LG München I 5 HK O 2393/19
Bestehen von Schadensersatzansprüchen gegen einen Aufsichtsratsvorsitzenden

05.03.2021

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

LG München I
13.02.2020
5 HK O 2393/19
ZIP 2020, 971 = EWiR 2020, 491 (Wenzel)

Leitsatz | LG München I 5 HK O 2393/19

  1. Die Vorschriften der §§ 177 ff. BGB finden auf die gesetzliche oder organschaftliche Vertretung Anwendung.
  2. Fehlt für den Abschluss eines Vorstandsdienstvertrags der Beschluss des Aufsichtsrats, so handelt der Aufsichtsratsvorsitzende als Vertreter ohne Vertretungsmacht, wenn er einen entsprechenden Vertrag abschließt.
  3. Der Vertragspartner darf grundsätzlich auf die behauptete Vertretungsmacht vertrauen, ohne zu Nachforschungen über deren Bestand und Umfang verpflichtet zu sein.
  4. Nimmt der Vorstandsdienstvertrag auf die Bestellung zum Organ Bezug, ohne dass ein Beschlussdatum angegeben ist, trifft das potentielle Vorstandsmitglied indes eine Nachforschungsobliegenheit. Bei deren Verletzung ist ein Schadensersatzanspruch aus § 179 III BGB ausgeschlossen.

Sachverhalt | LG München I 5 HK O 2393/19

Die zuvor für ein Unternehmen vom Beklagten arbeitende Klägerin - von Beruf Rechtsanwältin und Fachanwältin für Steuerrecht - führte am 19.6.2017 ein Gespräch mit dem Vorstand der F-AG - ein den Vorschriften des KWG unterliegendes Finanzdienstleistungsinstitut -, in dem es um den möglichen Beginn einer Tätigkeit der Klägerin als Vorstand für dieses Unternehmen ging. Am 23.08.2017 lernte die Klägerin den Beklagten, der Aufsichtsratsvorsitzender der F-AG war, bei einem weiteren Gespräch kennen. Im Anschluss daran erhielt die Klägerin den Entwurf eines Vorstandsdienstvertrages zugesandt. In einer Sitzung des Aufsichtsrats vom 22.09.2017 wurde über den Entwurf gesprochen, ohne dass es zu einer Beschlussfassung über den Vertragsabschluss kam. Auch in der Folgezeit erfolgte keine Beschlussfassung des Aufsichtsrats der F-AG über den Abschluss eines derartigen Vertrages mit der Klägerin. Ebenso wenig kam es zum Beschluss über die Bestellung der Klägerin zum Vorstandsmitglied. Mit Schreiben vom 26.10.2017 übersandte der Beklagte der Klägerin den von ihm für den Aufsichtsrat unterzeichnete Schriftstück mit der Bezeichnung „Dienstvertrag“ sowie eine Er-gänzung hierzu in zweifacher Ausfertigung zur Unterzeichnung und Rücksendung eines ge-gengezeichneten Exemplars an die F-AG in Frankfurt am Main. Das sodann auch von der Klägerin unterzeichnete Schriftstück enthielt unter anderem Passagen über die Bestellung und Bezüge der Klägerin. Der Beklagte sowie das Vorstandsmitglied C schickten der Klägerin ein von ihnen unterzeich-netes Schreiben vom 27.11.2017, in dem sie mitteilten, der Aufsichtsrats könne und werde der Bestellung der Klägerin zum Vorstand und dem Abschluss des entsprechenden Dienstvertrages mit der F-AG nicht zustimmen. Verhandlungen über eine anschließende Tätigkeit der Klägerin als Generalbevollmächtigte blieben ohne Erfolg. Mit Schreiben vom 19.02.2018 (Anlage B 4) bot die Klägerin der F... AG ihre Dienste als Vorstandsmitglied an. Die Rechtsanwälte der Gesellschaft teilten der Klägerin mit Schreiben vom 22.02.2018 (Anlage K 8) mit, Ansprüche der Klägerin aus dem Vorstandsdienstvertrag abzulehnen. Die Klägerin behauptete, ihr stehe gegen den Beklagten ein Anspruch auf Schadensersatz zu, weil er ihr als Vertreter ohne Vertretungsmacht auf Schadensersatz hafte. Von dem fehlenden Beschluss des Aufsichtsrates habe sie keine Kenntnis gehabt. Vielmehr habe ihr das Vorstandsmitglied Dr. S nach der Aufsichtsratssitzung vom 22.09.2019 gesagt, man freue sich auf die Zusammenarbeit. Eine Verpflichtung zur Nachfrage beim Beklagten nach dessen Bevoll-mächtigung habe angesichts der typischerweise durch den Aufsichtsratsvorsitzenden erfolgenden Vertretung bei der Umsetzung von Aufsichtsratsbeschlüssen nicht bestanden. Auch sei sie intern schon als neuer Vorstand vorgestellt worden; den Führungskräften der F-AG sei mitgeteilt worden, die Klägerin werde zum 01.01.2018 als Vorstand anfangen. Zudem habe sie einen Mitarbeiter angesichts der intendierten engen Zusammenarbeit mit diesem näher kennenlernen sollen. Bei einem Rotary-Meeting am 11.10.2017 habe sie Herrn B begleitet; dort seien sie als Vorstandskollegen vorgestellt worden. Auch gegenüber einer Kundin habe Herr B die Klägerin in einem Schreiben vom 13.10.2017 bereits erwähnt. Das Vertrauen auf ihre Ernennung ergebe sich auch aus der Einladung zur Wirtschaftsbeiratssitzung der F-AG ent-sprechend einer E-Mail vom 25.10.2017. Da auch bereits ein Geschäftswagen ausgesucht und die Möglichkeiten einer Parkplatzanmietung erörtert worden seien, habe die Klägerin vom Vorliegen eines entsprechenden Beschlusses über den Abschluss des Vorstandsdienstvertrages ausgehen müssen. Angesichts der Trennungstheorie zwischen Bestellungsakt und schuldrechtlichem Dienstvertrag habe sie keine Kenntnis von dem fehlenden Aufsichtsratsbeschluss haben müssen; gerade als Volljuristin kenne sie die Unterschiede. Die Klägerin sei schon vor dem 19.2.2018 leistungsbereit gewesen und habe dies deutlich gemacht. Trotz ihrer Bemühungen habe sie keine adäquate Stelle gefunden, weshalb sie kein Verstoß gegen ihre Schadensminderungspflicht treffe. Die Vertretung als Generalbevollmächtigte sei angesichts der stark abweichenden Konditionen nicht annahmefähig gewesen. Die Tätigkeit als Rechtsanwältin sei wegen der im Vertrag enthaltenen Genehmigung als Nebentätigkeit nicht schadensmindernd anzusetzen.

