05.05.2025
Notizen zur Rechtsprechung
Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:
BGH
23.07.2024
II ZR 206/22
ZIP 2024, 1899 = ZIP 2024, 2012 (Keil)
Die Klägerin nimmt die Beklagte als Alleinerbin des früheren Geschäftsführers der P.-Gruppe auf Schadensersatz in Anspruch. Anfang 2007 geriet die P.-Gruppe in eine Schieflage und deckte die auftretenden Liquiditätslücken mit neuem Anlegerkapital und einem Schneeballsystem. Zu Beginn des Jahres 2018 brach das System zusammen, sodass im Juli 2018 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Der Erblasser war im Zeitraum von 2013 bis 2016 Geschäftsführer der Vertriebsgesellschaften, in welchen die Klägerin insgesamt vier Anlageverträge schloss. Zum Zeitpunkt des vierten Anlagevertrags war der Erblasser bereits als Geschäftsführer abberufen.
Das LG hatte der Klage lediglich in Bezug auf die ersten drei Anlageverträge stattgegeben, sie jedoch hinsichtlich des vierten Anlagevertrages abgewiesen. Im Berufungsverfahren wurde das Insolvenzverfahren über den Nachlass des Erblassers eröffnet, wobei die Klägerin ihren Schadensersatzanspruch zur Tabelle anmeldete. Nachdem die Beklagte unter Verweis auf § 184 Abs. 2 InsO die Aufnahme des unterbrochenen Verfahrens erklärte, setzte des Berufungsgericht das Verfahren insgesamt fort und gab der Klage auch hinsichtlich des vierten Anlagevertrags statt. Im Rahmen der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der gesamten Klage weiter.
Nach Ansicht des BGH ist das Berufungsgericht zu Unrecht von einer wirksamen Aufnahme des gesamten Rechtsstreits ausgegangen, da durch die Klägerin nur eine Teilaufnahme in Bezug auf die Hauptforderung erfolgt sei. Eine Verfahrensaufnahme nach § 240 S. 1 ZPO setze eine wirksame Forderungsanmeldung im Insolvenzverfahren nach § 174 InsO voraus, jedoch betraf die Anmeldung der Klägerin lediglich die in diesem Verfahren geltend gemachten Hauptforderungen ohne die Nebenforderungen.
Das Gebot der Widerspruchsfreiheit von Teil- und Schlussurteil steht einer wirksamen Teilaufnahme des Rechtsstreits nicht entgegen. Zwar ist nach der Rechtsprechung des BGH die Teilaufnahme eines nach § 240 ZPO unterbrochenen Rechtsstreits in der Regel nur möglich, wenn die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen in Bezug auf den aufgenommenen und den nicht aufgenommenen Teil des Rechtsstreits ausgeschlossen ist. Dies ist hier nicht der Fall, da die Begründetheit der Nebenforderungen eine erneute Prüfung der Hauptforderung voraussetze. Jedoch kann dies ausnahmsweise hinzunehmen sein, wenn der Anspruch einer Prozesspartei auf effektiven Rechtsschutz überwiegt. Dies ist im Insolvenzverfahren nach § 38 InsO gegeben, wenn sich der Gläubiger – wie hier – durch eine entsprechende Anmeldung zur Tabelle zu einer beschränkten Rechtsverfolgung im eröffneten Verfahren entschieden hat. Anderenfalls müsste er bei einer Forderung, über die zur Zeit der Verfahrenseröffnung ein Rechtsstreit anhängig war, seine Forderung vollständig zur Tabelle anmelden, was von ihm nicht verlangt werden kann. Denn die Beschränkung der Rechtsverfolgung des Gläubigers beruht regelmäßig auf der Erkenntnis, dass eine weitergehende Rechtsverfolgung aus wirtschaftlichen Gründen nicht sinnvoll erscheint.
Infolgedessen ist bei der Aufnahme eines durch Insolvenz unterbrochenen Rechtsstreits grundsätzlich die Umstellung eines Leistungsantrags in einen Antrag auf Feststellung der Forderung zur Tabelle geboten. Entsprechendes gelte bei der Aufnahme eines anhängigen Rechtsstreits zur Beseitigung oder Verfolgung eines Schuldnerwiderspruchs nach § 184 InsO. Eine Auslegung der Berufungsanträge der Parteien sei hierbei nur möglich, wenn diese Anpassung auch dem wirklichen Willen der Parteien und des Berufungsgerichts entspreche.
