27.06.2025
Notizen zur Rechtsprechung
Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:
SG Neubrandenburg
10.09.2024
S 7 BA 7/23
BeckRS 2024, 25121 = DStR 2025, 283
Ein Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH mit zwei Gesellschaftern, der 50 % der Geschäftsanteile hält, gilt nur dann als selbständig, wenn ihm im Falle einer Stimmengleichheit (Pattsituation) ein im Gesellschaftsvertrag ausdrücklich geregeltes Stichentscheidungsrecht gegenüber dem anderen Gesellschafter zusteht.
Zwischen den Parteien besteht Streit über den sozialversicherungsrechtlichen Status des Klägers im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Geschäftsführer einer GmbH. Der Kläger gründete am 17. Januar 2023 gemeinsam mit Herrn K. die GmbH. Beide sind laut Gesellschaftsvertrag zu jeweils 50 % an dem Stammkapital von 25.000 € beteiligt. Der Gesellschaftsvertrag sieht vor, dass Gesellschafterbeschlüsse nur mit einer Stimmenmehrheit von über 50 % der anwesenden oder vertretenen Gesellschaftern gefasst werden können. Am 14. März 2023 wurde der Kläger per Gesellschafterbeschluss zum Geschäftsführer ernannt. Im Zuge der folgenden Anmeldung zur Sozialversicherung überprüfte die Beklagte den Erwerbsstatus des Klägers und kam in ihrem Bescheid vom 17. April 2023 zu dem Ergebnis, dass ab dem 14. März 2023 ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis vorliege. Den eingelegten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte am 26. Oktober 2023 als unbegründet zurück. Der Kläger reichte am 06. Oktober 2023 Klage ein. Er argumentiert, dass er unstreitig 50 % der Anteile hält und daher keine Beschlüsse ohne seine Zustimmung gefasst werden können. Zudem rügt er, dass die Behörde die BSG-Rechtsprechung falsch anwendet, da sie seine Einflussmöglichkeit auf die Gesellschafterbeschlüsse nicht ausreichend berücksichtigt habe. Mit seiner Klage fordert der Kläger, die Bescheide der Behörde aufzuheben und festzustellen, dass er nicht sozialversicherungspflichtig ist. Die Behörde beantragt die Abweisung der Klage.
Die zulässige Klage ist erfolglos. Die Bescheide sind rechtmäßig und beeinträchtigen den Kläger nicht in seinen Rechten. Für die Entscheidung des Gerichts nach § 105 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) war keine mündliche Verhandlung notwendig, da der Sachverhalt sowohl rechtlich als auch tatsächlich einfach ist und bereits umfassend geklärt wurde. Zudem hatten beide Parteien die Gelegenheit zur Stellungnahme, sodass keine Zustimmung erforderlich ist.
Die vorliegende Entscheidung stützt sich hauptsächlich auf die aktuelle Rechtsprechung des BSG. Ob ein GmbH-Geschäftsführer als selbstständig oder abhängig beschäftigt gilt, hängt maßgeblich davon ab, in welchem Umfang er am Kapital der Gesellschaft beteiligt ist und welchen Einfluss er dadurch auf die Gesellschaft ausüben kann. Eine mehrheitliche Beteiligung an der Gesellschaft führt jedoch nicht automatisch zur Selbstständigkeit. Damit er als selbstständig eingestuft wird, muss er zusätzlich die rechtliche Möglichkeit haben, maßgeblich auf Entscheidungen der Gesellschafterversammlung Einfluss zu nehmen und so die Richtung des Unternehmens mitzubestimmen. Seine Tätigkeit gilt als unternehmerisch, wenn er bei allen wichtigen Grundsatzentscheidungen mitentscheiden kann. Hierzu zählen z. B. Fragen der Bilanzierung, Finanzierung, strategischen Ausrichtung oder Personalpolitik. Er muss Gewinnchancen und Risiken mitgestalten können. Der Gesellschafter-Geschäftsführer muss die Möglichkeit haben, ungewollte Weisungen zu blockieren und die unternehmerische Gesamtentwicklung maßgeblich mitzugestalten. Fehlt diese umfassende Einflussmöglichkeit, liegt eine abhängige Beschäftigung vor.
Nach der aktuellen Rechtsprechung des BSG liegt vorliegend eine abhängige und somit sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vor. Zwar ist der Kläger zu 50 % an der GmbH beteiligt und kann somit Entscheidungen blockieren, dies führt jedoch nicht automatisch zu einer alleinigen und umfassenden Entscheidungsbefugnis sowie Gestaltungsfreiheit der gesamten Unternehmenspolitik. Hierfür sieht der Gesellschaftsvertrag auch keinen Stichentscheid in einer Pattsituation vor. Diese fehlende Regelung kann aufgrund des Grundsatzes der Klarheit und Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände nicht durch gute Beziehungen der Gesellschafter ersetz werden („Schönwetter-Selbstständigkeit“). Nachträgliche Änderungen am Vertrag sind zwar diesbezüglich möglich, gelten jedoch aufgrund desselben Grundsatzes nur für die Zukunft. Zudem enthält der Arbeitsvertrag des Klägers klassische Merkmale einer abhängigen Beschäftigung. Hierzu zählen ein festes Gehalt, Urlaubs- und Weihnachtsgeld, 30 Urlaubstage, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Spesenersatz, ein privat nutzbarer Dienstwagen sowie die Beteiligung der Firma an Sozialversicherungsbeiträgen. Dementsprechend trägt der Kläger kein unternehmerisches Risiko. Erfolgsabhängige Vergütungen begründen keine Selbstständigkeit, da diese auch bei regulären Arbeitnehmern üblich sind. Ebenfalls spricht die Möglichkeit der freien Zeiteinteilung nicht gegen eine abhängige Beschäftigung, da diese Regelung bei leitenden Angestellten häufig ist. Darüber hinaus bezieht sich § 5 Abs. 1 Satz 3 des Arbeitsgerichtsgesetzes nur auf das Arbeitsgerichtsgesetz und hat keine Aussagekraft für das Sozialversicherungsrecht. Der Einordnung als abhängig Beschäftigter steht zudem nicht entgegen, dass Geschäftsführer gegenüber anderen Arbeitnehmern eine Arbeitgeberfunktionen ausüben.
Die vorliegende Rechtsprechung orientiert sich an der aktuellen Rechtsprechungen des BSG. Die bloße Beteiligung eines GmbH-Geschäftsführers am Stammkapital reicht nicht aus, um eine selbstständige Tätigkeit im sozialversicherungsrechtlichen Sinne anzunehmen. Entscheidend ist, ob er tatsächlich maßgeblichen Einfluss auf die gesamte Unternehmenspolitik ausüben kann. Fehlt eine umfassende Sperrminorität oder Entscheidungsbefugnis in allen Grundsatzfragen, liegt somit regelmäßig eine abhängige, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vor.