BGH IX ZR 243/18
Gesellschaftergleiche Stellung bei Doppeltreuhand

02.12.2020

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
25.06.2020
IX ZR 243/18
ZIP 2020, 1468 = EWiR 2020, 563 (m. Anm. Undritz)

Leitsatz | BGH IX ZR 243/18

  1. Der Insolvenzverwalter hat für eine Anfechtung einer Rechtshandlung, mit der eine Gesellschaft einem Dritten für eine Forderung auf Rückgewähr eines Darlehens Befriedigung gewährt hat, darzulegen und zu beweisen, dass der Dritte kein Gesellschafter des Schuldners ist. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Dritte einem Gesellschafter gleichzustellen ist, trifft hingegen den Anfechtungsgegner.
  2. Ansprüche eines Darlehensgebers stehen wirtschaftlich einer Forderung auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens gleich, wenn sich die Tätigkeit der Gesellschaft für den Darlehensgeber in einer Gesamtbetrachtung aufgrund seiner einem Gesellschafter vergleichbaren Rechtsstellung als eine eigene unternehmerische Betätigung darstellt. Hierzu sind bei der jeweiligen Gesellschaftsform die bestehende Gewinnbeteiligung des Darlehensgebers, seine gesellschaftergleichen Recht und seine Teilhabe an der Geschäftsführung in einem Gesamtvergleich mit der Rechtsposition eines Gesellschafters zu betrachten.
  3. Ein doppelseitiges Treuhandverhältnis, bei dem der Gesellschafter als Treugeber seinen Gesellschaftsanteil auf einen Treuhänder übertragt, der ihn zugleich Treuhänderschaft zugunsten des Darlehensgebers hält, führt nicht dazu, dass der Darlehensgeber allein aufgrund der zu seinen Gunsten bestehenden treuhänderischen Berechtigung einem Gesellschafter gleichzustellen ist. Auch insoweit kommt es darauf an, wie die Rechtsstellung des Darlehensgebers im Vergleich zu einem Gesellschafter ausgestaltet ist.
  4. Eine bloß faktische Möglichkeit des Darlehensgebers, Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft zu nehmen, genügt nicht für eine Gleichstellung mit einem Gesellschafter.

Sachverhalt | BGH IX ZR 243/18

Die Beklagte (eine GmbH & Co. KG) ist Alleingesellschafterin der Schuldnerin. Die Schuldnerin war durch Bankenkonsortium Kredit gewährt worden. Schuldnerin und Beklagte hatten Gesamtgrundschulden zur Sicherung gestellt. Die Banken waren nach § 328 Abs. 1 BGB unmittelbar Begünstigte einer doppelnützigen Treuhand (sog. Doppeltreuhand, hierzu ausf. Bitter, ZIP 2015, 2249; Weitbrecht, NZI 2017, 553) an den Geschäftsanteilen der Komplementär-GmbH der Beklagten. Bei dieser Form der Treuhand wird der Treuhänder gleichzeitig für die Kreditgeber als Begünstigten und für die Treugeber tätig (die Einordnung der Doppeltreuhand ist im Detail sehr streitig, vgl. dazu Bitter, in FS Ganter, 101, 108 ff.; Weitbrecht, NZI 2017, 553 ff. Seit BGH NZI 2016, 21 ist jedenfalls geklärt, dass diese dem Grunde nach aufgrund ihres Sicherungscharakters auch in der Insolvenz bestand hat und nicht unter §§ 115, 116 InsO fällt).

Die Schuldnerin führt den Kredit an die Banken zurück. Der Insolvenzverwalter verlangt aus § 135 Abs. 2 InsO dessen Rückzahlung. Die Beklagte wendet ein, dass Banken aufgrund der Doppeltreuhand nicht “Dritte“ seien und daher eine Anfechtung nach § 135 Abs. 2 InsO ausscheide.

Das OLG Frankfurt als Vorinstanz hatte die Klage als dem Grunde nach begründet angesehen.

Entscheidung | BGH IX ZR 243/18

Die Revision zum BGH bleibt erfolglos. Der IX. Zivilsenat führt aus, das Berufungsgericht habe rechtfehlerfrei angenommen, dass dem Kläger ein Anfechtungsanspruch aus §§ 143, 135 Abs. 2 InsO zusteht. Nach § 135 Abs. 2 Hs. 1 InsO ist eine Rechthandlung anfechtbar, mit der eine Gesellschaft einem Dritten für eine Forderung auf Rückgewähr eines Darlehens innerhalb der in § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO genannten Fristen Befriedigung gewährt hat, wenn ein Gesellschafter für die Forderung eine Sicherheit bestellt hatte oder als Bürge haftet. Entsprechendes gilt gemäß § 135 Abs. 2 Hs. 2 InsO für Forderungen, die einem Darlehen wirtschaftlich entsprechen.

