BAG 10 AZR 67/24
Verfall von virtuellen Optionsrechten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses

22.10.2025

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BAG
19.03.2025
10 AZR 67/24
ZIP 2025, 1557

Leitsatz | BAG 10 AZR 67/24

Bestimmt eine Verfallklausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, dass zugunsten des Arbeitnehmers „gevestete“ virtuelle Optionsrechte nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund einer Eigenkündigung sofort verfallen, benachteiligt diese den Arbeitnehmer unangemessen (§ 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB). Das Gleiche gilt für eine Klausel, die vorsieht, dass die „gevesteten“ virtuellen Optionsrechte nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses doppelt so schnell verfallen, wie sie innerhalb der sog. „Vesting-Periode“ entstanden sind.

Sachverhalt | BAG 10 AZR 67/24

Der Kläger war im Zeitraum vom 1. April 2018 bis zum 31. August 2020 bei der Beklagten beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde durch eine fristgerechte Eigenkündigung des Klägers beendet. Im Jahr 2019 erhielt er von der Beklagten ein Angebot zur Zuteilung von 23 virtuellen Aktienoptionsrechten („Allowance Letter“), das er durch eine gesonderte Annahmeerklärung annahm.

Nach den Regelungen des Employee Stock Option Programms (ESOP) ist die Ausübung der virtuellen Optionen, die zu einem Zahlungsanspruch gegenüber der Beklagten führen kann, abhängig vom Ablauf einer Vesting-Periode sowie dem Eintritt eines sogenannten Ausübungsereignisses, beispielsweise einem Börsengang. Die dem Arbeitnehmer zugeteilten Optionen wurden nach einer Mindestwartezeitvon zwölf Monaten innerhalb einer vierjährigen Vesting-Periode gestaffelt ausübbar. Zeiten einer Freistellung ohne Vergütungsanspruch führen zur Unterbrechung der Vesting-Periode.

Gemäß Ziffer 4.2 ESOP verfallen bereits ausübbare („gevestete“), jedoch noch nicht ausgeübte virtuelle Optionen, wenn das Arbeitsverhältnis durch Eigenkündigung des Arbeitnehmers beendet wird. Darüber hinaus regelt Ziffer 4.5 ESOP, dass ausübbare, aber nicht ausgeübte Optionen binnen zwei Jahren nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses sukzessive verfallen.

Beim Ausscheiden des Klägers waren 31,25 % der ihm zugeteilten Optionen bereits „gevestet“. Mit Schreiben vom 2. Juni 2022 machte er seinen Anspruch auf Ausübung dieser Optionen geltend. Die Beklagte wies den Anspruch unter Berufung auf den Verfall der Optionen zurück.

Der Kläger vertrat die Ansicht, dass die ihm zugeteilten und bereits „gevesteten“ Optionen trotz Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht verfallen seien. Die zugrunde liegenden Verfallklauseln seien unwirksam, da die Optionen einen wesentlichen Bestandteil seines Vergütungspakets dargestellt hätten. Die Voraussetzungen für die Ausübbarkeit habe er durch seine Arbeitsleistung während der Vesting-Periode erfüllt, womit der Anreizcharakter des Programms erfüllt worden sei.

Demgegenüber argumentierte die Beklagte, die virtuellen Optionen seien mit der Eigenkündigung des Klägers verfallen. Ziel des Optionsprogramms sei es gewesen, die Betriebstreue bis zum Eintritt eines Ausübungsereignisses zu honorieren. Es handle sich lediglich um eine Verdienstchance, nicht um einen bereits verdienten Lohnbestandteil, sodass bei einem Verfall kein verdienter Lohn entzogen werde.

Die Vorinstanzen wiesen die vom Kläger erhobene Feststellungsklage ab. Dagegen legte der Kläger Revision ein. 

Entscheidung | BAG 10 AZR 67/24

Die Revision hatte in der Sache Erfolg. Nach Ansicht des Senats waren die bereits „gevesteten“ virtuellen Optionen nicht verfallen. Bei den Regelungen zum Mitarbeiterbeteiligungsprogramm handele es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB, wobei die Klauseln, die einen Verfall der Optionen bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorsehen, einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht standhielten. 

Der Senat stellte fest, dass die durch teilweisen Ablauf der Vesting-Periode „gevesteten“ virtuellen Optionen eine Gegenleistung für die vom Kläger in dieser Zeit im aktiven Arbeitsverhältnis erbrachte Arbeitsleistung darstellten. Dies ergebe sich insbesondere aus der Regelung im ESOP, wonach die Vesting-Periode während Zeiträumen unterbrochen werde, in denen der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Vergütung erlange, Ein sofortiger Verfall bereits „gevesteter“ Optionen nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses berücksichtige das Interesse des Arbeitnehmers, der seine Arbeitsleistung bereits vollständig erbracht habe, nicht angemessen und widerspreche dem Rechtsgedanken des § 611a Abs. 2 BGB.

Darüber hinaus liege in einer solchen Regelung eine unangemessene Erschwerung der Kündigung, da der Optionsberechtigte zur Vermeidung einer möglichen Vermögenseinbuße das Arbeitsverhältnis vor einem ungewissen Ausübungsereignis nicht kündigen dürfe. Das BAG gibt damit seine bisherige Rechtsprechung (BAG v. 28.05.2008 – 10 AZR 351/07) ausdrücklich auf. 

Auch die Regelung in Nr. 4.5 ESOP benachteilige den ausscheidenden Arbeitnehmer bei typisierender Betrachtung in unangemessener Weise. Zwar trage die dort vorgesehene schrittweise Reduzierung der ausübbaren Optionen dem Umstand Rechnung, dass der Einfluss des Arbeitnehmers auf den Unternehmenswert mit der Zeit abnehme. Sie lasse jedoch – ausgehend von der hier geregelten Vesting-Periode von vier Jahren und der enthaltenen Mindestwartezeit von einem Jahr – zu, dass die dem Arbeitnehmer zugeteilten virtuellen Optionen doppelt so schnell verfielen, wie sie „gevestet“ seien. Damit ließe sie die Zeit, die der Arbeitnehmer durch Erbringung seiner Arbeitsleistung in der Vesting-Periode für die ausübbaren Optionsrechte aufgewandt habe, unberücksichtigt, ohne dass die kürzere Verfallfrist durch entgegenstehende Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt sei.

Praxishinweis | BAG 10 AZR 67/24

Das aktuelle Urteil des BAG könnte weitreichende Auswirkungen auf die betriebliche Praxis von Unternehmen haben, die Mitarbeiterbeteiligungen gewähren. Viele in diesem Zusammenhang bestehende Aktienoptionspläne und andere aktienkursabhängige Vergütungsmodelle enthalten Verfallklauseln, die sich auf die genannte (bislang) arbeitgeberfreundliche Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2008 stützen. Mit der aktuellen Entscheidung rückt jedoch eine Neubewertung dieser Regelungen in den Fokus.

Sobald die vollständigen Urteilsgründe veröffentlicht und ausgewertet sind, empfiehlt sich eine sorgfältige Überprüfung laufender Beteiligungsprogramme. Gegebenenfalls sollten diese an die veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen angepasst werden, um rechtliche Risiken zu minimieren. Gleichermaßen empfiehlt es sich die betreffenden Arbeitsverträge auf (wirksame) Ausschlussfristen zu überprüfen, um mögliche Nachforderungen abschätzen zu können.