09.04.2025
Notizen zur Rechtsprechung
Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:
OLG Hamm
28.02.2024
20 U 224/23
GmbHR 2025, 34
Wer lediglich zum Schein als Geschäftsführer einer GmbH fungiert und diesen Umstand beim Abschluss des D&O-Versicherungsvertrags nicht offenbart, handelt arglistig gegenüber dem Versicherer, sofern keine Person vorhanden ist, die sich in ausreichendem Maße um die Angelegenheiten der Gesellschaft kümmern kann (risikosteigernder Umstand).
Der Kläger ist Geschäftsführer einer GmbH und verlangt von der Versicherung Deckungsschutz für die außergerichtliche Abwehr von gegen ihn erhobenen Ansprüchen aus der Geschäftsführerhaftung. Am 11.05.2020 unterzeichnete der Kläger für die GmbH eine Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung für Unternehmensleiter (D&O-Versicherung), die am 01.07.2020 beginnt und am 01.01.2022 ausläuft. Der Versicherungsvertrag enthält unter anderem Vorgaben zur arglistigen Täuschung und Anzeigepflichtverletzung. Der Versicherer verzichtet auf eine Anfechtung des Vertrags wegen arglistiger Täuschung oder Anzeigepflichtverletzung. Dies gilt jedoch nicht für versicherte Personen, die selbst arglistig gehandelt haben. Bei einer Anzeigepflichtverletzung entfällt der Versicherungsschutz für die Person, die die Pflichtverletzung begangen hat. Am 01.10.2021 wurde über das Vermögen der GmbH ein Insolvenzverfahren eröffnet. Der Insolvenzverwalter nahm den Kläger in Anspruch (§ 64 GmbHG a.F.). Daraufhin beantragte der Kläger bei der Beklagten eine Deckungszusage. In zwei folgenden Videokonferenzen gab der Kläger an, lediglich ein „Geschäftsführer auf dem Papier“ gewesen zu sein. Die tatsächliche Leitung habe der Prokurist fortgeführt, der auch Gründer und der vorherige Geschäftsführer der Versicherungsnehmerin gewesen sei. Eine formelle Übernahme der Geschäftsführung seinerseits sei aufgrund seiner dienstrechtlichen Einschränkung jedoch nicht in Betracht gekommen. Die Anfrage des Klägers wurde mit dem Hinweis abgelehnt, dass der Kläger bei Unterzeichnung der Versicherung verschwiegen habe, lediglich als „Scheingeschäftsführer“ auftreten zu wollen. Die Klage des Klägers auf Feststellung der Deckungspflicht wurde vom LG abgewiesen. Mit der Berufung verfolgt er weiterhin seinen ursprünglichen Klageantrag.
Die Voraussetzungen einer arglistigen Täuschung (§22 VVG i.V.m. §123 BGB) liegen vor, sodass der Kläger keinen Versicherungsschutz hat. Der Kläger hat gegenüber der Beklagten nicht offengelegt, dass er lediglich als Scheingeschäftsführer tätig war. Es bestand eine Aufklärungspflicht (1), die fehlende Offenlegung war kausal für den Vertragsabschluss (2), und der Kläger handelte arglistig (3).
(1) Der Kläger hatte eine Aufklärungspflicht. Eine spontane Anzeigepflicht ergibt sich nur bei außergewöhnlichen und grundlegenden Informationen, die so wichtig sind, dass der Versicherungsnehmer ihre Mitteilungsbedürfnis hätte erkennen müssen. Konkret müssen die Umstände besonders selten, offensichtlich gefahrträchtig und so ungewöhnlich sein, dass dem Versicherer kein Vorwurf gemacht werden kann, sie nicht ausdrücklich erfragt zu haben.
Für das Vorliegen von offensichtlich gefahrerheblichen Umständen ist das übernommene Risiko entscheidend sowie die Wirkung der nicht offenbarten Umstände. Das übernommene Risiko ergibt sich aus dem zugesagten Versicherungsschutz für gesetzliche Haftungsansprüche gegen Geschäftsführer. Der ausdrücklich genannte Haftungstatbestand § 64 GmbHG sieht eine Zahlungspflicht des Geschäftsführers zum Ersatz der Zahlungen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft nur dann vor, wenn die Zahlungen nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vorgenommen wurden. Gefahrerheblich ist hier, dass der versicherte formelle Geschäftsführer die Geschäftsführeraufgaben nicht selbst übernahm, sondern lediglich „Strohmann“ war. Unter einem „Strohmann“ ist eine Person zu verstehen, die von Anfang an die ihr kraft ihrer Organstellung obliegenden Aufgaben nicht eigenständig erfüllt, sondern sich einer dritten Person bedient, die aus rechtlichen oder tatsächlichen Ursachen die formelle Organstellung nicht erhalten kann bzw. will. Hiervon zu unterscheiden ist das Delegieren von Aufgaben, bei dem den Geschäftsführer eine Überwachungspflicht trifft. Sobald der formelle Geschäftsführer seinen Pflichten nicht nachkommt, handelt er nicht mit der erforderlichen Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes, sodass sich das Risiko, persönlich in Anspruch genommen zu werden, sowie die Wahrscheinlichkeit eines Versicherungsfalls erhöht. Diese Verantwortung wiegt umso schwerer, wenn Anzeichen dafür vorliegen, dass der faktische Geschäftsführer nicht in der Lage ist, die Geschäfte ordnungsgemäß zu führen.
