OLG Düsseldorf 12 U 10/21
Gläubigerbenachteiligungsvorsatz nach Neuausrichtung der Rechtsprechung des BGH zur Vorsatzanfechtung

23.02.2022

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Düsseldorf
12.07.2021
12 U 10/21
GmbHR 2021, 1275

Leitsatz | OLG Düsseldorf 12 U 10/21

  1. Zahlt der - erkannt zahlungsunfähige - Schuldner wesentliche Betriebsausgaben trotz erheblichen Vollstreckungsdrucks und Drohung mit einem Insolvenzantrag regelmäßig mit einer mehr als einmonatigen Verspätung, bittet nach Androhung von Vollstreckungsmaßnahmen unter Hinweis auf fehlende Liquidität um Zahlungsaufschub und leitet Zahlungsmittel auf ein „pfändungsfreies Konto“ des Anfechtungsgegners weiter, um einzelne Gläubiger zu befriedigen, lässt sich auch nach der Neuausrichtung der Rechtsprechung des BGH zur Vorsatzanfechtung gem. § 133 Abs. 1 InsO a.F. (BGH v. 06.05.2021 - IX ZR 72/20, ZIP 2021, 1447) der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners feststellen.
  2. Kennt der Anfechtungsgegner die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners und verwendet mit Rücksicht auf dessen wirtschaftliche Zwangslage weisungsgemäß und wissentlich anvertraute Gelder gezielt zur Befriedigung von bestimmten einzelnen Gläubigern, greift die Vorsatzanfechtung auch gegenüber dem Zahlungsmittler durch.

Sachverhalt | OLG Düsseldorf 12 U 10/21

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der P GmbH (Schuldnerin) und macht gegen den Beklagten Ansprüche aus Insolvenzanfechtung geltend. Der Beklagte war bis zum Jahr 2009 Alleingesellschafter und Geschäftsführer der Schuldnerin, die als Verleiherin von Arbeitnehmer:innen auf Grundlage einer unbefristeten Erlaubnis der Bundesagentur für Arbeit tätig ist. Auch nachdem der Beklagte aus der Gesellschaft ausschied, war er für die Schuldnerin noch u.a. mit Angelegenheiten der Buchhaltung und des Zahlungsverkehrs betraut.

Die Schuldnerin befand sich im Laufe des Geschäftsjahres 2015 in einer Ertrags- und Liquiditätskrise, sodass sie seit August 2015 die Sozialversicherungsbeiträge für ihre Arbeitnehmer:innen nur noch verspätet und unvollständig zahlte. Nachdem das Finanzamt der Schuldnerin bereits im Februar 2016 einen Insolvenzantrag angedroht hatte, pfändete es in regelmäßigem Abstand das Konto der Schuldnerin wegen erheblicher Steuerrückstände. Die Schuldnerin kam in der Folgezeit diversen Zahlungsverpflichtungen nicht nach.

Zwischen dem 26.04.2016 und dem 15.07.2016 wurden die streitgegenständlichen 14 Zahlungen im Gesamtwert von 86.971,86 Euro von dem Konto der Schuldnerin auf das Konto des Beklagten überwiesen. Diesen Betrag fordert der Kläger samt Zinsen und Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten i.H.v. 1.863,40 Euro zurück. Der Kläger stützt seinen Anspruch auf § 133 Abs. 1 InsO. Das Landgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten.

Entscheidung | OLG Düsseldorf 12 U 10/21

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Der Beklagte habe die Zahlungen der Schuldnerin offensichtlich anfechtbar erlangt und sei daher zur Rückzahlung nach § 143 Abs. 1 InsO verpflichtet. Die Berufung sei im Beschlusswege nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Zutreffend sei die Annahme des Gerichts, die Schuldnerin habe die Zahlungen auf das Konto des Beklagten mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz vorgenommen. Die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin im angefochtenen Zeitraum werde dabei gesetzlich vermutet. Denn die Schuldnerin habe ihre Zahlungen gemäß § 17 Abs. 2 S. 2 InsO eingestellt, was sich in der schleppenden Bezahlung der Sozialversicherungsbeiträge manifestiere. Die Zahlungsrückstände gegenüber mehreren Gläubigern und die Steuerpfändungen des Finanzamtes deuten ebenfalls auf eine Zahlungseinstellung hin. Die eigene Zahlungsunfähigkeit sei der Schuldnerin auch bekannt gewesen. Allein aus der Kenntnis der Schuldnerin könne nach der neuen Rechtsprechung des BGH jedoch nicht auf den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz geschlossen werden. Zusätzlich müsse dem Schuldner im maßgeblichen Zeitpunkt bewusst gewesen sein oder er muss zumindest billigend in Kauf genommen haben, seine übrigen Gläubiger auch künftig nicht vollständig befriedigen zu können, was sich nach den ihm bekannten objektiven Umständen richte. Dies sei, neben der Stundungsbitte des Beklagten gegenüber der Sachbearbeiterin des LVR, auch der Umstand, dass einzelne Sozialversicherungsträger und das Finanzamt mit den regelmäßigen Kontopfändungen einen erheblichen Vollstreckungsdruck ausübten. Einzelne Zahlungen an Gläubiger wurden daraufhin über ein „pfändungsfreies Konto“ des Beklagten vorgenommen, was gerade den Zugriff pfändender Gläubiger auf Gelder der Schuldnerin verhindern sollte. Die Schuldnerin hatte mithin einen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz. Davon hatte der Beklagte auch Kenntnis, insbesondere auch, weil er mit der Buchhaltung und Angelegenheiten des Zahlungsverkehrs betraut war. Vielmehr habe der Beklagte aktiv an einer vorsätzlichen Gläubigerbenachteiligung teilgenommen, indem er weisungsgemäß und wissentlich anvertraute Gelder gezielt zur Befriedigung von bestimmten einzelnen Gläubigern trotz erkannter Zahlungsunfähigkeit verwendet habe.

Praxishinweis | OLG Düsseldorf 12 U 10/21

Das OLG Düsseldorf wendet in der vorliegenden Entscheidung die neue Rechtsprechung zum § 133 InsO an. Für einen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz sind nun höhere Voraussetzungen zu erfüllen, die sich aus den objektiven Umständen herleiten lassen. Das Urteil zeigt, dass sich eine zahlungsunfähige Schuldnerin ihren Verpflichtungen nicht dadurch entziehen kann, dass sie ihre Gelder auf ein „pfändungsfreies Konto“ überweist. In einem Insolvenzverfahren gilt es vielmehr eine gerechte Aufteilung der Gelder an die jeweiligen Gläubiger zu erzielen. Selbst, wenn es sich bei dem Anfechtungsgegner um einen Gläubiger der Schuldnerin gehandelt hätte, hätte man diesem ggf. unterstellt, er habe von der Benachteiligung anderer Gläubiger gewusst. Denn schon die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin indiziere eine Kenntnis des Anfechtungsgegners, da man bei einer unternehmerischen Schuldnerin mit weiteren Gläubigern rechnen könne, die noch nicht bedient wurden.