BGH IX ZR 234/23
Wirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses und Partikularinsolvenzverfahren; Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters und liquidationslose Vollbeendigung der Gesellschaft

24.06.2025

Leitsatz | BGH IX ZR 234/23

  1. Der rechtskräftige Beschluss über die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ist vom Prozessgericht als gültig hinzunehmen, wenn ihm nicht ein offenkundiger, schwerer Fehler anhaftet, der zur Unwirksamkeit des Beschlusses führt.
  2. Kommt es infolge eines Ausscheidens des vorletzten Gesellschafters einer Personengesellschaft und einer dadurch bedingten liquidationslosen Vollbeendigung der Gesellschaft zu einem Übergang des Gesellschaftsvermögens auf den letzten Gesellschafter, ist ein Partikularinsolvenzverfahren über das Gesellschaftsvermögen möglich; Insolvenzschuldner ist der letzte Gesellschafter, auf den das Gesellschaftsvermögen übergegangen ist.
  3. Wird ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der unbemerkt bereits vollbeendeten Gesellschaft eröffnet, handelt es sich um ein von Anfang an wirksames Partikularinsolvenzverfahren über das Gesellschaftsvermögen in der Trägerschaft des verbliebenen Gesellschafters.

Sachverhalt | BGH IX ZR 234/23

2018 wurde durch Beschluss des Insolvenzgerichts über eine GmbH & Co. KG (Schuldnerin) das Insolvenzverfahren eröffnet. Einzige Kommanditistin der KG war zuletzt eine AG mit Sitz in der Schweiz. 2017 wurde die Kommanditistin wegen Vermögenslosigkeit aus dem Schweizer Handelsregister gelöscht. Das Insolvenzgericht beschloss 2020, dass der Eröffnungsbeschluss von 2018 dahingehend klargestellt werde, dass es sich um die Eröffnung eines Sonderinsolvenzverfahrens über das Vermögen der durch Ausscheiden der Kommanditistin liquidationslos erloschenen Schuldnerin, welches ihrer einzigen Komplementärin (GmbH) angewachsen sei, handle. 2020 machte der Insolvenzverwalter (Kl.) Ansprüche gegen die Bekl. geltend. Während er in der ersten Instanz weitgehend Erfolg hatte, wies das OLG auf die Berufung des Bekl. die Klage vollumfänglich ab, weil ein Insolvenzverfahren nicht wirksam eröffnet und der Kl. damit auch nicht wirksam zum Insolvenzverwalter bestellt worden sei und ihm deshalb die Sachbefugnis fehle. Dagegen wandte sich der Kl. mit der Revision vor dem BGH.

Entscheidung | BGH IX ZR 234/23

Auf die Revision des Kl. wurde das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. 

Der BGH führt zunächst aus, dass auch ein fehlerhafter rechtskräftiger Eröffnungsbeschluss des Insolvenzgerichts Bindungswirkung für andere Gerichte entfaltet, sofern der Beschluss nicht an einem derart schwerwiegenden Mangel leidet, dass er nichtig ist. U.a. ist dies der Fall, wenn das Insolvenzverfahren über eine nicht existente Gesellschaft eröffnet wird. Anders liegt es jedoch hier. Zwar ist die Schuldnerin erloschen, jedoch geht der BGH in Übereinstimmung mit einem Teil des Schrifttums davon aus, dass ein Partikularinsolvenzverfahren über das dem letzten verbliebenen Gesellschafter angewachsene Gesellschaftsvermögen möglich ist, wenn der vorletzte Gesellschafter ausscheidet und die Gesellschaft deswegen ohne liquidiert worden zu sein endigt. Schuldner des Insolvenzverfahrens ist dann der verbliebene Gesellschafter, wobei das Verfahren nur bezüglich des angewachsenen, ehemaligen Gesellschaftsvermögens betrieben wird und das sonstige Vermögen des Gesellschafters unangetastet bleibt. Bei der Begründung unterscheidet der Senat zwischen einem beschränkt und einem unbeschränkt haftenden Gesellschafter. Bei ersterem stellt er v.a. auf die Schutzwürdigkeit des Schuldners ab. Wenn der Übergang des Gesellschaftsvermögens auf den beschränkt haftenden Gesellschafter außerhalb des Insolvenzverfahrens nur zu der Pflicht führt, die Vollstreckung in das ehemalige Gesellschaftsvermögen zu dulden (so die Rechtsprechung des BGH), so kann im Insolvenzverfahren nichts anderes gelten. Was den – wie im vorliegenden Fall – unbeschränkt haftenden Gesellschafter angeht, so zieht der BGH zum Schutz der Gesellschaftsgläubiger eine Parallele zum Nachlassinsolvenzverfahren, welches trotz unbeschränkter Erbenhaftung eröffnet werden kann (§ 316 Abs. 1 InsO). Die Gläubiger des Gesellschaftsvermögens sollen sich darauf verlassen können, dass die Privatgläubiger des Gesellschafters nicht auch auf dieses zugreifen können. Es gebe auch keinen Grund, den Privatgläubigern den Zugriff auf dieses Vermögen zu eröffnen.

Letztlich stellt der BGH fest, dass auch die Tatsache, dass die bereits erloschene Gesellschaft im Eröffnungsbeschluss statt des Gesellschafters benannt ist, diesen nicht unwirksam macht. Auch insoweit wird ein Verweis auf das Nachlassinsolvenzverfahren angestellt (die Anwachsung des Gesellschaftsvermögens wird insoweit der Gesamtrechtsnachfolge aus § 1922 BGB gleichgesetzt), zu welchem es automatisch kommt, wenn der Erblasser, über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, verstirbt. Dies gilt auch, wenn das Insolvenzverfahren in Unkenntnis des Todes mit dem Erblasser statt dem Erben als Schuldner eröffnet wird. Dadurch wird den Bestand der Insolvenzmasse geschützt, indem das Insolvenzverfahren nicht unterbrochen werden muss und die Masse in Beschlag bleiben kann. 

Praxishinweis | BGH IX ZR 234/23

  1. Ein rechtskräftiger Insolvenzeröffnungsbeschluss ist wirksam, auch wenn er rechtswidrig ist. Dies gilt nur dann nicht, wenn er an einem derart gravierenden Mangel leidet, dass er nichtig ist.
  2. Ein solcher Mangel ist nicht die Eröffnung ggü. einer liquidationslos erloschenen Gesellschaft, deren Vermögen einem (beschränkt oder unbeschränkt haftenden) Gesellschafter angewachsen ist.
  3. Welche Voraussetzungen für die wirksame Eröffnung eines Partikularinsolvenzverfahrens genau erfüllt sein müssen, lässt der Senat mangels Entscheidungserheblichkeit offen, da es ihm allein auf die Frage einer etwaigen Nichtigkeit des Eröffnungsbeschlusses aufgrund eines schwerwiegenden Mangels ankam. Insbesondere bleibt die Frage offen, ob die beiden Haftungsmassen (Gesellschafts- und Gesellschaftervermögen) entsprechend § 27 HGB verschmolzen sind, was zur Rechtswidrigkeit der Eröffnung des Partikularinsolvenzverfahrens führen würde.