BGH III ZR 137/24
Haftungszurechnung bei einem Schneeballsystem nach § 31 BGB bei Besetzung verschiedener juristischer Personen mit derselben natürlichen Person als Organ

16.07.2025

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
06.03.2025
III ZR 137/24
BeckRS 2025, 5472

Leitsatz | BGH III ZR 137/24

  1. § 31 BGB gilt für alle juristischen Personen.
  2. § 31 BGB ist keine haftungsbegründende, sondern eine haftungszuweisende Norm. Die juristische Person haftet, wenn eines ihrer Organe in "amtlicher" Eigenschaft, das heißt in dem ihm zugewiesenen Wirkungskreis, eine zum Schadensersatz verpflichtende Handlung begangen hat.
  3. Sind Organe verschiedener juristischer Personen mit ein und derselben natürlichen Person besetzt und hat diese eine schadenstiftende unerlaubte Handlung in unterschiedlichen "amtlichen" Eigenschaften begangen, haften nach der Zuweisungsnorm des § 31 BGB für den eingetretenen Schaden alle juristischen Personen, für die sie insoweit als Organ in dem ihm zugewiesenen Wirkungskreis aufgetreten ist, als Gesamtschuldner (§ 840 Abs. 1 BGB).
  4. Zur Haftungszuweisung, wenn die schadenstiftende unerlaubte Handlung im Rahmen eines "Schneeballsystems" verwirklicht worden ist.

Sachverhalt | BGH III ZR 137/24

Im Mittelpunkt der Entscheidung stand die Insolvenz einzelner Unternehmen der I-Gruppe, deren Hintermänner, ein umfangreiches Kapitalanlagebetrugssystem betrieben. In Form eines Schneeballsystems wurden rund 22.000 Anleger geschädigt und ein Schaden von über 300 Millionen Euro verursacht. Die zur I.-Gruppe gehörende F. KG (F.), deren persönlich haftender Gesellschafter J.B. war, war ursprünglich darauf angelegt, auf dem Zweitmarkt Lebensversicherungen anzukaufen und weiterzuführen, um bei Vertragsende jeweils an die Überschussbeteiligungen enthaltende Versicherungsleistungen zu erhalten. Die Finanzierung dieses Geschäftsmodells erfolgte über die Ausgabe von Orderschuldverschreibungen an Kapitalanleger, die sie durch Vermittlung anderer Unternehmen der Gruppe vertrieb. Darüber hinaus erzielte die F. Einnahmen durch einen Gewinnabführungsvertrag mit der ebenfalls zur I.-Gruppe gehörenden I. AG (I.), deren Geschäftsgegenstand die Vermittlung von Finanzprodukten, insbesondere von Lebens- und Rentenversicherungen, war. 
 
Trotz Beendigung ihrer operativen Tätigkeiten im Bereich des Ankaufs von Lebensversicherungen im Jahr 2007 wurden weiterhin Orderschuldverschreibungen zur Deckung der laufenden Kosten an Anleger ausgegeben und so Anlegergelder eingeworben. Um trotz fehlenden Geschäftsbetriebs auch weiterhin Orderschuldverschreibungen ausgeben zu können, nutzte die F.  sog. Eigenverträge: Sie schloss selbst als Versicherungsnehmerin großvolumige Lebens- und Rentenversicherungsverträge ab, die u.a. durch gruppenangehörige Unternehmen wie der I. vermittelt wurden. Die Vermittlungsprovisionen bei der I., die wiederum in nennenswertem Umfang aus der Weiterleitung von Vermittlungsprovisionen der gruppenangehörigen P. AG (P.), die diese als ebenfalls als Untervermittlerin von Eigenverträgen der F. erlangt hatte und deren Vorstand ebenfalls J.B. war, resultierten, führten über einen Gewinnabführungsvertrag zu bilanziellen Gewinnerhöhungen bei der F. Aufgrund dieses Bilanzeffekts entstand der unzutreffende Eindruck eines erfolgreichen Geschäftsbetriebes der F. J.B. war all dies spätestens im Jahr 2011 bekannt. Unter Zwischenschaltung verschiedener von J.B. eingesetzter gutgläubiger Vermittler nutzte man dennoch fortlaufend den unzutreffenden Eindruck eines erfolgreichen Geschäftsbetriebs der F. zur Anwerbung weiterer Anleger. J.B. sowie mehrere Manager der I. Gruppe wurden inzwischen rechtskräftig wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs und Kapitalanlagebetrugs zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt.

In dem hier zu entscheidenden Fall forderte ein geschädigter Anleger die Feststellung seiner Schadensersatzforderung zur Insolvenztabelle. Das Landgericht wies die Klage ab, während das OLG Dresden ihr als Berufungsinstanz stattgab. Hiergegen legte der Kläger Revision ein.

