BGH IV ZR 93/24
Ärztliche Betreuung gegen Grundstückszuwendung

07.07.2025

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
02.07.2025
IV ZR 93/24
N.N.

Leitsatz | BGH IV ZR 93/24

  1. Das Zuwendungsverbot dient primär dem Schutz der ärztlichen Unabhängigkeit und der Integrität des Berufsstandes, nicht dem Schutz der vermögensrechtlichen Interessen von Erblassern oder Dritten. Ein Verstoß gegen das ärztliche Zuwendungsverbot der Berufsordnung führt daher nicht automatisch zur Unwirksamkeit einer letztwilligen Verfügung.
  2. Berufsrechtliche Vorschriften, wie sie etwa von Ärztekammern erlassen werden, stellen keine ausreichende gesetzliche Grundlage für einen Eingriff in die Testierfreiheit, welche durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützt ist, dar.
     

Sachverhalt | BGH IV ZR 93/24

Ein Patient versprach seinem langjährigen Hausarzt im Rahmen einer notariell beurkundeten Vereinbarung die Zuwendung eines Grundstücks im Fall seines Todes. Als Gegenleistung verpflichtete sich der Arzt zu umfassender medizinischer Betreuung, einschließlich Hausbesuchen und ständiger telefonischer Erreichbarkeit. Später setzte der Patient testamentarisch eine dritte Person als Erbin seines übrigen Vermögens ein.

Nach dem Tod des Patienten trat die testamentarisch bedachte Person den Nachlass an. Der Arzt selbst wurde insolvent. Daraufhin verlangte der Insolvenzverwalter von der Erbin die Übertragung des ursprünglich dem Arzt zugesagten Grundstücks an die Insolvenzmasse. In den Vorinstanzen blieb die Klage jedoch ohne Erfolg.

Das OLG Hamm als Vorinstanz wertete die notarielle Vereinbarung als Vermächtnis (§ 1939 BGB), hielt dieses jedoch für nichtig. Zur Begründung wurde auf § 134 BGB i.V.m. § 2171 Abs. 1 BGB verwiesen. Das Gericht sah einen Verstoß gegen die Berufsordnung der Ärztekammer Westfalen-Lippe. Diese untersagt es Ärztinnen und Ärzten, Geschenke oder andere Vorteile anzunehmen, wenn hierdurch die ärztliche Unabhängigkeit gefährdet erscheint. Der Hausarzt habe sich mit der Grundstückszusage einen solchen Vorteil versprechen lassen.

Entscheidung | BGH IV ZR 93/24

Der BGH hat indes klargestellt, dass ein Verstoß gegen das ärztliche Zuwendungsverbot nicht automatisch zur Unwirksamkeit einer letztwilligen Verfügung führt. Die in Art. 14 Abs. 1 GG verankerte Testierfreiheit genießt grundrechtlichen Schutz und darf nur durch Gesetz eingeschränkt werden. Regelungen in Berufsordnungen – wie sie etwa von Ärztekammern erlassen werden – stellen hingegen keine ausreichende gesetzliche Grundlage für einen derartigen Eingriff dar.

Zudem verfolgt das Zuwendungsverbot in der ärztlichen Berufsordnung nach der Auffassung des BGH vorrangig berufsrechtliche Ziele. Es schützt die ärztliche Unabhängigkeit und die Integrität des Berufsstandes, nicht jedoch die vermögensrechtlichen Interessen von Erblasserinnen und Erblassern oder deren Angehörigen. Ein zivilrechtlicher Nichtigkeitsgrund lässt sich aus der Berufsordnung allein deshalb nicht ableiten.

Der BGH hat das Urteil des OLG Hamm aufgehoben und die Sache zur weiteren Aufklärung zurückverwiesen. Das Berufungsgericht soll nun insbesondere prüfen, ob die Vereinbarung zwischen Patient und Arzt möglicherweise gegen § 138 Abs. 1 BGB verstößt. Denn die Frage nach einer möglichen Sittenwidrigkeit ist offen und bedarf daher ergänzender Feststellungen. Den Parteien ist insoweit rechtliches Gehör zu gewähren.

