OLG München 17 U 3472/23e
Mündliche Vereinbarungen zur Gewinnverteilung in Steuerberatersozietät bei qualifizierter Schriftformklausel unwirksam

24.10.2025

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG München
12.05.2025
17 U 3472/23e
DStR 2025, 1594

Leitsatz | OLG München 17 U 3472/23e

  1. Unter kaufleuteähnlichen Personen sind mündliche Vereinbarungen, die qualifizierte Schriftformklauseln in einem Gesellschaftsvertrag abändern sollen, unwirksam.
  2. Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht begründet keine Anpassung des Gewinnanteils oder eines Geschäftsführergehalts ohne vertragliche Vereinbarung.
     

Sachverhalt | OLG München 17 U 3472/23e

Die Parteien streiten um Auseinandersetzungsansprüche aus der gemeinsamen Zwei-Personen-Steuerberater-GbR, die von 1995 bis 2020 bestand. Die Beklagte schied zum 31.12.2020 aus, sodass die Klägerin sich in Liquidation befindet, da ihr einziger Gesellschafter nun alleiniger Inhaber ist. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Feststellungen des LG München I vom 18.7.2023 verwiesen, ergänzt durch nachfolgende Änderungen.

Der Gesellschaftsvertrag von 1995 sowie die Nachträge I, II von 1998 und die Vereinbarung von 2007 enthalten durchgehend Schriftformklauseln, die mündliche Abreden oder Änderungen für unwirksam erklären. Tatsächlich vereinbarten die Parteien jedoch von Beginn an mündliche Vorwegentnahmen: zunächst 15.000 DM pro Monat und Gesellschafter, ab 2002 jeweils 92.040 EUR pro Jahr und ab 2012 mindestens 118.800 EUR jährlich für die Beklagte, jeweils ohne Anrechnung auf den Gewinn. Die Beklagte behauptet zudem, dass ab Mitte 2011 eine neue mündliche Regelung getroffen wurde, wonach der Inhaber der Klägerin nur noch 4.000 EUR monatlich zzgl. Einkommensteuervorauszahlungen erhielt und die Beklagte den übrigen Gewinn erhielt.

Unter Zugrundelegung des bestrittenen Klägervortrags beansprucht die Beklagte ab 2013 einen Ersatz für Einkommensteuervorauszahlungen in Höhe von mindestens 90.000 EUR jährlich. Das LG München I stellte mit Urteil vom 18.07.2023 fest, dass in der Auseinandersetzungsrechnung der Klägerin ein unselbständiger Rechnungsposten von 651.820,49 EUR wegen Überentnahmen der Beklagten im Zeitraum von 1995 bis 2019 einzustellen ist.

Die Beklagte hat Berufung eingelegt mit dem Ziel, das Urteil aufzuheben und die Klage ab- oder zurückzuweisen, während die Klägerin die Berufung kostenpflichtig zurückweisen lassen möchte. In der Berufungsinstanz wurden die Parteien erneut schriftlich angehört. Beweis erhob der Senat durch die uneidliche Einvernahme der Zeugin M.-L., die Anhörung der Beklagten und die Einholung eines Sachverständigengutachtens, da der Inhaber der Klägerin als Partei nicht vernehmungsfähig war.

Entscheidung | OLG München 17 U 3472/23e

Die Klägerin ist ordnungsgemäß vertreten. Nach dem Gutachten des Sachverständigen B. S. vom 28.9.2024 ist der Inhaber der Klägerin geistig in der Lage, seinen Willen frei und unbeeinflusst zu bilden. Anhaltspunkte für eine dementielle Erkrankung oder schwere geistige Beeinträchtigungen liegen nicht vor. Aufgrund körperlicher und emotionaler Schwäche ist er jedoch nicht verhandlungsfähig, weshalb er nicht persönlich an Gerichtsverhandlungen teilnehmen kann. Die Vertretung durch die Zeugin M.-L., die über eine Betreuungsvollmacht für ihren Vater verfügt, bleibt daher bestehen.

Da die Beklagte zum 31.12.2020 aus der GbR ausgeschieden ist, ist der verbleibende Gesellschafter der Klägerin befugt und verpflichtet, die Gesellschaft in Liquidation zu führen und sie gerichtlich zu vertreten. Die Klage ist daher zulässig. Ein Vermittlungsverfahren vor der Steuerberaterkammer (§ 7 Abs. 3 BOStB) war nicht erforderlich; die Klägerin hat ohnehin eine gütliche Einigung angestrebt. Ebenso hindert die Schlichtungsklausel im Sozietätsvertrag von 1995 die Klage nicht, da sie nicht zwischen der Klägerin als juristischer Person und der Beklagten, sondern zwischen den Gesellschaftern geschlossen wurde. Vorgänge aus dem Jahr 2020 betreffen lediglich die Teilauseinandersetzung bis 2019 und sind daher unerheblich.

Die Klägerin ist als Gesellschaft in Liquidation aktivlegitimiert. Nach § 17 des Sozietätsvertrags von 1995 tritt der verbleibende Gesellschafter allein auf, sodass die Beklagte keinen Einfluss mehr hat.

