BGH II ZR 35/23
Fristwahrung bei außerordentlicher Kündigung von Geschäftsführeranstellungsverträgen und Anwendung der Kündigungsfristen des § 622 BGB

18.08.2025

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
05.11.2024
II ZR 35/23
GWR 2025, 114

Leitsatz | BGH II ZR 35/23

  1. Bei einer außerordentlichen Kündigung des Anstellungsvertrags des Geschäftsführers einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung aufgrund vertraglich vereinbarter wichtiger Gründe gilt die Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB.
  2. Auf den Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, der kein Mehrheitsgesellschafter ist, sind die zum Nachteil des Geschäftsführers grundsätzlich nicht abdingbaren, in § 622 Abs. 1 und 2 BGB geregelten Kündigungsfristen entsprechend anzuwenden. Dies gilt auch dann, wenn er Geschäftsführer der Komplementärin einer GmbH & Co. KG ist und den Anstellungsvertrag unmittelbar mit der Kommanditgesellschaft abgeschlossen hat (Abgrenzung zu BAG, Urteil vom 11. Juni 2020 – 
    2 AZR 374/19, BAGE 171, 44). 

Sachverhalt | BGH II ZR 35/23

Die Beklagte (Bekl.) ist ein Biotechnologieunternehmen in der Rechtsform einer Einheits-GmbH & Co. KG. Die Komplementärin ist eine GmbH ohne Kapitalanteil, deren Gesellschaftsanteile zu 100 % von der Bekl. gehalten werden. Der Kläger (Kl.) ist mit 0,6 % als Kommanditist an der Bekl. beteiligt und war seit dem 01.10.2001 aufgrund eines Geschäftsführeranstellungsvertrags (GAV) als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH tätig. Er führte auch die Geschäfte der Bekl. Sein Jahresgehalt und ein möglicher Bonus beliefen sich jeweils zuletzt auf 160.000 EUR.

Gemäß § 4 I GAV war eine ordentliche Kündigung mit 12 Monaten Frist möglich; § 4 II GAV sah die außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund vor, insbesondere bei Liquidation der Gesellschaft.

Der Gesellschaftsvertrag (GV) der Bekl. bestimmt in § 7 III GV, dass Gesellschafterbeschlüsse mit einfacher Mehrheit gefasst werden, während Änderungen des GV eine 75 %-Mehrheit (§ 7 IV a) GV) erfordern. Die Bekl. verfügt nach § 8 GV über einen Aufsichtsrat, der laut § 9 I GV alle Aufgaben eines Aktiengesellschafts-Aufsichtsrats wahrnimmt. Gemäß § 9 IV 1 GV ist der Aufsichtsrat zur Bestellung/Abberufung von Geschäftsführern der Komplementärin und zur Beendigung von deren Anstellungsverträgen zuständig.
Am 08.03.2016 beschloss die Gesellschafterversammlung der Bekl. einstimmig die sofortige Auflösung der Gesellschaft (TOP 1) und – gegen die Stimme des Kl. – die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung bzw. Aufhebungsvereinbarung hinsichtlich seines GAV (TOP 2 I). Der Aufsichtsratsvorsitzende Prof. Dr. H wurde umfassend bevollmächtigt, die Kündigung oder Aufhebung gegenüber dem Kl. zu erklären (TOP 2 II). Am selben Tag wurde in der Gesellschafterversammlung der Komplementär-GmbH die Auflösung der GmbH sowie die Abberufung des Kl. zum 10.03.2016 beschlossen.

Mit Schreiben vom 22.03.2016 kündigte Prof. Dr. H namens der Bekl. und unter Hinweis auf seine Bevollmächtigung sowie einen Beschluss des Aufsichtsrats den GAV außerordentlich zum 30.04.2016, hilfsweise ordentlich zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Am 7.6.2016 sprach Prof. Dr. H erneut eine hilfsweise außerordentliche bzw. ordentliche Kündigung aus, gestützt auf ein Schreiben des Kl.-Vertreters vom 18.05.2016.

Das LG Mannheim stellte mit Urteil vom 25.08.2021 fest, dass das Anstellungsverhältnis durch die Kündigungen nicht beendet worden sei, wies den Vergütungsanspruch (Fixvergütung bis Jan. 2017) als „derzeit unbegründet“ ab, erkannte jedoch einen Bonusanspruch für 2016 (unter Aufrechnung) teilweise zu. In der Berufung verlangte der Kl. nur noch Vergütung für Mai und Juni 2016 sowie Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten.

Das OLG Karlsruhe wies die Klage insgesamt ab, verurteilte den Kl. auf Hilfswiderklage der Bekl. zur Zahlung von 2.770 EUR. Mit der vom OLG zugelassenen Revision verfolgt der Kl. seine zuletzt gestellten Klageanträge weiter und hat damit vor dem BGH teilweise Erfolg.
 

Entscheidung | BGH II ZR 35/23

Der BGH hat in seinem Urteil entschieden, dass die außerordentliche Kündigung des Geschäftsführers durch die beklagte Gesellschaft unwirksam war, weil sie nicht innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Zweiwochenfrist gemäß § 626 Abs. 2 BGB erklärt wurde. Die Kündigung stützte sich auf die Liquidation der Gesellschaft als vertraglich vereinbarten wichtigen Grund. Auch wenn ein solcher Grund nicht den gesetzlichen Maßstab des § 626 Abs. 1 BGB erfüllt, bleibt die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB dennoch anwendbar. Der Schutz des Gekündigten, zeitnah Klarheit über den Bestand des Anstellungsverhältnisses zu erhalten, rechtfertigt die Anwendung dieser Frist auch in Fällen rein vertraglicher Kündigungsgründe.

