23.12.2024
Notizen zur Rechtsprechung
Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:
OLG Karlsruhe
17.08.2023
19 W 60/23 (Wx)
BeckRS 2023, 22491
Auslegung einer Vorsorgevollmacht bezüglich der Geltung über den Tod hinaus [ PDF ]
Die Beteiligte zu 2 und ihr verstorbener Ehemann – der Beteiligte zu 1 – sind je zur Hälfte eingetragene Eigentümer eines Grundstücks. Mit einer als „Vorsorgevollmacht“ überschriebenen, notariell unterschriftsbeglaubigten Erklärung vom 03.12.2012 stellten sich die Eheleute gegenseitig eine Generalvollmacht aus, die sowohl Vermögensgeschäfte als auch die Gesundheitsvorsorge umfasste.
§ 7 der Vollmacht unter der Überschrift „Vorrang vor der Betreuung“ lautet: „Die jeweilige Vollmacht bleibt auch im Falle der Geschäftsunfähigkeit eines Vollmachtgebers gültig. Der jeweilige Vertreter unterliegt nicht den gesetzlichen Beschränkungen eines Betreuers. Wird für Rechtsgeschäfte, für die ein Vertreter keine Vollmacht hat, ein Betreuer bestellt, so bleibt die Vollmacht im Übrigen bestehen.“
§ 9 S. 2 der Vollmacht beinhaltet folgende Regelung: „Ferner hat mich der Notar darauf hingewiesen, dass diese Vollmacht über den Tod hinaus wirkt, jederzeit widerruflich ist und dass bei Widerruf darauf zu achten ist, dass sämtliche Ausfertigungen der Vollmacht vom Bevollmächtigten herausgegeben werden.“
Mit notariellem Kaufvertrag vom 29.03.2023 verpflichtete sich die Beteiligte zu 2 sowohl im eigenen Namen als auch als Bevollmächtigte im Namen des inzwischen verstorbenen Beteiligten zu 1, das Eigentum am Grundstück an die Beteiligten zu 3 und 4 zu übertragen. Der Urkundsnotar beantragte daraufhin auftragsgemäß die Eintragung einer Auflassungsvormerkung und einer Grundschuld. Das Grundbuchamt lehnte die begehrte Grundbuchänderung durch Zwischenverfügung vom 03.07.2023 ab. Zur Begründung führte das Grundbuchamt an, dass die Beteiligte zu 2 ihren verstorbenen Ehemann nicht wirksam habe vertreten können, da die Vollmacht mit dem Tod des Vollmachtgebers erloschen sei.
Gegen diese Entscheidung legte der Notar Beschwerde ein und verwies dabei auf die in § 9 des Vertrages enthaltene Erklärung, welche eine transmortale Wirkung der Vollmacht vorsieht. Das Grundbuchamt half der Beschwerde jedoch nicht ab und legte sie dem OLG Karlsruhe zur Entscheidung vor.
Die nach § 71 Abs. 1 GBO i.V.m. § 11 Abs. 1 RPflG zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.
Die Vorsorgevollmacht sei – entgegen der Auffassung des Grundbuchamts – dahin auszulegen, dass sie die Beteiligte zu 2 zu Rechtsgeschäften auch über den Tod hinaus bevollmächtige, sodass die erteilte Vollmacht vorliegend nicht mit dem Tod des Beteiligten zu 1 erloschen sei.
Zunächst stellt das OLG Karlsruhe fest, dass bezüglich der Frage der Fortdauer der Vollmacht über den Tod des Vollmachtgebers hinaus gem. § 168 BGB auf das der Vollmachtserteilung zugrundeliegende Rechtsverhältnis abzustellen sei. Im Falle einer nachgewiesenen Geschäftsbesorgung gelte die Auslegungsregel des § 672 BGB, sodass im Grundsatz vom Fortbestand der Vollmacht auszugehen sei. Ergibt die konkrete Vertragsauslegung hingegen, dass die Besorgung des Geschäfts nur für den noch lebenden Auftraggeber bedeutsam ist, müsse das Grundbuchamt neben dem Erbennachweis gem. § 35 GBO auch die Bewilligung der Erben für das Geschäft nach § 19 GBO verlangen.
