mitgliedstaat – wie hier in Bezug auf den Grundbesitz in Frankreich – auf ihre Rechtsstellung als Erben berufen müssen. Da der Erblasser kein Testament hinterlassen hat, greift die gesetzliche Erbfolge nach §§ 1924 ff. BGB, wonach seine vier Kinder, darunter die Beteiligten zu 1 bis 3, zu gleichen Teilen erben. Hinweise auf ein weiteres Kind haben sich nicht bestätigt; das Standesamt hat keine entsprechenden Einträge festgestellt, und die bloßen, nicht näher konkretisierten Behauptungen der Beteiligten zu 3 geben keinen Anlass für weitere Ermittlungen.

Praxishinweis | OLG Saarbrücken 5 W 50/24

Kolanski und Maier heben auf Grundlage der Entscheidung hervor, dass deutsche Nachlassgerichte künftig deutlich eingeschränkte Kompetenzen bei der Erteilung eines ENZ haben. Sie weisen darauf hin, dass bereits geringfügige oder unbegründete Einwände im Ausstellungsverfahren ausreichen, um die Erteilung zu verhindern. Diese restriktive Auslegung zwinge dazu, dass strittige Fragen nicht mehr im Rahmen des Ausstellungsverfahrens geklärt werden können, sondern vorab in separaten Verfahren entschieden werden müssen.

Nach Auffassung von Kolanski und Maier führt dies zu einer Verlagerung der Streitentscheidungskompetenz auf die Oberlandesgerichte, was nicht nur eine erhebliche Mehrbelastung dieser Gerichte bedeute, sondern auch missbräuchliche Verzögerungstaktiken durch Beteiligte begünstige. Zudem betonen sie, dass der Vorschlag, zunächst ein Erbscheinsverfahren durchzuführen, keine praktikable Lösung darstellt, da Einwände im ENZ-Verfahren jederzeit neu erhoben werden könnten und so zusätzliche Verfahren erforderlich würden.

Als positiven Aspekt vermerken Kolanski und Maier jedoch, dass die OLG in ihrer Beschwerdeentscheidung nicht selbst das ENZ ausstellen müssen, sondern lediglich das Nachlassgericht anweisen können, dieses zu erteilen. Dennoch bleibe der vom europäischen Gesetzgeber angestrebte Zweck eines schnellen und unkomplizierten Verfahrens in der Praxis häufig unerreicht, wie die lange Bearbeitungsdauer des entschiedenen Falls zeige (Kolanski/ Maier in ZEV 2025, 258, beck-online).