KG 14 U 122/22
Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen wegen des Mitführungsverbots von Geräten, die sich zur Bild- oder Tonaufnahme eignen, kann Hauptversammlungsbeschlüsse anfechtbar machen.

30.05.2025

Leitsatz | KG 14 U 122/22

  1. Bei der Prüfung der Prozessfähigkeit ist das Gericht an die allgemeinen Beweisvorschriften nicht gebunden, sondern überzeugt sich im Wege des Freibeweises und unterliegt dabei nur eingeschränkt den Grundsätzen der Unmittelbarkeit und Parteiöffentlichkeit.
  2. Die Frage der Berechtigung, Aktionären den Zutritt zum eigentlichen Versammlungsaal zu verweigern, ist eine Frage der materiellen Rechtmäßigkeit der Versammlungsleitung und damit des Rechts des Versammlungsleiters, den Zugang mit Endgeräten die sich zur Bild- oder Tonaufnahme eignen, zu verwehren. Sie ist deshalb im Rahmen der materiellen Rechtmäßigkeit der Maßnahme zu prüfen. Maßgeblich ist allein, ob die Kläger in den eigentlichen Saal der Versammlung eingelassen wurden.
  3. Das Verbot, die Geräte die sich zur Ton- oder Bildaufzeichnung eigenen mit in den Versammlungsaal zu nehmen, ist nicht durch die Ordnungsbefugnis des Versammlungsleiters gedeckt. Es stellt vielmehr eine unzulässige Beschränkung des durch Artikel 14 Grundgesetz geschützten Rechts der Aktionäre auf Teilnahme an der Hauptversammlung dar.
  4. Der Versammlungsleiter hat sich bei der Wahrnehmung seiner Ordnungsbefugnisse am Gebot der Sachlichkeit zu orientieren sowie das Gleichbehandlungsgebot und das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu wahren. Ordnungsmaßnahmen sind zulässig, wenn sie sachlich erforderlich sind, weil sonst das Recht aller Aktionäre auf ordnungsgemäße Behandlung der Versammlungsgegenstände nicht gewahrt wäre, und wenn sie verhältnismäßig sind. Der Versammlungsleiter hat bei der Ausübung seiner Leitungs- und Ordnungsbefugnisse ein weites, durch die Bestimmungen des AktG und der Satzung eingegrenztes Ermessen. Dieses muss er fehlerfrei ausüben. 

Sachverhalt | KG 14 U 122/22

Die Beklagte ist eine AG mit einem eingetragenen Grundkapital von 37.320.000 EUR, aufgeteilt in 13.205.500 auf den Namen lautende Stückaktien. Die Kläger sind in unterschiedlichem Umfang an der Beklagten als Aktionäre beteiligt.
 
Am 23. Juli 2019 veröffentlichte die Beklagte im elektronischen Bundesanzeiger die Einladung zur 122. Hauptversammlung am 29. August 2019. In der Einladung und auf den Einladungskarten wurde darauf hingewiesen, dass Bild- und Tonaufnahmen während der Hauptversammlung nicht gestattet sind und entsprechende Geräte am Eingang abgegeben werden müssen. Diese Regelungen wurden bereits auf der Hauptversammlung vom 13. Dezember 2018 beschlossen und waren Gegenstand von Anfechtungsklagen der hiesigen Kläger vor dem LG Berlin, die allerdings zu diesem Zeitpunkt noch anhängig sind. 

Am Tag der Hauptversammlung wurden entsprechende Maßnahmen zur Einlasskontrolle umgesetzt. Den Aktionären wurden dabei Möglichkeiten zur Aufbewahrung der verbotenen Geräte angeboten. 

Die Hauptversammlung selbst wurde in den Eingangsbereich übertragen, wo Handys und Laptops erlaubt waren. 
Kläger 1 und 9 wurde der Zugang zur Hauptversammlung verwehrt, nachdem sie sich weigerten, ihre Geräte abzugeben. Die Kläger 10 bis 14 nahmen an der Versammlung teil und widersprachen den gefassten Beschlüssen zu Protokoll.

Die Kläger erhoben Beschlussmängelklagen gegen mehrere Tagesordnungspunkte. Das LG Berlin setzte die Verfahren teilweise aus und erklärte einzelne Beschlüsse für nichtig. 
 

Entscheidung | KG 14 U 122/22

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber unbegründet. 

Das Verbot von Mobiltelefonen und Notebooks bei der Hauptversammlung war unverhältnismäßig und nicht durch die Ordnungsbefugnis des Versammlungsleiters gedeckt. Die Beschlüsse der Hauptversammlung sind daher gemäß § 243 Absatz 1 AktG anfechtbar.

Auch wurden die Teilnahmerechte der Aktionäre durch das Verbot gemäß § 118 AktG verletzt. Denn das Verbot der Mitnahme von Notebooks oder Tablets zu Hauptversammlungen schränkt die Arbeitsfähigkeit der Aktionäre erheblich ein, da diese Geräte für eine effektive Teilnahme und Kommunikation unerlässlich sind. Papiergebundene Alternativen sind nicht gleichwertig, da viele relevante Dokumente digital bereitgestellt werden. Die von der Beklagten angebotenen Ausgleichsmaßnahmen, wie die Nutzung von PCs im Versammlungssaal, sind unzureichend und verursachen zusätzliche Risiken und Unannehmlichkeiten für die Aktionäre.

Die fehlende Information über diese Maßnahmen in der Einladung zur Hauptversammlung könnte Aktionäre davon abgehalten haben, an der Versammlung teilzunehmen.

Ferner rechtfertigen die erstellten Gutachten das Verbot nicht ausreichend und vernachlässigen obendrein das Teilnahmerecht. Das Landgericht führt zutreffend aus, dass ein Mitführverbot das Ermessen des Versammlungsleiters überschreitet. Die Frage der materiellen Rechtmäßigkeit der Beschlüsse ist aufgrund der formellen Rechtswidrigkeit irrelevant.

Eine Revision wird nicht zugelassen, da keine grundsätzliche Bedeutung und kein Bedarf zur Fortbildung des Rechts besteht.

Praxishinweis | KG 14 U 122/22

Beschränkungen wie das Verbot von Aufnahmegeräten müssen angemessen sein und dürfen nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um die Ordnung der Versammlung zu gewährleisten oder die Persönlichkeitsrechte der Anwesenden zu schützen.

Das KG räumt dem Recht auf ständiges Vernetztsein einen hohen Stellenwert ein. In der heutigen Zeit sind Notebooks, Mobiltelefone und Tablets oft unverzichtbar für eine effektive Arbeitsweise. Das Gericht zeigt zudem auf, dass auch die Möglichkeit der Nutzung dieser Geräte außerhalb des Versammlungssaals und zusätzliche Ausgleichsmaßnahmen wie Notfalltelefone oder internetfähige PCs im Versammlungssaal den Eingriff in das Teilnahmerecht nicht ausreichend mildern können (vgl. NJW-Spezial 2024, 176, beck-online).

Daher sollten Versammlungsleiter das Teilnahmerecht der Aktionäre gemäß § 118 AktG nur in engen Grenzen beschränken. Klare Informationen über etwaige Einschränkungen bezüglich der Mitnahme von Geräten und die geplanten Einlasskontrollmaßnahmen sollten in der Einladung zur Hauptversammlung deutlich kommuniziert werden, um mögliche Missverständnisse zu vermeiden, die zu Beschlussanfechtungen führen könnten.