Entscheidung | LG München I 5 HK O 2393/19

Die Klage hatte keinen Erfolg. Ein Anspruch auf Schadenersatz aus § 179 Abs. 1 BGB scheidet aus, weil dieser Anspruch aufgrund von § 179 Abs. 3 BGB im vorliegenden Fall ausgeschlossen ist, da die Klägerin von der fehlenden Vertretungsmacht wusste. Die Vorschriften der §§ 177 ff. BGB finden auf die gesetzliche oder organschaftliche Vertretung grundsätzlich Anwendung; dies bedeutet keinen Verstoß gegen die zwingenden gesetzlichen oder organschaftlichen Vertretungsregelungen, weil durch die Anwendung der §§ 177 ff. BGB keine unzulässige Übertragung der gesetzlichen oder organschaftlichen Willensbildung und Willenserklärung erfolgt.

 

Im Ausgangspunkt muss vorliegend davon ausgegangen werden, dass der Beklagte hier als Vertreter ohne Vertretungsmacht gehandelt hat, weil der Aufsichtsrat unstreitig keinen Beschluss über den Abschluss eines Vorstandsdienstvertrages zwischen der Klägerin und der F-AG gefasst hat. Ein derartiger Beschluss durch das gemäß § 112 AktG für Verträge mit einem (künftigen) Vorstandsmitglied zuständige Organ ist indes aufgrund der Vorschrift des § 108 AktG zwingende Voraussetzung für das Tätigwerden des Aufsichtsratsvorsitzenden im Verhältnis zur Klägerin, weil der Beschluss die Handlungsform für das rechtlich relevante Tätigwerden des Aufsichtsrats ist. Für das Kennenmüssen im Sinne des § 179 Abs. 3 Satz 1 BGB kommt es darauf an, ob die Unkenntnis auf Fahrlässigkeit beruht. Danach führt im Ausgangspunkt jede Fahrlässigkeit zum Ausschluss der Haftung. Die Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt liegt indes nur vor, wenn die Umstände des Falles den Vertragspartner dazu veranlassen mussten, sich darüber zu erkundigen, ob der Vertreter die zumindest stillschweigend behauptete Vertretungsmacht tatsächlich hat. Da im Interesse der Verkehrssicherheit in § 179 Abs. 1 BGB eine gesetzliche Garantiehaftung vorgesehen ist, darf der Vertragspartner - hier also die Klägerin - grundsätzlich auf die behauptete Vertretungsmacht vertrauen, ohne zu Nachforschungen über deren Bestand und Umfang verpflichtet zu sein. Nur wenn er Anhaltspunkte für eine fehlende Vertretungsmacht hat und diesen Bedenken nicht nachgeht, ist er nicht schutzwürdig.

Vorliegend hätte die Klägerin Nachforschungen anstellen müssen, nachdem in dem Vorstandsdienstvertrag das Datum des Beschlusses über ihre Bestellung zum Mitglied des Vorstandes durch eine Leerstelle in § 1 Ziffer 1 des Vertrages nicht angegeben war. Aus dem fehlenden Datum in Bezug auf die Bestellung zum Organ wird deutlich, dass ein derartiger Beschluss über die Bestellung zum Mitglied des Vorstandes nicht gefasst wurde. Dies hätte dann aber Anlass geboten nachzufragen, inwieweit der Aufsichtsrat den ebenso erforderlichen Beschluss über den Abschluss des Vorstandsdienstvertrages gefasst hat. Zwar ist weithin anerkannt, dass die Organbestellung und der schuldrechtliche Anstellungsvertrag rechtlich voneinander unabhängig und daher zu trennen sind. Aus dieser rechtlichen Trennung der beiden Ebenen von korporationsrechtlichem Vorstandsamt und schuldrechtlichem Anstellungsvertrag kann jedoch nicht auf eine fehlende Nachfrageobliegenheit geschlossen werden, wenn sich aus dem Vorstandsdienstvertrag ein klarer Hinweis auf den fehlenden Beschluss über die Bestellung zum Organ ergibt.

 

Praxishinweis | LG München I 5 HK O 2393/19

Die Entscheidung definiert die Grenzen der fahrlässigen Unkenntnis im Rahmen des § 179 Abs. 3 AktG. Der BGH ist hierbei recht zurückhaltend. Eine strengere Anwendung muss jedenfalls dann erfolgen, wenn sich - wie im vorliegenden Fall - aufgrund fachlichen Sonderwissens das Fehlen der Vertretungsmacht aufdrängt. Insbesondere rechtlich versierte Berufe sollten daher einmal mehr nachfragen!