OLG Bremen 2 U 88/23
Anwendung des § 39 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 InsO bei Austritt eines persönlich haftenden Gesellschafters vor Insolvenzeröffnung

25.09.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Bremen
10.06.2024
2 U 88/23
BeckRS 2024, 21213

Leitsatz | OLG Bremen 2 U 88/23

Nach § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 InsO werden nach Maßgabe der Absätze 4 und 5 Forderungen auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens oder Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen, im Rang nach den übrigen Forderungen der Insolvenzgläubiger berichtigt, wenn weder eine natürliche Person noch eine Gesellschaft als persönlich haftenden Gesellschafter haben, bei der ein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist. Ist der Komplementär einer Gesellschaft die einzige natürliche Person und scheidet er vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus der Gesellschaft aus, dann werden entsprechende Forderungen ungeachtet einer bestehenden Nachhaftung des ausgeschiedenen Gesellschafters nachrangig gemäß § 39 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 InsO berücksichtigt.

Sachverhalt | OLG Bremen 2 U 88/23

Der Kläger begehrt als Insolvenzverwalter die Feststellung einer Forderung im Insolvenzverfahren über das Vermögen der 34. P. GmbH & Co. KG. Im Jahr 2018 wurde zwischen der 120. P. GmbH & Co. KG und der 34. P. GmbH & Co. KG, die zur gleichen Unternehmensgruppe gehören, ein Darlehensvertrag geschlossen, aufgrund dessen die 120. P. GmbH & Co. KG insgesamt über 1 Mio. Euro darlehensweise an die 34. P. GmbH & Co. KG überwiesen hatte. Für dieses Darlehen meldete die 120. P. GmbH & Co. KG eine Forderung in Höhe von über 2 Mio. Euro zur Insolvenztabelle an.

Der Beklagte, der zum Sonderinsolvenzverwalter über das Vermögen der 34. P. GmbH & Co. KG bestellt wurde, widersprach der Forderung mit der Begründung, dass ein Darlehen innerhalb einer verbundenen Unternehmensgruppe nach § 39 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 InsO nachrangig nach sei, wenn die Insolvenzschuldnerin bei der Eröffnung des Insolvenzverfahrens keine natürliche Person als persönlich haftenden Gesellschafter hatte. Mit seiner Berufung wendet sich der Kläger gegen das Urteil des Landgerichts, welches die Auffassung des Beklagten bestätigt hatte.

Entscheidung | OLG Bremen 2 U 88/23

Das Gericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen, da sie keine Aussicht auf Erfolg hat.

Die von dem Kläger vorgebrachte Stimme in der Literatur (Mylich in: Jaeger: Kommentar zur Insolvenzordnung, 2. Aufl., § 39 InsO, Rn. 167) stützt bereits nicht seine Rechtsauffassung, da hiernach zur Vermeidung von Unbilligkeiten auf eine Umqualifikation nur in dem Sonderfall verzichtet werden soll, in welchem die Kommanditisten im unmittelbaren Anschluss an das Ausscheiden der letzten natürlichen Person als Komplementär aktiv geworden sind und eine Liquidation bzw. ein Insolvenzverfahren der KG eingeleitet haben. In anderen Fällen bleibt es jedoch bei der Anwendbarkeit von § 39 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 InsO mit der nachrangigen Berücksichtigung entsprechender Darlehen.
Billigkeitsbedenken stehen dem nicht entgegen, da der ausscheidende Gesellschafter es vorliegend selbst in der Hand hatte, den Nachrang von Forderungen der Schwestergesellschaft zu vermeiden, indem er persönlich haftender Gesellschafter geblieben wäre. Eine sachliche Rechtfertigung für eine abweichende Behandlung für den Fall des unmittelbaren Ausscheidens nach Einleitung eines Insolvenzverfahrens ist nicht erkennbar und erscheint willkürlich. Darüber hinaus würde für den Gesellschafter ein Anreiz geschaffen werden, kurz vor Einleitung des Insolvenzverfahrens aus der Gesellschaft auszuscheiden, woran jedoch kein schutzwürdiges Interesse besteht.

Der Senat sieht auch keine Grundlage dafür, entsprechend § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO erst nach Ablauf einer Jahresfrist die betroffenen Forderungen nach § 39 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 InsO zu berücksichtigen. Ein Wertungswiderspruch zu § 161 HGB im Hinblick auf das Ende der unbeschränkten Haftung des Gesellschafters bei Austritt aus der Gesellschaft liegt nicht vor, da sich diese Erwägungen allein darauf beziehen, dass eine gegenständliche Beschränkung der Haftung auf bis dahin begründete Verbindlichkeiten stattfindet.

Praxishinweis | OLG Bremen 2 U 88/23

Das Ausscheiden eines Gesellschafters führt nicht zur Haftungsbefreiung, sondern zu einer Haftungsbegrenzung nach § 137 Abs. 1 HGB n.F. (Franck, in: Herrler, Gesellschaftsrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, 2. Aufl. 2021, § 5. GmbH & Co. KG Rn. 168). Der ausgeschiedene Komplementär haftet im vorliegenden Fall daher nur für die bis zu seinem Ausscheiden begründeten Verbindlichkeiten, wenn sie vor Ablauf von fünf Jahren (Ausschlussfrist) nach seinem Ausscheiden fällig und entweder besonders festgestellt oder gegen ihn gerichtlich geltend gemacht werden. Für die Frage des Entstehens einer Verbindlichkeit ist maßgeblich, wann das Rechtsgeschäft abgeschlossen wurde und die Verbindlichkeit ohne weitere rechtliche Handlungen entstanden ist, das heißt, wann der Rechtsgrund der Verbindlichkeit geschaffen wurde (Heckschen, in: Reul/Heckschen/Wienberg, Insolvenzrecht in der Gestaltungspraxis, 3. Aufl. 2022, § 4. Gesellschaftsrecht Rn. 639). Es ist jedoch nicht erforderlich, dass bereits alle Voraussetzungen des Anspruchs erfüllt sind.

Das OLG Bremen hatte in seinem früheren Beschluss vom 07.03.2024 – 2 U 88/23 bereits dargelegt, dass eine erweiternde Auslegung des § 39 Abs. 4 S. 1 InsO in dem Sinne, dass der ausgeschiedene Gesellschafter zunächst persönlich weiterhin hafte, nicht in Betracht komme. Dies entspreche nicht der Ratio der Norm, da mit dem Austritt aus der Gesellschaft die unbeschränkte Haftung ende und sich nur noch auf die zu diesem Zeitpunkt begründeten Verbindlichkeiten erstrecke. Außerdem sei die Nachhaftung darüber hinaus zeitlich beschränkt. Auch die Gesetzesmaterialien sprächen für diese Ansicht, da sie einen ausdrücklichen Verweis auf § 161 Abs. 1 HGB a.F. enthielten (BT-Drs. 16/6140, 57). Entscheidend sei, dass ein ausgeschiedener Gesellschafter nach § 137 Abs. 1 HGB n.F. gerade nicht unbeschränkt hafte. Auch ein Wertungswiderspruch zu § 93 InsO sei nicht ersichtlich, da sich bereits die Regelungsgegenstände der Vorschriften unterscheiden, sodass eine gleichlaufende Auslegung nicht erwartet werden kann.