OLG Schleswig 9 U 58/23
Geltung des HGB in der Fassung vor Inkrafttreten des MoPeG für vor dem 01.01.2024 gefasste Beschlüsse einer Personengesellschaft

02.05.2025

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Schleswig
05.06.2024
9 U 58/23
BeckRS 2024, 12817

Leitsatz | OLG Schleswig 9 U 58/23

  1. Für die gerichtliche Überprüfung von Beschlüssen einer Personengesellschaft, die bis zum Inkrafttreten des MoPeG am 31.12.2023 gefasst wurden, gelten die Vorschriften des HGB in der bis zum 31.12.2023 geltenden Fassung. (Amtlicher Leitsatz)
  2. Eine gesellschaftsvertraglich bestimmte Anfechtungsfrist begegnet keinen Bedenken, solange sie die Frist der gesetzlichen Leitvorschrift des § 246 Abs. 1 AktG – Frist von einem Monat ab Beschlussfassung – nicht unterläuft. (Redaktioneller Leitsatz)
     

Sachverhalt | OLG Schleswig 9 U 58/23

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Gesellschafterbeschlüssen der beklagten Kommanditgesellschaft. Die Gesellschaft wurde 2013 gegründet und hat etwa 300 Kommanditisten.

Am 21.06.2022 fand eine Gesellschafterversammlung der Beklagten ohne Anwesenheit der Klägerin (eine Kommanditistin) statt. Dort wurden mehrere Beschlüsse gefasst, darunter die Feststellung der Jahresabschlüsse für 2019-2021, die Entlastung der Geschäftsführung bei eigener Enthaltung sowie die Delegation der Entscheidung über die Gewinnverwendung auf die Geschäftsführung und den Beirat.

Die Klägerin behauptet, nicht ordnungsgemäß zu der Gesellschafterversammlung geladen worden zu sein, und erhob Klage auf Feststellung der Nichtigkeit der gefassten Beschlüsse. Sie argumentiert, dass die Beklagte das kapitalgesellschaftsrechtliche (Beschlussmängel-)System übernommen habe, weshalb die Klage gegen die Beklagte zu richten sei und nicht gegen jeden Kommanditisten, der für die streitgegenständlichen Beschlüsse gestimmt habe. Die Klägerin behauptet zudem, ihre Anwesenheit hätte das Abstimmungsergebnis beeinflussen können. Die Beklagte bestreitet eine fehlerhafte Ladung und meint, dass die Klage gegen alle Kommanditisten hätte gerichtet werden müssen, die die streitgegenständlichen Beschlüsse gefasst hätten.

Das Landgericht wies die Klage ab, da sie gegen die Mitgesellschafter hätte gerichtet werden müssen. Da die Auslegung des Gesellschaftsvertrages nichts Anderes ergebe, sei dies der personengesellschaftsrechtliche Regelfall. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung.

Entscheidung | OLG Schleswig 9 U 58/23

Die zulässige Berufung ist teilweise begründet.

Zunächst stellt das OLG Schleswig fest, dass die Feststellungsklage die statthafte Klageart sei. Der Entscheidung seien die gesetzlichen Vorschriften des HGB für KGs in der bis zum 31.12.2023 geltenden Fassung zugrunde zulegen. Anderenfalls habe die umfängliche Neukodifikation von Vorschriften des Personengesellschaftsrechts zum 01.01.2024 – auch des vorliegend relevanten Beschlussmängelrechts in §§ 110 HGB ff. n.F. – eine unzulässige Rückwirkung von Rechtsfolgen zur Folge.
 
Das für die Feststellungsklage erforderliche Feststellungsinteresse sei aufgrund der Gesellschafterstellung sowie des Streits über die Wirksamkeit der angefochtenen Gesellschafterbeschlüssen zwischen den Parteien gegeben. Dass die Klägerin durch einen weiteren Beschluss vor Klageerhebung aus der Gesellschaft ausgeschlossen worden sei, erachtet das OLG Schleswig als unerheblich, da über die in diesem Zusammenhang bereits anhängige Beschlussmängelklage noch nicht entschieden worden ist.

Weiter führt das OLG aus, dass es – entgegen dem Standpunkt des LG – der Beklagten nicht an der Passivlegitimation fehle. Nach der Rspr. des BGH sei die Passivlegitimation einer KG im Rahmen von Beschlussmängelklagen anzunehmen, wenn es sich bei der KG um eine Publikumsgesellschaft handle, was wiederum der Fall sei, wenn der Gesellschaftsvertrag auf die Geltung des kapitalgesellschaftsrechtlichen Systems schließen lässt. Dies sei anhand einer objektiven Auslegung des Gesellschaftsvertrages zu ermitteln. Es sei also die Feststellung erforderlich, dass der Gesellschaftsvertrag eine Annäherung der für Aktiengesellschaften oder für Gesellschaften mit beschränkter Haftung geltenden gesetzlichen Vorschriften beinhaltet. Dies sei bei dem Gesellschaftsvertrag der Beklagten der Fall.