Darüber hinaus stehen der Klägerin nach dem BGH auch Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte wegen des vierten Anlagevertrages als sog. Neugläubigerin nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO, §§ 249 ff. BGB zu. Die Haftung des ausgeschiedenen Geschäftsführers wegen Insolvenzverschleppung ist dabei grundsätzlich nicht auf die vor der Amtsbeendigung entstandenen Schäden beschränkt, sondern erfasst auch die Schäden von Neugläubigern, die erst nach seinem Ausscheiden in vertragliche Beziehungen zu der Gesellschaft getreten sind, wenn die durch seine Antragspflichtverletzung geschaffene Gefahrenlage im Zeitpunkt der Schadensentstehung noch fortbesteht.
Zwar entfallen mit der Beendigung der Organstellung auch die Organpflichten des Geschäftsführers inklusive seiner Insolvenzantragspflicht ex nunc, jedoch werden bereits begangene Amtspflichtverletzungen durch den Fortfall der Organstellung ebenso wenig rückwirkend beseitigt wie die Verantwortung für darauf zurückzuführende Verschleppungsschäden. In diesem Fall wird ihm der entstandene Schaden noch als Folge der unterlassenen Antragstellung zugerechnet, da die Verletzung der Insolvenzantragspflicht auch nach Beendigung der Organstellung noch mitursächlich im Sinne der Äquivalenztheorie für anschließende Vertragsschlüsse der Gesellschaft mit Dritten ist, da es bei der gebotenen Antragstellung nicht mehr zu weiteren Vertragsschlüssen gekommen wäre. Diese Verträge sind daher grundsätzlich noch vom Schutzzweck der Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO erfasst, da diese nicht nur der Erhaltung des Gesellschaftsvermögens dient, sondern auch den Zweck hat, insolvenzreife Gesellschaften vom Geschäftsverkehr fernzuhalten, damit neue Gläubiger nicht geschädigt oder gefährdet werden. Der Schutzzweck besteht daher auch nach Beendigung der Geschäftsführerstellung unverändert fort.
Der haftungsrechtliche Zurechnungszusammenhang wird auch nicht durch das Hinzutreten weiterer Ursachen zur Rechtsgutsverletzung ausgeschlossen, sodass der bloße Wechsel in der Person des Geschäftsführers keinen entlastenden Umstand darstellt. Entscheidend ist vielmehr, ob bei wertender Betrachtung das vom Erstschädiger geschaffene Risiko schon gänzlich abgeklungen ist und sich bei Abschluss des zum Schaden des Neugläubigers führenden Vertrags nicht mehr auswirkt. Dies ist dann der Fall, wenn sich die Gesellschaft zunächst wieder nachhaltig erholt hatte und erst nach dem Ausscheiden des Geschäftsführers wieder insolvenzreif geworden war, weil dann die durch die Antragspflichtverletzung begründete Gefahrenlage bei Abschluss der späteren Verträge bereits wieder beendet war. Der Geschäftsführer kann sich daher grundsätzlich nicht mit dem Einwand entlasten, dass neue oder verbliebene Geschäftsführer die von ihm geschaffene Gefahrenlage pflichtwidrig nicht beseitigt hätten.
Das vorliegende Urteil schafft mehr Klarheit im Insolvenzverfahren und erweitert das rechtliche Instrumentarium der Insolvenzverwalter, wenn es in der Krise einer GmbH zu einem Geschäftsführerwechsel kam. Der BGH macht deutlich, dass das Ausscheiden des Geschäftsführers nur in Ausnahmefällen auch zu einer Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs führt. Die Frage, ob der aktuelle oder ehemalige Geschäftsführer dem Schaden nähersteht, ist lediglich für den Ausgleich im Innenverhältnis von Bedeutung (Leuering/Rubner, NJW-Spezial 2024, 528).
Die Haftungsgefahren für Geschäftsführer werden dadurch signifikant erhöht, da sich die Haftung auch nach dem Ausscheiden noch über Jahre erstrecken kann (Straubmeier FD-InsR 2024, 816325). Weiter zu konkretisieren ist außerdem die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Gefahrenlage im Zeitpunkt der Schadensentstehung noch fortbesteht, da eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs auch in anderen Konstellationen in Betracht kommen kann, beispielsweise bei einer nur fahrlässigen Insolvenzverschleppung im Falle einer konkreten Restrukturierungssituation (Straubmeier, FD-InsR 2024, 816325).