OLG München 17 U 1521/24 e
Internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte im Zusammenhang mit dem Austritt von Großbritannien aus der EU

18.07.2025

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG München
16.09.2024
17 U 1521/24 e
AG 2025, 255

Leitsatz | OLG München 17 U 1521/24 e

  1. Für mögliche rechtswidrige Umwandlungen von Genussrechten in Aktien im Zusammenhang mit der Verschmelzung einer österreichischen GmbH mit einer Gesellschaft in Großbritannien ergibt sich aufgrund der internationalen Unzuständigkeit deutscher Gerichte kein Gerichtsstand in Deutschland.
  2. Dass es sich bei Großbritannien nach Ablauf der Übergangsfrist nach dem Brexit um einen Drittstaat handelt, besagt nichts darüber, ob das Austrittsabkommen vorrangig gegenüber Art. 6 EuGVVO anzuwenden ist oder nicht. Vielmehr ist wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage hinsichtlich der internationalen (Un-) Zuständigkeit deutscher Gerichte im Zusammenhang mit dem Austrittsabkommen die Revision zuzulassen. (red. Ls.)

Sachverhalt | OLG München 17 U 1521/24 e

Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Rückzahlung einer Genussrechtsbeteiligung, die sie im Jahr 2007 an einer österreichischen AG gezeichnet hatte. Noch im selben Jahr erfolgte eine Umwandlung der Beteiligung in Genussrechte einer weiteren AG. Diese zweite Gesellschaft wurde zum 31.12.2018 in eine österreichische GmbH umgewandelt und anschließend auf die in London ansässige Beklagte verschmolzen.

Im Zuge dieser Verschmelzung wurden die Genussrechte der Klägerin in sogenannte B-Aktien umgewandelt. Im Februar 2019 informierte die Anlagenverwaltung der Beklagten die Klägerin über die erfolgte Verschmelzung und die automatische Umwandlung zum Stichtag 31.12.2018.

Die Klägerin hält diese Umwandlung für rechtswidrig und beruft sich auf einen Schadensersatz- oder Rückzahlungsanspruch nach den Genussrechtsbedingungen. Ihrer Ansicht nach wurden ihr keine gleichwertigen Rechte eingeräumt, sodass ein Anspruch auf Schadensersatz bzw. Rückzahlung der Einlage besteht. Zudem macht sie ein außerordentliches Kündigungsrecht geltend.

Die Genussrechtsbedingungen enthalten folgende Klausel: 

„2. Erfüllungsort ist Sitz der Gesellschaft. Gerichtsstand ist – soweit gesetzlich zulässig – ebenfalls Sitz der Gesellschaft. Die Gerichtsstandsvereinbarung beschränkt nicht das Recht eines Genussrechtsinhabers, Verfahren vor einem anderen zuständigen Gericht anzustrengen.“

Die Klage wurde im November 2022 beim LG München I erhoben. Die Beklagte rügte die internationale Zuständigkeit. Das LG München I verurteilte sie mit Urteil vom 25.04.2024 (Az. 47 O 13979/22, BeckRS 2024, 24339) zur vollständigen Zahlung. Das Gericht bejahte seine internationale Zuständigkeit unter Bezugnahme auf Art. 6, 17 Abs. 1 lit. c und 18 Abs. 1 EuGVVO, da die Klägerin als Verbraucherin in einem Mitgliedstaat wohnhaft sei. Zusätzlich wurde auf den früheren Sitz der ursprünglichen Anlagegesellschaft in Deutschland verwiesen.

Gegen dieses Urteil legte die Beklagte Berufung mit dem Ziel ein, die internationale Unzuständigkeit deutscher Gerichte feststellen zu lassen.

Entscheidung | OLG München 17 U 1521/24 e

Die Berufung hatte Erfolg. Die Klage ist mangels internationaler Zuständigkeit deutscher Gerichte unzulässig sei. Das OLG München stellte fest, dass in diesem Zusammenhang drei Rechts„ebenen berücksichtigt werden müssten.

§ 341 Abs. 2 Satz 1 UmwG in der seit 1.3.2023 geltenden Fassung (im Gegenschluss) könnte aufgrund der fehlenden Übergangsregelungen die Zulässigkeit der Klage nachträglich wieder beseitigt haben oder klarstellen, dass von Anfang an nur unter den dort gegebenen Voraussetzungen die Zulässigkeit der Klage vor deutschen Gerichten zu bejahen wäre. Eine rückwirkende Anwendung zulasten der Klägerin sowie der Vorrang des Unionsrechts (Art. 216 Abs. 2 AEUV) stehen dem nach Ansicht des OLG München jedoch entgegen.