Im Falle des § 135 Abs. 2 InsO muss der Kreditgeber eine Person sein, die selbst nicht dem Recht der Gesellschafterdarlehen (§§ 39 Abs. 1 Nr. 5, 135 InsO) unterliegt. Der Kreditgeber darf also weder selbst Gesellschafter sein noch einem solchen gleichgestellt sein. Die Tilgung einer zuvor besicherten Forderung eines gesellschaftergleichen Dritten wird schon von § 135 Abs. 1 InsO erfasst und ist danach anfechtbar.

Mit ausführlicher Begründung führt der BGH aus, dass die kreditgebenden Banken gesellschaftsfremde Dritte seien. Unstreitig bestehe keine formelle Gesellschafterstellung. Auch eine Gleichstellung der Banken mit einem Gesellschafter (personelle Ausdehnung des Anwendungsbereichs von §§ 39 Abs. 1 Nr. 5, 135 InsO) liege nicht vor. Eine Rechtshandlung könne wirtschaftlich einem Gesellschafterdarlehen entsprechen, wenn der Darlehensgeber sich aufgrund von Vereinbarungen Rechte einräumen lässt, die im Rahmen einer Gesamtwürdigung dazu führen, dass er eine einem Gesellschafter vergleichbare Stellung innehat. Erforderlich sei hierfür, dass der Dritte unternehmerischen Einfluss die Gesellschaft hat und dieser Einfluss in einer Weise ausgestaltet und abgesichert ist, die es rechtfertigt, das Darlehen des Dritten als Einsatz eines Kapitals zu einer eigenen gesellschaftergleichen unternehmerischen Tätigkeit anzusehen. Dies setzte einerseits einen rechtlichen Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft voraus und andererseits eine Teilnahme des Dritten am wirtschaftlichen Erfolg der Gesellschaft, wobei die Wertung des § 39 Abs. 5 InsO (Kleinbeteiligungsprivileg) zu berücksichtigen seien.

Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, sei eine Frage der Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalls. Insbesondere seien maßgeblich:

  • Art und Inhalt der getroffenen Abreden und der dem Darlehensgeber eingeräumten Rechte,
  • der Umfang, in dem dieser über die Geschäftsführung bestimmen kann und
  • die Art und Weise, in welcher der Darlehensgeber am Verlust und Gewinn der Gesellschaft beteiligt ist.

Die erforderliche Kapitalbeteiligung liege in diesen Fällen regelmäßig in der Hingabe des Darlehens. Zusammenfassend formuliert der IX. Zivilsenat einen Dreifachtatbestand aus Gewinnbeteiligung, gesellschaftergleichen Rechten und Teilhabe an der Geschäftsführung in einem Gesamtvergleich mit der Rechtsposition eines regulären Gesellschafters. Die aufgestellten Voraussetzungen sieht der IX. Zivilsenat dann als nicht gegeben an.

Schließlich nimmt der Senat noch Stellung zur Frage der wirtschaftlichen Gleichstellung des Begünstigten (des Darlehensgebers) einer Doppeltreuhand. Im Falle einer doppelseitigen Treuhand sei der Darlehensgeber nicht ohne weiteres einem Gesellschafter gleichzustellen. Dies gelte auch, wenn der Treuhandvertrag im Hinblick auf den Darlehensgeber einen Treuhandvertrag zugunsten Dritter (§ 328 BGB) darstellt. Dem Darlehensgeber stehen bei der Doppeltreuhand nur die im Innenverhältnis eingeräumten Rechte zu. Insoweit gelte nichts anderes als im Hinblick auf die Gleichstellung des Dritten aufgrund von Vereinbarungen.

Praxishinweis | BGH IX ZR 243/18

Der Entscheidung ist im Ergebnis zuzustimmen. Jedoch ist bemerkenswert und nicht ohne Weiteres nachvollziehbar, dass der Senat, abweichend von der bisherigen Rechtsprechung (des II. Zivilsenats) nicht mehr nur vom Zweifachtatbestand aus Gewinnbeteiligung und Einfluss auf die Entscheidungsfindung in der Gesellschafterversammlung spricht, sondern von einem Dreifachtatbestand, der zusätzlich die „Teilhabe an der Geschäftsführung“ als scheinbar eigenständiges Kriterium in die Gesamtbetrachtung einbezieht (sehr kritisch Bitter, WM 2020, 1764). Das ist nicht zu begrüßen, weil es der ohnehin schon komplizierten Thematik eine weitere Dimension hinzufügt. Dies ist besonders deshalb nicht nötig, weil die „Teilhabe an der Geschäftsführung“ unproblematisch in der Gesamtbetrachtung nach dem bisherigen Zweifachtatbestand unter dem Gesichtspunkt des „unternehmerischen Einflusses“ berücksichtigt werden kann. Wer Einfluss auf die Geschäftsleitung hat, hat auch unternehmerischen Einfluss.