Hinsichtlich der Nichtigkeit der streitgegenständlichen Beschlüsse stellt das OLG fest, dass es für die Feststellung der Unwirksamkeit der Beschlussfassungen zu den Jahresabschlüssen 2019 bis 2021, zu der Entlastung der Geschäftsführung und zu der Entlastung des Beirates für die Jahre 2019 bis 2021 bereits deshalb an der Rechtswidrigkeit fehle, weil sich die behauptete Nichtladung der Klägerin nicht materiell ausgewirkt habe. Anerkannt sei, dass ein Ladungsmangel nicht zur Nichtigkeit führt, sofern er das Abstimmungsergebnis unter keinen Umständen beeinflussen kann, es also auf die Stimme des nicht geladenen Gesellschafters nicht ankommt. Vorliegend seien die Beschlüsse mit der nach dem Gesellschaftsvertrag erforderlichen „Mehrheit von 50% der abgegebenen Stimmen“ gefasst worden. Wäre die Klägerin anwesend gewesen und hätte gegen die Beschlüsse gestimmt, wären die angegriffenen Beschlüsse gleichsam gefasst worden, da das vereinbarte Quorum der einfachen Mehrheit dennoch erreicht worden wäre. Zudem sei nach der Rspr. des BGH die fehlende Zustimmung eines Gesellschafters unbeachtlich, wenn er aus Treuegesichtspunkten zur Zustimmung verpflichtet gewesen wäre. Diesbezüglich habe die Klägerin nichts dazu vorgetragen, weshalb sie meint, die Jahresabschlüsse nicht genehmigen zu können und die Geschäftsführung und den Beirat nicht zu entlasten.

Lediglich der Beschluss zur Delegation der Entscheidung über die Gewinnverwendung auf die Geschäftsführung und den Beirat sei nichtig. Einerseits sei die Delegation vertragswidrig, da der Gesellschaftsvertrag die Entscheidung zur Gewinnverwendung durch die Gesellschafterversammlung vorsehe. Andererseits haben die Kommanditisten einen grundsätzlichen Anspruch auf Gewinnauszahlung nach § 169 Abs. 1 S. 2 HGB. In dieses zum Kernbereich der Mitgliedschaft gehörende Recht sei treuwidrig eingegriffen worden, was zur Nichtigkeit führe, da die Gesellschaft kein überwiegendes schutzwürdiges Interesse an dem Beschluss geltend gemacht habe.

Praxishinweis | OLG Schleswig 9 U 58/23

Die neuen Regelungen des MoPeG enthalten keine spezifischen Überleitungsbestimmungen, weshalb die allgemeinen intertemporalen Rechtsgrundsätze heranzuziehen sind. Gemäß Art. 170 EGBGB bleibt für Schuldverhältnisse, die vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs entstanden sind, das bisherige Recht maßgeblich. Aus dieser Norm ergibt sich, dass die gesetzliche Neuregelung eines Schuldverhältnisses lediglich solche Schuldverhältnisse erfasst, die nach Inkrafttreten des jeweiligen Gesetzes begründet werden – sofern keine ausdrückliche abweichende Regelung vorliegt. Für das Inkrafttreten des MoPeG folgt hieraus, dass für die Beurteilung der Nichtigkeit des Beschlusses auf die Rechtslage zum Zeitpunkt der Beschlussfassung abzustellen ist. Für anhängige Beschlussmängelklagen gegen Gesellschafterbeschlüsse, die vor dem 01.01.2024 ergangen sind, gilt also weiterhin das alte materielle Recht. Die statthafte Klage zur Klärung der Nichtigkeit ist die Feststellungsklagen; eine Klageänderung ist nicht notwendig.
 
Für Beschlussmängelklagen betreffend Beschlüsse, die nach dem 31.12.2023 gefasst wurden, gelten fortan die §§ 110 ff. HBG n.F. Zu beachten ist, dass die §§ 110 ff. HGB n.F. für die OHG und die KG (über § 161 Abs. 2 HGB) gelten – und somit nicht für die GbR oder die PartG. Es besteht jedoch die Möglichkeit der Anordnung der Anwendung der §§ 110 ff. HGB n.F. im Gesellschaftsvertrag der GbR oder PartG. Dies vermeidet insbesondere rechtliche Unsicherheiten in Grenzfällen, falls eine GbR (unerkannt) unter § 1 Abs. 2 HGB fällt. Die gesetzliche Frist zur Erhebung einer solchen Anfechtungsklage beträgt gem. § 112 HGB nF drei Monate ab Bekanntgabe des Beschlusses.