LG München I 27 O 3771/24
Keine Anfechtung der Verfügungen der Erblasserin durch Insolvenzverwalter des Erben

07.11.2025

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

LG München I
11.04.2024
27 O 3771/24
BeckRS 2024, 7569

Leitsatz | LG München I 27 O 3771/24

  1. Die Anfechtung von Rechtshandlungen des Erblassers durch den Insolvenzverwalter über das Vermögen des Erben würde dem gesetzgeberischen Zweck der Nachlassinsolvenz widersprechen, die ein geordnetes Verfahren für den Fall vorsieht, dass die Nachlassverbindlichkeiten den Nachlass übersteigen.
  2. Sind die Vermögenswerte des Nachlasses für eine Befriedigung der Nachlassverbindlichkeiten ausreichend, liegt keine Gläubigerbenachteiligung vor. Eine solche wäre für eine Anfechtung aber stets erforderlich.
  3. Sind die Vermögenswerte des Erblassers nicht ausreichend, um dessen Gläubiger zu befriedigen, ist der Nachlass überschuldet. In diesem Fall ist der Erbe nach § 1980 Abs. 1 BGB verpflichtet, unverzüglich einen Antrag auf Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens zu stellen. Die Vermögenswerte des Nachlasses stehen dann ausschließlich den Nachlassgläubigern zur Verfügung und es ist diesbezüglich eine Sondermasse zu bilden.
  4. Bei der Gesamtrechtsnachfolge durch Erbschaft besteht keine gesetzliche Grundlage dafür, neben dem Nachlassinsolvenzverfahren noch ein zweites Verfahren, wie die Anfechtung von Rechtsgeschäften des Erblassers durch den Insolvenzverwalter des Erben nach § 134 InsO, zuzulassen, da eine Nachlassinsolvenz bereits gewährleistet, dass die Vermögenswerte des Erblassers vorrangig dessen Gläubigern zur Verfügung stehen. 

Sachverhalt | LG München I 27 O 3771/24

Die Parteien streiten im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens darüber, ob der Insolvenzverwalter des Erben Verfügungen der Erblasserin nach § 134 InsO anfechten kann. Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen des Insolvenzschuldners. Dieser war Ehemann und ist Erbe der im September 2021 verstorbenen Erblasserin. Die Erblasserin war Eigentümerin eines Grundstücks, das mit einer Grundschuld in Höhe von 2,36 Mio. EUR belastet war. Die Grundschuld sicherte eine valutierte Forderung gegenüber der Beklagten in Form einer Drittsicherheit. Die Erblasserin war also nicht Schuldnerin der gesicherten Forderung. Mit notariellem Kaufvertrag vom 30. Januar 2018 veräußerte die Erblasserin das Grundstück an die Beklagte. Diese übernahm als Gegenleistung die valutierte Grundschuld. Der klagende Insolvenzverwalter begehrt nun die Eintragung einer Vormerkung zur Sicherung eines Insolvenzanfechtungsanspruchs aus § 143 i.V.m. § 134 InsO, da das Grundstück einen tatsächlichen Wert von über 7,1 Mio. EUR habe. Aufgrund der Gesamtrechtsnachfolge sei er anfechtungsberechtigt. Dabei sei es unerheblich, dass der Insolvenzschuldner nicht am Kaufvertrag über da Grundstück beteiligt war, da er Gesamtrechtsnachfolger der Erblasserin sei. Der Insolvenzverwalter könne die Rechtshandlungen der Erblasserin anfechten, da er für das gesamte Vermögen einheitlich verantwortlich sei. Mit Beschluss vom 18. März 2024 erließ das AG München die beantragte einstweilige Verfügung. Die Beklagte legte daraufhin Widerspruch ein. Der Insolvenzverwalter beantragt nun die Bestätigung der einstweiligen Verfügung. 

Entscheidung | LG München I 27 O 3771/24

Das LG München I hat die einstweilige Verfügung des AG auf den Widerspruch der Beklagten aufgehoben und den Antrag auf einstweilige Verfügung zurückgewiesen. 