Die Frist begann im vorliegenden Fall mit der Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung am 8. März 2016 zu laufen, da dieses Gremium – entgegen der satzungsmäßigen Zuständigkeit des Aufsichtsrats – mit qualifizierter Mehrheit selbst die Entscheidung über die Kündigung getroffen hatte. Die Kündigung ging dem Kläger jedoch erst am 23. März 2016 zu, womit die Frist überschritten war.

Die daraufhin vom Kläger erhobenen Feststellungsanträge wurden hinsichtlich des Zeitraums bis zum 30. Juni 2016 als unzulässig eingestuft, da insoweit Vorrang der Leistungsklage bestand. Für einen über diesen Zeitpunkt hinausgehenden Feststellungsanspruch sah das Gericht kein rechtliches Interesse.

Gleichzeitig sprach der BGH dem Kläger eine Vergütung für Mai und Juni 2016 zu. Da keine wirksame Kündigung vorlag, bestand das Anstellungsverhältnis fort, und die Beklagte befand sich in Annahmeverzug gemäß § 615 S. 1 BGB. Die spätere Kündigung vom 7. Juni 2016 war ebenfalls unwirksam, da es an einem wichtigen Grund fehlte. Zwar hatte der Kläger über seinen Anwalt auf mögliche belastende Inhalte im Fall einer gerichtlichen Auseinandersetzung hingewiesen, doch lag hierin keine widerrechtliche Drohung, sondern eine zulässige prozessuale Ankündigung.

Der geltend gemachte Vergütungsanspruch wurde jedoch teilweise durch eine wirksam erklärte Hilfsaufrechnung der Beklagten in Höhe von 2.770 EUR gemindert.

Praxishinweis | BGH II ZR 35/23

Da der BGH die außerordentliche Kündigung im entschiedenen Fall bereits wegen Verfristung nach § 626 Abs. 2 BGB für unwirksam hielt, musste er sich mit der Frage nach den anwendbaren ordentlichen Kündigungsfristen für Geschäftsführer, die nicht gleichzeitig Mehrheitsgesellschafter sind, nicht weiter befassen (Ante in GWR 2025, 114, beck-online).

Auch wenn im Anstellungsvertrag wichtige Gründe für eine außerordentliche Kündigung vereinbart wurden, bleibt die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB verbindlich. Wird diese Frist überschritten, ist die Kündigung allein aus diesem Grund unwirksam – unabhängig davon, ob ein objektiv wichtiger Grund tatsächlich vorliegt (Haase, in LMK 2025, 810482, beck-online). Die gesetzliche Frist gilt als materiellrechtliche Ausschlussfrist, eine Wiedereinsetzung ist nicht möglich. Versäumen die kündigungsberechtigten Organe der Gesellschaft diese Frist, kann dies haftungsrechtliche Konsequenzen haben – insbesondere wegen fortlaufender Gehaltszahlungen an den Geschäftsführer (Haase, in LMK 2025, 810482, beck-online).

Obwohl im konkreten Fall nicht entscheidungserheblich, nutzt der BGH die Gelegenheit, seine gefestigte Rechtsauffassung zu wiederholen: Die ordentlichen Kündigungsfristen des § 622 Abs. 1 und 2 BGB sind auf Geschäftsführer, die nicht mehrheitlich an der GmbH beteiligt sind, entsprechend anwendbar. Dies gilt selbst dann, wenn der Anstellungsvertrag mit einer Komplementär-KG abgeschlossen wurde (Haase, in LMK 2025, 810482, beck-online).

Demgegenüber steht die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, das § 622 BGB strikt nur auf Arbeitsverhältnisse anwenden will und für Geschäftsführer auf § 621 BGB verweist (Haase, in LMK 2025, 810482, beck-online). Der BGH widerspricht dieser Auffassung ausdrücklich in einem obiter dictum und hält an seiner Linie fest, um für die Praxis Rechtsklarheit bei der Gestaltung von Geschäftsführerverträgen zu schaffen (Arnold, in ArbRAktuell 2025, 54, beck-online).

Mangels arbeitsgerichtlicher Zuständigkeit für Organvertreter wie Geschäftsführer orientiert sich die Praxis in der Regel an der Rechtsprechung des BGH. Die Zivilgerichte folgen überwiegend dessen Linie. Eine endgültige Klärung des Normkonflikts zwischen BGH und BAG könnte nur der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe oder ein gesetzgeberisches Tätigwerden herbeiführen – letzteres ist derzeit jedoch nicht zu erwarten (Haase, in LMK 2025, 810482, beck-online).

In der Praxis ergibt sich für Geschäftsführer ein doppelter Kündigungsschutz: Einerseits müssen vereinbarte wichtige Kündigungsgründe innerhalb der zweiwöchigen Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB geltend gemacht werden. Andererseits gelten – sofern die Fortsetzung des Vertrags nicht unzumutbar im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB ist – zusätzlich die analogen Mindestkündigungsfristen des § 622 Abs. 1 und 2 BGB (Leuering/Rubner, in NJW-Spezial 2025, 112, beck-online).