Eine Zuständigkeit nach Art. 6, 17 Abs. 1 lit. c, 18 Abs. 1 EuGVVO kommt nicht in Betracht, da das Vereinigte Königreich infolge des Brexit nicht mehr dem Anwendungsbereich dieser Verordnung unterfällt.

Vorrangig sind daher Art. 67 Abs. 1 lit. a, 126 des Austrittsabkommens heranzuziehen. Diese regeln abschließend den Fortbestand der EuGVVO-Anwendung, sodass deren Anwendbarkeit hier entfällt. Der Senat lehnt die gegenteilige Auffassung von Literatur und Obergerichten ab, die sich auf eine bloße Fortgeltung der EuGVVO stützt, ohne sich mit dem Vorrang des Völkerrechts gem. Art. 216 Abs. 2 AEUV auseinanderzusetzen.

Die Klausel in § 13 Nr. 2 GRB begründet keine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte, schließt diese jedoch auch nicht per se aus.

Das HGÜ vom 30.06.2005 ist nicht einschlägig, da es sich auf Gerichtsstandsvereinbarungen beschränkt (Art. 1 Abs. 1 HGÜ) und Verbraucher gem. Art. 2 Abs. 1 lit. a HGÜ nicht erfasst sind - Verbrauchereigenschaft der Klägerin unterstellt.

Das OLG München führt weiter aus, dass mangels Anwendbarkeit der EuGVVO die allgemeinen Vorschriften der ZPO greifen. Eine Zuständigkeit nach § 32 ZPO wegen einer unerlaubten Handlung ist nicht gegeben. Die Klägerin beruft sich auf eine Pflichtverletzung aus Vertrag; eine deliktische Handlung mit Schadenseintritt in Deutschland ist nicht erkennbar. Auch der Schaden trat nicht zweifelsfrei in Deutschland ein. Der Umtausch der Genussscheine erfolgte nicht nachweislich mit unmittelbarem Wertverlust am Wohnsitz der Klägerin.

Im Ergebnis verweist § 29 ZPO im Hinblick auf § 269 BGB auf den Sitz der Beklagten in Großbritannien. Dies folgt auch aus §§ 12, 17 ZPO, wonach ebenfalls auf den Sitz der Beklagten abzustellen ist.

Deutsche Gerichte sind somit nicht zuständig.

Die Frage, ob die Klägerin im Rahmen des Rechtsverhältnisses weiterhin als Verbraucherin gilt, ist nach OLG München im Ergebnis unerheblich.

Die Revision wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO zugelassen. Die Entscheidung des BGH vom 15.06.2021 (II ZB 35/20, WM 2021, 1444, Rn. 42), wonach Großbritannien Drittstaat ist, beantwortet nicht, ob das Austrittsabkommen der EuGVVO vorrangig anzuwenden ist.

Praxishinweis | OLG München 17 U 1521/24 e

Auch einige Jahre nach dem Brexit kommt es immer wieder zu Problemen, die die Entflechtung Großbritanniens und der EU in der Praxis mit sich bringt. Die vorliegende Entscheidung verdeutlicht die bestehenden Unsicherheiten bei der Beurteilung der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte im Verhältnis zum Vereinigten Königreich. Aufgrund divergierender obergerichtlicher Judikatur ist derzeit ungeklärt, welche Normen im Falle grenzüberschreitender Streitigkeiten mit Bezug zu Großbritannien maßgeblich sind. Der 17. Zivilsenat des OLG München stellt auf Art. 67 Abs. 1 lit. a sowie Art. 126 des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft 2019 ab. Alternativ könnten auch § 341 Abs. 2 Satz 1 UmwG oder die Art. 6 Abs. 1, 17 Abs. 1 lit. c, 18 Abs. 1 EuGVVO herangezogen werden. Damit widerspricht das OLG explizit der bislang vorherrschenden Auffassung anderer Oberlandesgerichte (u. a. OLG Köln v. 23.05.2024, I-18 U 157/23 und v. 23.11.2023, 18 U 73/23, OLG Schleswig v. 06.03.2024 –9 U 11/23, OLG Frankfurt a. M. v. 13.03.2024 –13 U 180/22) sowie der einschlägigen Literaturmeinung (vgl. Steinbrück/Lieberknecht, EuZW 2021, 517, 519).

In der Literatur wird die Entscheidung des OLG München als konsequent bewertet. Die Entscheidung des BGH wird aber endlich auch vor allem im Zusammenhang mit Verbraucherklagen zur Rechtssicherheit hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit deutscher oder britischer Gerichte beitragen (so Pörnbacher, IWRZ 2025, 98).