Nach Auffassung des Gerichts hat der Insolvenzverwalter keinen Anspruch auf Eintragung einer Vormerkung, denn es besteht kein Anfechtungsanspruch nach § 143 Abs. 1 S. 1 InsO i.V.m. § 134 InsO. Ein solcher Anspruch setzt voraus, dass eine unentgeltliche Leistung des Insolvenzschuldners vorliegt. Hieran fehlt es, da es sich bei dem notariellen Kaufvertrag nicht um eine Leistung des Insolvenzschuldners handelt. Der Vertrag wurde zwischen der Erblasserin und der Beklagten geschlossen, der Insolvenzschuldner war hingegen am Vertragsschluss gar nicht beteiligt. Der Insolvenzschuldner ist zwar nach § 1922 Abs. 1 BGB Gesamtrechtsnachfolger der Erblasserin geworden. Das führt aber nicht dazu, dass hierdurch unentgeltliche Handlungen der Erblasserin nach § 134 InsO angefochten werden können. Die Vorschrift des § 134 InsO bezweckt den Schutz der Insolvenzgläubiger gegen unentgeltliche Leistungen des Insolvenzschuldners. Der in Vermögensverfall geratene Insolvenzschuldner soll sich nicht auf Kosten seiner Gläubiger freigiebig zeigen dürfen. Da die Grundstücksübertragung nicht durch den Insolvenzschuldner, sondern durch die Erblasserin erfolgte, kann sie nicht zu einer Vermögensminderung des Insolvenzschuldners, sondern allenfalls zu einer Minderung des Vermögens der Erblasserin geführt haben. Auf dieses hatten die erst später hinzukommenden Gläubiger des Insolvenzschuldners aber keinen Zugriff. Dieser konnte erst durch den Erbfall entstehen.
 
Bei der Gesamtrechtsnachfolge im Wege einer Erbschaft ist eine Anfechtung von Rechtshandlungen des Erblassers durch den Insolvenzverwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen des Erben als Insolvenzschuldner auch nicht notwendig. Wenn die Vermögenswerte des Erblassers ausreichen, um die Nachlassverbindlichkeiten zu befriedigen, werden die Gläubiger des Erblassers nicht benachteiligt. Reichen die Vermögenswerte des Erblassers nicht zur Befriedigung der Gläubiger aus, ist der Nachlass überschuldet. In diesem Fall muss der Erbe nach § 1980 Abs. 1 BGB unverzüglich einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellen. Diese Pflicht trifft auch den Insolvenzverwalter des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Erben. In diesem Fall stehen die Vermögenswerte des Nachlasses gemäß § 325 InsO ausschließlich den Nachlassgläubigern zur Verfügung. Diesbezüglich ist eine Sondermasse zu bilden und es kommt in jedem Fall zu einer notwendigen Trennung der Vermögensmassen. Eine Zulassung der Anfechtung von Verfügungen des Erblassers durch den Insolvenzverwalter würde im vorliegenden Fall dem gesetzgeberischen Zweck der Nachlassinsolvenz widersprechen. Diese sieht ein geordnetes Verfahren für den Fall vor, dass die Nachlassverbindlichkeiten den Nachlass übersteigen. Damit besteht keine Notwendigkeit und auch keine gesetzliche Grundlage für die Zulassung einer solchen Anfechtung.

Weiterhin ist zu beachten, dass durch die Zulassung einer Anfechtung von Rechtsgeschäften der Erblasserin durch den Insolvenzverwalter des Erben die gesetzlich vorgesehenen Fristen unterlaufen werden könnten. Die Frist des § 134 Abs. 1 InsO beginnt mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Ließe man die Anfechtung zu, würde es für die Frist auf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens des Erben ankommen. Wenn nun der Erbfall im laufenden Insolvenzverfahren erfolgt, könnten Rechtsgeschäfte anfechtbar werden, die bei Durchführung des Nachlassinsolvenzverfahrens außerhalb der Frist des § 134 InsO liegen würden. 

Praxishinweis | LG München I 27 O 3771/24

Die Entscheidung des LG München I hat Zuspruch verdient. Für den Insolvenzverwalter besteht im Fall einer Erbschaft grundsätzlich keine Möglichkeit, Rechtshandlungen der Erblasser anzufechten. Für ein solches Anfechtungsrecht besteht keine Notwendigkeit, da das Gesetz im Falle der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung des Nachlasses die Durchführung des Nachlassinsolvenzverfahrens vorsieht. Darin unterscheidet sich die vorliegende Konstellation von der gesellschaftsrechtlichen Gesamtrechtsnachfolge, bei der Anfechtungsmöglichkeiten nach der Rechtsprechung des BGH bestehen bleiben. Zur Vermeidung von Schadensersatzansprüchen hat der Insolvenzverwalter somit nur die Insolvenzreife des Nachlasses zu prüfen und unverzüglich die Eröffnung eines Nachlassinsolvenzverfahrens zu beantragen. Wenn der Nachlass nicht insolvenzreif war, fehlt es an der erforderlichen Gläubigerbenachteiligung, da diese vor Eintritt des Erbfalls keinen Zugriff auf das Vermögen des Erblassers hatten und durch dessen Verfügungen überhaupt nicht beeinträchtigt werden konnten (RA Philipp Mohr, VIA 2024, 69).