LSG Schleswig-Holstein L 10 BA 10034/21 B ER
Abhängige Beschäftigung des Liquidators einer GmbH

26.08.2022

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

LSG Schleswig-Holstein
27.12.2021
L 10 BA 10034/21 B ER
BeckRS 2021, 42207

Leitsatz | LSG Schleswig-Holstein L 10 BA 10034/21 B ER

  1. Die sozialversicherungsrechtliche Statusbeurteilung eines für eine GmbH tätigen Liquidators ist nach denselben Grundsätzen vorzunehmen, die bei der Staatsprüfung eines GmbH-Geschäftsführers Anwendung finden. (Rn. 35)
  2. Ein Liquidator, der nicht am Gesellschaftskapital beteiligt ist, steht daher grundsätzlich in einem Beschäftigungsverhältnis zu der GmbH. Daran ändert sich nach dem Grundsatz der Nachrangigkeit des Anstellungsvertrages im Verhältnis zum gesellschaftsrechtlichen Organverhältnis auch dann nichts, wenn der Liquidator dienstvertraglich weisungsfrei und faktisch wie ein selbständiger Unternehmer die Geschäfte der abzuwickelnden GmbH führt. (Rn. 35)
  3. Eine Prüfmitteilung im Sinne des § 7 Abs. 4 BVV stellt mangels in ihr enthaltener Regelung keinen Verwaltungsakt dar. Deshalb folgt aus der eine beanstandungsfreie Arbeitgeberprüfung attestierenden Prüfmitteilung zugunsten des Arbeitgebers kein Vertrauensschutz im Hinblick auf die Richtigkeit des mitgeteilten Prüfergebnisses. (Rn. 40)
  4. Eine wirksame Aufrechnung des Schuldners gegen eine Sozialversicherungsbeitragsforderung mit einer rechtswegfremden Gegenforderung kommt nur in Betracht, wenn die Gegenforderung unbestritten oder rechtskräftig festgestellt ist. (Rn. 43)

 

Sachverhalt | LSG Schleswig-Holstein L 10 BA 10034/21 B ER

Die Antragstellerin entstand durch formwechselnde Umwandlung der Bank C AG auf Grundlage des Umwandlungsbeschlusses und des Gesellschaftsvertrages, welche beide am 22.08.2006 beschlossen wurden. Daraufhin wurde im Handelsregister am 29.09.2006 bekanntgemacht, dass der Beigeladene zum alleinvertretungsberechtigten und vom Selbstkontrahierungsverbot befreiten Geschäftsführer der Antragstellerin bestellt worden war. Anschließend wurde die Antragstellerin mit Liquidationsbeschluss vom 30.12.2006 aufgelöst und der Beigeladene am 06.03.2008 zum alleinigen Liquidator bestimmt. Der Tätigkeit des Beigeladenen als Liquidator liegt kein schriftlicher Anstellungs- bzw. Arbeitsvertrag zugrunde. Trotzdem erhält er von der Antragstellerin jedenfalls seit Beginn des Jahres 2016 eine gleichbleibende Vergütung von 4.000 Euro brutto monatlich. Die alleinige Gesellschafterin mit Verfügung über das Stammkapital i.H.v. 12.300.000 Euro ist die C1 SA aus Luxemburg.

Die Antragsgegnerin führte in der Vergangenheit wiederholt Betriebsprüfungen bei der Antragstellerin durch. Allerdings führten keine der beiden Prüfungen zu Feststellungen hinsichtlich des Gesamtsozialversicherungsbeitrags. Der Beigeladene war während der Prüfungszeiträume, zumindest seit dem 06.03.2008, als Liquidator tätig. Da die Antragstellerin und der Beigeladene davon ausgingen, dass er die Tätigkeit selbstständig erbringen würde, war der Beigeladene nicht zur Sozialversicherung angemeldet. Daher ist er sei dem 01.09.2008 bei der BARMER als hauptberuflich Selbstständiger krankenversichert. Seit dem 01.04.2019 bezieht der Beigeladene altersbedingt Vollrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung.

Mit Bescheid vom 18.03.2021 stellte die Antragsgegnerin nach erfolgter Anhörung gegenüber der Antragsgegnerin fest, dass der Beigeladene wegen seiner früheren Tätigkeit als Geschäftsführer und seiner Tätigkeit als Liquidator seit dem 29.09.2006 bzw. 07.03.2008 in einem Beschäftigungsverhältnis zu der Antragstellerin stehe. Er sei aufgrund seiner entgeltlichen Beschäftigung versicherungspflichtig in der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung. Außerdem sei er bis zum Beginn des Altersrentenbezugs in der Rentenversicherung versicherungspflichtig gewesen, wobei seit dem 01.04.2019 weiterhin die Arbeitgeberanteile zu den Beiträgen zu entrichten waren. Gleiches gelte für die gesetzliche Arbeitslosenversicherung, mit der Ausnahme das aufgrund einer Versicherungsfreiheit nur die Arbeitgeberanteile für den Zeitraum vom 01.05 bis 31.12.2016 geschuldet seien. Außerdem seien Beiträge zum Umlageverfahren betreffend Mutterschutzaufwendungen der Arbeitgeber sowie Beiträge zur Insolvenzgeldumlage nachzufordern. Damit ergebe sich eine Nachzahlung für den Prüfzeitraum vom 01.01.2016 bis zum 31.12.2019 eine Beitragsnachforderung i.H.v. 69.448,80 Euro.