Entscheidung | BGH III ZR 137/24

Der BGH bestätigte die Entscheidung des OLG Dresden an und bejahte eine deliktische Haftung gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 263 Abs. 1 und 5, 264a Abs. 1 Nr. 1 StGB sowie nach § 826 BGB, jeweils i.V.m. § 830 und § 31 BGB.

Dabei stellte das Gericht klar, dass § 31 BGB keine haftungsbegründende, sondern eine haftungszuweisende Norm darstelle, die einen Haftungstatbestand voraussetze. Demnach werde eine deliktische Handlung eines Organs der juristischen Person zugerechnet, sofern die als Organ bestellte natürliche Person eine zum Schadensersatz verpflichtende Handlung begangen habe und dabei im Rahmen des ihr zugewiesenen Wirkungskreises gehandelt habe, wobei das Organ in „amtlicher Eigenschaft“ gehandelt haben müsse. Anders sei dies, wenn die natürliche Person ausschließlich als Organ einer anderen juristischen Person aufgetreten sei. 

Der BGH führte in diesem Zusammenhang aber weiter aus, dass in seiner Rechtsprechung schon lange anerkannt sei, dass eine Verrichtung gleichzeitig Organhandlung für mehrere Rechtspersonen darstellen könne und bereits angelegt sei, dass mehrere juristische Personen für das Handeln ihres – personenidentischen – Organs als Gesamtschuldner (§ 840 Abs. 1 BGB) zum Schadensersatz verpflichtet sein könnten. Über die Zuordnung entscheide in solchen Fällen nicht der innere Wille des Handelnden, sondern die Sicht eines objektiven Beurteilers.

Dies zugrunde gelegt, habe das Berufungsgericht jedenfalls im Ergebnis mit Recht angenommen, dass dann, wenn sich ein Tatgeschehen – wie hier das Betreiben und Aufrechterhalten eines Schneeballsystems in mittelbarer (Mit-)Täterschaft – aus mehreren Handlungen desselben Beteiligten zusammensetze, jede von ihnen als Tatbeitrag relevant und derjenigen juristischen Person zuzurechnen ist, als deren Organ die handelnde natürliche Person tätig wurde. Infolgedessen hafte die F. , soweit die Verantwortlichkeit von J. B. für die Organisation des Vertriebs der Orderschuldverschreibungen der F. in Rede stehe, weil diese Tätigkeiten seiner Funktion als Organ der F. zuzuordnen sind. Dass J.B. die P. gezielt eingesetzt habe, um über die Vermittlung von Eigenverträgen der F. ein Provisionskarussell zu initiieren, das die wirtschaftliche Lage des Unternehmens fälschlich positiv darstellte, begründe sodann (auch) eine Haftung der P. 

Einer (zivilrechtlichen) Haftungsbegründung stehe zudem nicht entgegen, dass die Handlungen der I. isoliert betrachtet als neutral oder berufstypisch eingeordnet werden könnten, wenn die handelnde natürliche Person, wie hier, wisse, dass sie mit ihrem Beitrag eine strafbare Handlung fördere und damit eine Beihilfehandlung beginge (vgl. § 830 Abs. 2 BGB). Eine Schadensersatzpflicht könne zudem selbst dann bestehen, wenn der Geschädigte die Tatherrschaft des handelnden Organs nicht kannte.

Darüber hinaus sei der Anspruch des Klägers nicht verjährt. Selbst bei unterstellter Kenntnis, dass die betreffenden Unternehmen eine Unternehmensgruppe gebildet, mit dieser in einer unternehmerischen Verbindung gestanden und J. B. in beiden Gesellschaften eine Organstellung innegehabt habe, fehle beim Kläger die im Rahmen des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB erforderliche Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis über den insoweit entscheidenden Umstand, dass die P. durch das Handeln ihres Vorstands J. B. an betrügerischen Handlungen der F. aktiv beteiligt war, hier durch die Vermittlung von Eigenverträgen in nennenswertem Umfang sowie die Abführung von Provisionen an die F. 

Praxishinweis | BGH III ZR 137/24

In seinem Urteil vom 06. März 2025 (Az. III ZR 137/24) hat der BGH die dogmatischen Grundlagen der Konzernhaftung präzisiert und weiterentwickelt. Er stellte (erneut) klar, dass nach § 31 BGB verschiedene juristischen Personen, deren Organe mit einer personenidentischen natürlichen Person besetzt sind, die eine deliktische Handlung in dem ihr zugewiesenen Wirkungskreis und in „amtlicher“ Eigenschaft begangen hat, für den eingetretenen Schaden als Gesamtschuldner (§ 840 Abs. 1 BGB) haften. Unternehmen sind deshalb künftig gehalten, ihre Organe und damit Führungspersonen noch sorgfältiger auszuwählen und engmaschig zu überwachen.