OLG Zweibrücken 4 U 27/22
Erlösverteilung aus Grundstücksversteigerung nach Anwachsung bei letztem GbR-Gesellschafter

14.10.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Zweibrücken
07.06.2023
4 U 27/22
NZG 2024, 66

Leitsatz | OLG Zweibrücken 4 U 27/22

  1. Haben die Gesellschafter einer BGB-Gesellschaft im Gesellschaftsvertrag geregelt, dass die Gesellschaft von den verbleibenden Gesellschaftern fortgesetzt wird, wenn ein Gesellschafter ausscheidet, wächst bei Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters dem allein verbleibenden Gesellschafter das Vermögen der GbR an, d.h. die Aktiva und Passiva gehen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf ihn über, ohne dass es eines Übertragungsaktes oder einer Übernahmeerklärung bedarf.
  2. Ein Prätendent, dem der hinterlegte Geldbetrag materiellrechtlich nicht zusteht, ist auf Kosten des wirklich Berechtigten „in sonstiger Weise“ um die „Blockierstellung“ eines Hinterlegungsbeteiligten ungerechtfertigt bereichert und deshalb gem. § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB zu der für die Auszahlung des Geldes an den wahren Berechtigten erforderlichen Zustimmung verpflichtet.
  3. Der im Rahmen einer Zwangsversteigerung erzielte Versteigerungserlös tritt an die Stelle der versteigerten Sache und die an der versteigerten Sache bestehende Rechtslage setzt sich am Versteigerungserlös fort.

Sachverhalt | OLG Zweibrücken 4 U 27/22

Am 28.12.2005 schlossen die Klägerin und der Beklagte einen Gesellschaftsvertrag zur Gründung der Grundstücksgemeinschaft T (nachfolgend „GbR“) in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, an deren Vermögen die Klägerin zu 51 % und der Beklagte zu 49 % beteiligt waren. Der Zweck der GbR bestand darin, eine Gewerbeimmobilie in L, die ursprünglich im Alleineigentum des Beklagten stand, zu erwerben und gemeinschaftlich zu verwalten. Die Parteien wurden im Grundbuch von L „als Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts“ als Eigentümer des Grundstücks eingetragen.

Aufgrund der Unfähigkeit der Parteien, die aufgenommenen Darlehensverbindlichkeiten für den Erwerb der Gewerbeimmobilie zu bedienen, leitete die finanzierende Bank die Zwangsversteigerung der besagten Immobilie ein. Im Zuge des Versteigerungsverfahrens wurde ein Überschuss erzielt, der von der durchführenden Bank beim AG hinterlegt wurde, nachdem Uneinigkeiten über die Verteilung des Erlösüberschusses zwischen den Prozessparteien bekannt wurden.

Beide Parteien stellten Ansprüche auf den hinterlegten Überschuss. Da der Beklagte seine Mitgliedschaft in der GbR vor Einleitung des Zwangsversteigerungsverfahrens gekündigt hatte und gemäß den Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages die GbR mit den verbleibenden Gesellschaftern fortgeführt wurde, forderte die Klägerin die vollständige Auszahlung des hinterlegten Geldbetrags. Das LG gab der Klage hinsichtlich eines Teilbetrages (Restkaufpreis für GmbH-Anteil) statt und wies sie im Übrigen überwiegend ab. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung.

Entscheidung | OLG Zweibrücken 4 U 27/22

Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.

Die Klägerin kann von dem Beklagten aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB die Einwilligung verlangen, dass der bei dem Amtsgericht L hinterlegte Geldbetrag an sie ausbezahlt wird, da sie zum Zeitpunkt der Zwangsversteigerung Alleineigentümerin des versteigerten Grundstücks war und der hinterlegte Übererlös an die Stelle der versteigerten Sache getreten ist.