Die Antragstellerin erhob am 31.03.2021 Widerspruch gegen den Bescheid und beantragte zugleich die Aussetzung der Vollziehung. Die Aussetzung der Vollziehung lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 03.05.2021 ab. In der Folgezeit half die Antragstellerin dem Widerspruch teilweise ab. Im Hinblick auf die Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung habe die Antragstellerin hinreichende Beweise der BARMER vorgelegt, weshalb sich die Beitragsforderung auf insgesamt 34.000,80 Euro reduziere.

Letztlich hatte die Antragstellerin am 08.06.2021 das vorliegende Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor dem Sozialgericht Kiel angestrengt. Gegen den darauffolgenden ablehnenden Beschluss erhob die Antragstellerin am 15.10.2021 Beschwerde.

Entscheidung | LSG Schleswig-Holstein L 10 BA 10034/21 B ER

Die statthafte Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Allerdings ist sie im Ergebnis unbegründet.

Ob die aufschiebende Wirkung ausnahmsweise gemäß § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG durch das Gericht angeordnet wird, hinge an einer umfassenden Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen, namentlich des Aufschubinteresses der Antragstellerin und des öffentlichen Interesses an der Vollziehung des Verwaltungsakts. Dabei sei auch zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen und ob dessen Vollziehung für die Antragstellerin eine unbillige Härte zur Folge hätte. Für ein überwiegendes Aufschubinteresse müsse es solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides geben, die einen Erfolg des Rechtsbehelfs, also des Widerspruchs der Antragstellerin vom 31.03.2021, zumindest überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen.
Die Betriebsprüfentscheidung der Antragsgegnerin stelle sich jedoch nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als rechtswidrig dar. Die Rechtsgrundlage für die Prüfung sei § 28p Abs. 1 S. 5 SGB IV. In Bezug auf das Bestehen der Renten- und Arbeitslosenversicherungspflicht seien Personen versicherungspflichtig, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind. An einem Beschäftigungsverhältnis im Rechtssinne zwischen der Antragstellerin und dem Beigeladenen hat der Senat keine Zweifel. Anhaltspunkte für eine nichtselbstständige Arbeit sei die Weisungsabhängigkeit und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Für die Bewertung werden alle Umstände des Einzelfalls in die Gesamtabwägung einbezogen. Für Geschäftsführer einer GmbH stelle das BSG im Ergebnis maßgeblich auf die gesellschaftsvertraglichen bzw. gesellschaftsrechtlichen Rechtsmachtverhältnisse, in denen dieser seine Tätigkeit erbringt, ab. Demnach komme es hauptsächlich darauf an, ob dem Geschäftsführer so viel Rechtsmacht verliehen wurde, dass er ihm nicht genehme Weisungen verhindern oder Beschlüsse beeinflussen kann, die sein Anstellungsverhältnis betreffen. Bei einem Geschäftsführer, der am Stammkapital nicht beteiligt ist, sah das BSG in einer vergangenen Entscheidung eine Weisungsabhängigkeit und damit eine nichtselbstständige Tätigkeit. Der Senat ist der Ansicht, dass für einen nicht am Gesellschaftskapital beteiligten Liquidator nichts anderes gelten könne. Denn die zentrale Entscheidungskompetenz der Alleingesellschafterin bestehe aufgrund der §§ 37, 46 GmbHG auch gegenüber dem Liquidator. Mithin bestand für den Beigeladenen im streitbefangenen Zeitraum eine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung. Dagegen sprechen auch nicht früher ergangene Betriebsprüfungen, die feststellten, dass der Beigeladene seine Tätigkeit sozialversicherungsfrei erbringe. Dies sei der Fall, da von der Antragsgegnerin keine einer rechtlichen Bindungswirkung i.S.d. § 77 SGG zugänglichen Feststellungen über das Bestehen von Sozialversicherungsfreiheit des Beigeladenen getroffen wurde.

Dass die Vollziehung der Entscheidung und mithin die Zahlung der nachgeforderten Beitragssumme i.H.v. 34.000,80 Euro für die Antragstellerin eine unbillige Härte darstellen würde, habe diese nicht dargelegt. Insbesondere habe sie nicht ansatzweise dargetan, dass die Zahlung der Beitragssumme sie in einer solchen Weise finanziell schwer treffen würde.

Praxishinweis | LSG Schleswig-Holstein L 10 BA 10034/21 B ER

Die Entscheidung verdeutlicht, dass ein Geschäftsführer bzw. ein Liquidator einer GmbH lediglich dann sozialversicherungsfrei tätig werden kann, wenn sich aus dem Verhältnis zwischen ihm und der Gesellschaft eindeutig ergibt, dass es sich bei der Tätigkeit um eine selbstständige Tätigkeit handelt. Dies wird in der Rechtsprechung jedoch regelmäßig nur dann angenommen, wenn dem Geschäftsführer bzw. Liquidator eine solche Rechtsmacht verliehen wird, woraus sich eine Weisungsunabhängigkeit ergibt. Indizien dafür sind das Innehaben von Kapitalanteilen von mindestens 50%. Hat der Geschäftsführer bzw. Liquidator dies nicht, sollte er von einer Sozialversicherungspflicht grundsätzlich ausgehen und entsprechende Beiträge zahlen.