Nach den von Rechtsprechung und Schrifttum entwickelten Auslegungsregeln sei, je mehr der Auftragsgegenstand auf die Person und die persönlichen Verhältnisse – und nicht nur auf das Vermögen des Auftraggebers – ausgerichtet ist, desto eher das Erlöschen des Auftrags mit dem Tode des Auftraggebers anzunehmen.
Im vorliegenden Fall deute die Überschrift „Vorsorgevollmacht“ und die in der Vollmacht geregelte Gesundheitsvorsorge zwar darauf hin, dass die Vollmacht zwecks Vermeidung einer gesetzlichen Betreuerbestellung schwerpunktmäßig höchstpersönliche Angelegenheiten habe regeln sollen. Den Schwerpunkt der Vollmachtserteilung bilde jedoch die Bevollmächtigung für Vermögensgeschäfte. Dies verdeutliche einerseits die ausführliche und an den Beginn der Vollmacht gestellte Aufzählung von Vermögensgeschäften in § 2 der Vollmacht. Andererseits sei die Befugnis, von der Vollmacht Gebrauch zu machen, nach ihrem Wortlaut weder im Außen- noch im Innenverhältnis von bestimmten Voraussetzungen abhängig gemacht worden, insbesondere nicht von der medizinischen Feststellung, dass eine Unfähigkeit des Vollmachtgebers, seine eigenen Angelegenheiten zu besorgen, vorliege. Schließlich sei der Hinweis in § 9 der Vollmacht ein entscheidendes Indiz dafür, dass die Beteiligten zu 1 und 2 eine transmortale Wirkung der Vollmacht gewollt hätten.
Der Hinweis des Grundbuchamtes, dass notarielle Urkunden nicht auslegungsbedürftig seien, sondern den Willen der Beteiligten „ohne Weiteres klar zum Ausdruck bringen“ sollten, rechtfertige keine andere Beurteilung. Auch wenn man die notarielle Pflicht zur klaren und eindeutigen Wiedergabe der Erklärungen (§ 17 Abs. 1 S. 1 BeurkG) auf einen vom Notar gefertigten Entwurf zur Unterschriftsbeglaubigung vorgesehener Urkunden übertragt, so ändere dies nichts daran, dass auch formbedürftige Erklärungen der Auslegung zugänglich seien.
Der Beschluss des OLG Karlsruhe verdeutlicht die Bedeutung der ausdrücklichen Regelung der Frage der transmortalen Wirkung einer Vorsorgevollmacht in der Vollmachtsurkunde. Fehlt es an einer ausdrücklichen Regelung zur Fortdauer der Vollmacht über den Tod hinaus, ist die vom OLG Karlsruhe vorgenommene Schwerpunktbetrachtung einschließlich der Abwägung zwischen dem Regelungsgegenstand „Vermögensbereich“ und „persönliche Verhältnisse“ ein taugliches Abgrenzungskriterium. Auch das OLG Bremen hat zuletzt die transmortale Wirkung einer Vorsorgevollmacht anhand dieser Kriterien bejaht (OLG Bremen v. 31.08.2023 – 3 W 15/23, BeckRS 2023, 23338).
Nach der widerleglichen Vermutung des § 672 S. 1 i.V.m. § 168 S. 1 BGB erlischt der Auftrag und somit auch die Vollmacht im Zweifel nicht durch den Tod des Auftraggebers. Ob jemand für einen anderen ein Geschäft gem. § 662 BGB besorgt oder nur eine außerrechtliche Gefälligkeit erweist, ist abhängig vom Rechtsbindungswillen der Parteien (BGH v. 23.07.2015 – III ZR 346/14, NJW 2015, 2880). Im Falle einer Generalvorsorgevollmacht wird regelmäßig wegen der weitreichenden Befugnisse ein Rechtsbindungswille der Parteien und somit das Vorliegen eines Auftragsverhältnisses bejaht (OLG Brandenburg v. 19.03.2013 – 3 U 1/12, BeckRS 2013, 6305; OLG Schleswig v. 18.03.2014 – 3 U 50/13, ErbR 2014, 347). Die Auslegung des Grundbuchamts hätte das Regel-Ausnahme-Verhältnis ins Gegenteil verkehrt, obwohl hierfür keine konkreten Anhaltspunkte vorlagen.