Mit dem Ausscheiden des Beklagten aus der GbR aufgrund seiner Kündigung zum 31.12.2014 sei das Grundstück, das trotz des Wortlauts der Grundbucheintragung bis zu diesem Zeitpunkt im Eigentum der Gesellschaft gewesen sei, durch Anwachsung in das alleinige Eigentum der Klägerin übergegangen. Gemäß den Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags, in dem die Parteien vereinbart hatten, dass eine Kündigung nicht die Auflösung der Gesellschaft zur Folge hat, sondern lediglich das Ausscheiden des kündigenden Gesellschafters bei Fortsetzung der Gesellschaft, gehe der Gesellschaftsanteil des Beklagten als ausscheidender Gesellschafter auf die Klägerin als verbleibende „Gesellschafterin“ über.  In Übereinstimmung mit dieser Regelung wachse bei Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters dem letzten verbleibenden Gesellschafter das Vermögen der GbR an. Das bedeute, dass die Aktiva und Passiva im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf ihn übergehen, ohne dass es eines Übertragungsakts oder einer Übernahmeerklärung bedarf.

Diesen Ausführungen zufolge sei die Klägerin ab dem 01.01.2015 alleinige Eigentümerin des später zwangsversteigerten Grundstücks gewesen, ohne dass es dazu eines rechtsgeschäftlichen Übertragungsaktes erfordert hätte. Obwohl dadurch die Verlautbarung der Eigentumsverhältnisse im Grundbuch inhaltlich unrichtig geworden sei, berühre dies nicht den außerhalb des Grundbuchs erfolgten Rechtserwerb der Klägerin. Der „Überschuss“ aus der Zwangsversteigerung der Immobilie stehe demnach allein ihr als früherer Eigentümerin zu. Denn der Versteigerungserlös trete an die Stelle der versteigerten Sache und die an der Sache bestehende Rechtslage setze sich am Erlös fort.

Sei – wie vorliegend – zwischen zwei Forderungsprätendenten, zu deren Gunsten ein Geldbetrag bei einer öffentlichen Hinterlegungsstelle hinterlegt ist, streitig, an wen von ihnen der hinterlegte Geldbetrag auszuzahlen ist, habe der wirkliche Rechtsinhaber gegen den anderen Prätendenten einen bereicherungsrechtlicher Anspruch auf Einwilligung in die Auszahlung an ihn. Letzterer erlange nämlich durch das vom Schuldner gewählte Vorgehen der Hinterlegung auf Kosten des wahren Gläubigers rechtsgrundlos die „Blockierstellung“ eines Hinterlegungsbeteiligten. Der Prätendent, dem der hinterlegte Geldbetrag materiellrechtlich nicht zusteht, ist auf Kosten des wirklich Berechtigten „in sonstiger Weise“ ungerechtfertigt bereichert und daher gem. § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB zu der für die Auszahlung des Geldes an den wahren Berechtigten erforderlichen Zustimmung verpflichtet.

Praxishinweis | OLG Zweibrücken 4 U 27/22

Die Entscheidung des OLG Zweibrücken erging zum Personengesellschaftsrecht, welches bis zum 31.12.2023 galt, wobei das Gericht den Fall insbesondere anhand der höchstrichterlichen Rechtsprechung löste. Doch ist der vorliegende Sachverhalt auch nach dem neuen Personengesellschaftsrecht seit Inkrafttreten des MoPeG am 01.01.2024 im Ergebnis nicht anders zu lösen.

Zunächst regelt § 705 Abs. 2, 3 BGB (nF) die Rechtsfähigkeit der nach außen auftretenden GbR, sodass die GbR nach wie vor auch Eigentümerin von Grundstücken werden kann. Gemäß § 47 Abs. 2 GBO (n.F.) soll ein Recht für eine GbR allerdings fortan nur im Grundbuch eingetragen werden, wenn sie im Gesellschaftsregister eingetragen ist. Scheidet der vorletzte Gesellschafter nun aus der Gesellschaft aus, regelt § 712a BGB (n.F.) ausdrücklich, dass die GbR ohne Liquidation erlischt und das Gesellschaftsvermögen zum Zeitpunkt des Ausscheidens des vorletzten Gesellschafters im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf den verbleibenden Gesellschafter übergeht. Demzufolge erlösche die GbR im vorliegenden Fall ebenfalls und die Klägerin als letzte verbleibende Gesellschafterin würde sämtliches Vermögen der GbR, einschließlich des Grundeigentums, im Wege der Gesamtrechtsnachfolge erwerben, sodass sie auch in diesem Fall (aufgrund der Fortsetzung der an der Sache bestehenden Rechtslage am Erlös) einen Anspruch auf Auskehrung des Erlöses aus der Zwangsvollstreckung hätte.