Praxishinweis | BGH IV ZR 93/24

Die Entscheidung des BGH verdeutlicht, dass ein Verstoß gegen § 32 Abs. 1 S. 1 BO-Ä der Ärztekammer Westfalen-Lippe nicht automatisch zur Unwirksamkeit eines Vermächtnisses führt (OLG Hamm, Beschl. v. 26.6.2024 – 1-10 U 14/24). Denn die Vorschrift der Berufsordnung stellt keine hinreichende gesetzliche Grundlage dar, um die verfassungsrechtlich geschützte Testierfreiheit nach Art. 14 Abs. 1 GG einzuschränken (BGH, Urt. v. 2.7.2025 – IV ZR 93/24). Daraus lässt sich folgern, dass berufsrechtliche Regeln allein nicht genügen, um einen zivilrechtlichen Nichtigkeitsgrund wie § 134 BGB auszulösen (BGH, a.a.O.). Dies ist keine rechtliche Neuigkeit; eine ähnliche Linie verfolgte bereits das OLG Frankfurt a. M. bei einer vergleichbaren Fallkonstellation (OLG Frankfurt, Beschl. v. 21.12.2023 – 21 W 91/23, ErbR 2024, 395 (Ls.)).

Gleichwohl sind ärztliche Zuwendungsversprechen im Zusammenhang mit medizinischen Leistungen kritisch zu prüfen, da eine Sittenwidrigkeit i.S.d. § 138 Abs. 1 BGB in Betracht kommen kann (vgl. BGH, aaO; OLG Celle, Beschl. v. 9.1.2024 – 6 W 175/23, ErbR 2024, 540). Insbesondere bei einer Vergütung medizinischer Betreuung, die allein oder überwiegend über eine testamentarische Zuwendung erfolgt, kann die Schwelle zur Sittenwidrigkeit überschritten sein (OLG Celle, a.a.O.). Das OLG Hamm hatte dazu zunächst keine Feststellungen getroffen, weshalb der BGH das Verfahren zur Prüfung der Sittenwidrigkeit zurückverwiesen hat (BGH, Urt. v. 2.7.2025 – IV ZR 93/24).

Als Ausblick sollten sich Ärzte sowie Patienten darüber bewusst sein, dass die Testierfreiheit grundrechtlich geschützt ist und nicht allein durch berufsrechtliche Regelungen eingeschränkt werden kann. Festzuhalten ist dabei insbesondere, dass bei der Gestaltung von Abreden über medizinische Versorgung gegen spätere Zuwendungen größte Zurückhaltung geboten ist. Sowohl Ärzte als auch Patienten sollten bei Vereinbarungen über medizinische Betreuung mit vermögensrechtlichen Gegenleistungen frühzeitig juristischen Rat einholen, um spätere Streitigkeiten und Risiken zu vermeiden („Augen auf bei der ‚kreativen‘ Vergütung“, Beck-Beitrag zu IV ZR 93/24, becklink 2034777). Behandlungsverträge und Absprachen über etwaige Zuwendungen sollten klar und nachvollziehbar dokumentiert sein, um Missverständnisse und berufsrechtliche Probleme zu minimieren. Es empfiehlt sich folglich, die Patientinnen und Patienten umfassend über mögliche rechtliche Risiken und die Folgen von Zuwendungen im Zusammenhang mit der medizinischen Betreuung aufzuklären. Da der BGH keine finale Klärung der Problematik vorgenommen hat, sollten Ärzte, Patienten und Juristen die weitere Entwicklung, insbesondere im Hinblick auf Sittenwidrigkeit, aufmerksam verfolgen, um Klarheit über die Grenzen des Möglichen zu erhalten.