Hinsichtlich der Gewinnverteilung für die Jahre ab 2011 ist der Senat überzeugt, dass eine mündliche Vereinbarung getroffen wurde: Der Inhaber der Klägerin sollte monatlich 4.000 EUR plus Einkommensteuervorauszahlungen erhalten, während der Rest des Gewinns an die Beklagte ging. Die Anhörungen der Parteien und der Zeugin M.-L. ergaben widersprüchliche Angaben, doch insgesamt hielt der Senat den Vortrag der Beklagten für glaubhaft.

Diese mündliche Vereinbarung ist aufgrund der qualifizierten Schriftformklausel in § 4 Abs. 1 der Vereinbarung von 2007 jedoch unwirksam. Damit sind zulasten der Beklagten für die Jahre 1995–2019 insgesamt 1.845.009,40 EUR in die Auseinandersetzungsbilanz einzustellen. Die Rechtsprechung des BGH bestätigt die Wirksamkeit solcher qualifizierten Schriftformklauseln auch bei kaufleuteähnlichen freien Berufen. Eine Anwendung von § 242 BGB zur Umgehung der Schriftform sieht der Senat nicht, da die Beklagte hierzu keinen Vortrag gemacht hat.

Für die Jahre 1995 und 1996 waren Vorabpauschalen des Inhabers der Klägerin in Höhe von 25.000 DM bzw. 50.000 DM vereinbart; ab 1997 ergab sich eine Vorwegvergütung von 4,25 % der eingebrachten Vermögenswerte. Mit dem Nachtrag von 1998 sank die Beteiligung des Inhabers auf 75 %, die der Beklagten auf 25 %, was zu einem entsprechenden Vermögensanteilsfaktor führte. Der Nachtrag von 2007 änderte diese Regelung nicht. Jahresabschlüsse für die Jahre bis 2010 sind unstrittig; ab 2011 wurden die Vorwegentnahmen des Inhabers auf 4.000 EUR pro Monat zzgl. Einkommensteuervorauszahlungen geschätzt. Für die Beklagte sind jährliche Vorwegentnahmen von 118.800 EUR sowie Einkommensteuervorauszahlungen von geschätzt 29 % ihres Gewinnanteils zu berücksichtigen, woraus sich ein Betrag von 484.966,35 EUR zu Lasten der Beklagten ergibt.

Schließlich kann sich die Beklagte auch nicht auf eine gesellschaftsrechtliche Treuepflicht berufen, da die Vorwegvergütung ab 2012 erhöht wurde und sie bereits 2011 die Möglichkeit gehabt hätte, auf eine andere Gewinnverteilung zu dringen oder die Gesellschaft zu kündigen. Eine Treuepflichtverletzung ist daher nicht ersichtlich.

Praxishinweis | OLG München 17 U 3472/23e

Für die Praxis zeigt die Entscheidung deutlich, wie wichtig eine saubere Vertragsgestaltung und -umsetzung in Gesellschaften ist. Gesellschaftsverträge mit qualifizierten Schriftformklauseln entfalten volle Wirkung: Änderungen oder Ergänzungen müssen daher zwingend schriftlich erfolgen, andernfalls sind sie unwirksam – auch dann, wenn sie über Jahre hinweg umgesetzt wurden. Wer eine abweichende Gewinnverteilung oder zusätzliche Vorwegentnahmen vereinbaren möchte, sollte dies daher stets in schriftlicher Form und mit Unterschrift aller Gesellschafter festhalten, um spätere Streitigkeiten zu vermeiden.

Zugleich macht die Entscheidung klar, dass sich Gesellschafter nicht auf die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht berufen können, um nachträglich eine Anpassung von Gewinnanteilen oder Geschäftsführervergütungen durchzusetzen. Ohne vertragliche Grundlage besteht hierfür kein Anspruch. Daher ist es ratsam, bereits bei Vertragsschluss Regelungen für besondere Situationen – etwa Krankheit eines Partners oder stark veränderte Arbeitsbelastung – vorzusehen.

Für Gesellschaften in Liquidation bestätigt das Urteil, dass sie weiterhin aktivlegitimiert bleiben und durch den verbleibenden Gesellschafter vertreten werden können. Ansprüche lassen sich also auch nach Ausscheiden eines Gesellschafters noch wirksam durchsetzen. Schließlich wird klargestellt, dass berufsständische Vermittlungsverfahren, wie sie in der Berufsordnung für Steuerberater vorgesehen sind, keine formale Voraussetzung für eine Klage darstellen. Diese Verfahren dienen lediglich dem Versuch einer einvernehmlichen Lösung, schränken aber den Zugang zu den ordentlichen Gerichten nicht ein.

Insgesamt verdeutlicht die Entscheidung, dass klare schriftliche Regelungen, regelmäßige Vertragsüberprüfungen und vorausschauende Gestaltung von zentraler Bedeutung sind, um rechtliche und wirtschaftliche Risiken zu vermeiden.