Der Kläger übernahm das Amt des Geschäftsführers, weil sein Vorgänger aus dienstrechtlichen Gründen nicht mehr in dieser Funktion tätig sein konnte. Allerdings überließ er die tatsächliche Geschäftsführung vollständig dem vorherigen Geschäftsführer. Er erhielt keine Vergütung, hatte weder ein eigenes Büro noch Zugriff auf die Passwörter, E-Mail-Konten, das DATEV-System oder die Buchhaltung. Somit war es ihm nicht möglich, sich eigenständig und unabhängig über interne Abläufe der GmbH zu informieren. Demzufolge konnte er seine Kontroll- und Überwachungsaufgaben nicht erfüllen.
Die Tatsache, dass er Arbeits- und Mietverträge sowie Kündigungen unterzeichnete, spricht lediglich dafür, dass ihm solche Dokumente zur Unterschrift vorgelegt wurden, nicht jedoch dafür, dass er seine Prüfungs- und Überwachungsaufgaben tatsächlich ausgeübt hat. Zudem stellt das Eingehen eines eigenen wirtschaftlichen Risikos kein maßgebliches Indiz für eine tatsächliche Geschäftsführertätigkeit dar. Auch Gesellschafter ohne Geschäftsführerfunktion können ein Interesse daran haben, die Gesellschaft durch Bürgschaften finanziell zu unterstützen.
Insgesamt stellen diese Umstände ein besonderes Haftungsrisiko dar. Der Geschäftsführer hatte unaufgefordert die Pflicht offenzulegen, dass er nur „Geschäftsführer auf dem Papier“ ist. Dem Kläger hätte es sich aufdrängen müssen, dass die Frage seiner Scheingeschäftsführerstellung für den Versicherer entscheidend ist. Demgegenüber konnte der Versicherer nach den Grundsätzen von Treu und Glauben sowie unter Berücksichtigung der Verkehrssitte erwarten, aufgeklärt zu werden. Allerdings besteht keine umfangreiche Aufklärungspflicht hinsichtlich aller Umstände, die möglicherweise Zweifel an der Sorgfaltspflicht begründen könnten. Der Versicherer hat durch einen eigens entwickelten Fragebogen die Möglichkeit gehabt für den Vertragsschluss relevante Informationen gezielt abzufragen. Dementsprechend soll eine Anfechtung des Vertrages nur in außergewöhnlichen Fällen zugelassen werden. Eine Pflicht zur Aufklärung besteht zumindest dann, wenn ein offiziell bestellter Geschäftsführer bloß als „Strohmann“ agiert und zusätzlich außergewöhnliche risikoerhöhende Faktoren vorliegen.
Zudem bedeutet die Zusicherung von Versicherungsschutz für faktische Geschäftsführer nicht, dass die Beklagte die Scheingesellschafterführung formeller Organe in Betracht zieht oder auf eine entsprechende Aufklärung verzichtet hätte.
(2) Der Versicherer hätte den Antrag bei Kenntnis über die Rolle des Klägers als Scheingeschäftsführer nicht angenommen, sodass die fehlende Erklärung für die Vertragsannahme kausal war.
(3) Dem Kläger war bewusst, dass der Versicherer den Antrag bei Kenntnis der Scheingeschäftsführereigenschaft ablehnen oder nur zu erschwerten Bedingungen annehmen würde. Er erkannte, dass er in der Rolle des formellen Geschäftsführers einer Inanspruchnahme ausgesetzt werden könnte. Zudem wird eine Haftung dann besonders wahrscheinlich, wenn der Geschäftsführer keinen tatsächlichen Einfluss hat, sondern die Geschäftsführung von einer Person übernommen wird, die aufgrund anderer Verpflichtungen nicht ihre volle Arbeitskraft einbringen kann. Dies gilt verstärkt, wenn sich die GmbH in einer wirtschaftlich schwierigen Lage befindet.
Versicherte Personen in einer D&O-Versicherung sollten sich seit dieser Entscheidung bewusst sein, dass eine spontane Anzeigepflicht in Ausnahmefällen besteht. Diese greift, wenn offensichtlich gefahrerhebliche Umstände vorliegen, die so selten und außergewöhnlich sind, dass die Aufnahme in den Fragebogen für den Versicherer unzumutbar war. Grundsätzlich kann der Versicherungsnehmer darauf vertrauen, dass der Versicherer relevante Risikofaktoren durch gezielte Fragen ermittelt. Es ist jedoch ratsam, potenziell kritische Umstände proaktiv zu melden, um spätere Anfechtungen zu vermeiden.