16.05.2025
Notizen zur Rechtsprechung
Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:
OLG Celle
22.07.2024
6 U 49/23
BeckRS 2024, 31285
Haftung eines vermeintlichen Testamentsvollstreckers [ PDF ]
Die Kläger verlangen vom Beklagten die Rückzahlung von Geldern, die er als vermeintlicher Testamentsvollstrecker dem Nachlass entnommen hat. Sie machen geltend, dass die Erblasserin zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung testierunfähig war (15.03.2006), weshalb die gesetzliche Erbfolge eingetreten sei. Der Beklagte war als Betreuer für die Vermögenssorge der Erblasserin eingesetzt worden (2002 bis zum Todesfall). Zu diesem Zeitpunkt litt die Erblasserin unter schweren Depressionen und Demenz. Im Februar 2006 folgte eine schwere Lungenerkrankung und Querschnittslähmung, sodass sie sich spätestens ab dem 13.3.2006 in ihrer Sterbensphase befunden hat. In diesem Zeitpunkt setzten der Beklagte und F.B. ein Testament auf, das unter anderem ein Vermächtnis (für den Beklagten) und eine pauschale Vergütung (für F.B.) von jeweils 30.000€ vorsah. Der verbliebene Nachlass (160.566,43 €) sollte an die Krebshilfe ausgezahlt werden. Zur auswärtigen Beurkundung wurde dem Notar ein vorgefertigter Entwurf von dem Beklagten überreicht. Nach der Testamentseröffnung beantragte der Beklagte ein Testamentsvollstreckerzeugnis und veranlasste zahlreiche Überweisungen. Daraufhin wurde dieser wegen Untreue verklagt (19.02.2018).
Das AG hat am 12.11.2019 das Testamentsvollstreckungszeugnis eingezogen und einen Nachlasspfleger bestellt. Am 27.06.2022 forderten die Kläger – nach erfolgloser Fristsetzung – die Rückzahlung der Testamentsvollstreckungsvergütung. Der Beklagte beglich diese Beträge, weshalb der Rechtsstreit insoweit als erledigt galt. Die Parteien stritten jedoch noch über die Zinsen und aufgrund einer Klageerweiterung auch über die Rückzahlung des Betrages (160.566,43 €), der vom Beklagten an die Krebshilfe ausgezahlt wurde. Der Anspruch ergebe sich aus § 2219 BGB, da die Testierunfähigkeit bekannt gewesen sei. Der Beklagte beantragte Klageabweisung mit der Begründung, er habe sich auf das Testamentsvollstreckerzeugnis verlassen und könne nicht für eine erst zehn Jahre nach dem Erbfall festgestellte Testierunfähigkeit verantwortlich gemacht werden. Für eine Haftung aus § 826 BGB fehle es am Vorsatz. Zudem sei der Anspruch verjährt. Das LG verurteile den Beklagten zur Rückzahlung der 30.000 €, der Gebühren für die Testamentsvollstreckung sowie der an die Krebshilfe gezahlten Summe. Der Beklagte legte Berufung ein und verwies erneut auf die fehlenden Anhaltspunkte für eine Testierunfähigkeit bei der Beurkundung. Die Kläger beantragten die Zurückweisung der Berufung.
Die Berufung ist begründet. Der Anspruch auf Zahlung in Höhe von 160.566,43 € ergibt sich sowohl aus ansprechender Anwendung des § 2219 I BGB als auch aus § 823 II BGB i.V.m. § 266 StGB.
1. Nach § 2219 Abs. 1 BGB haftet ein Testamentsvollstrecker den Erben für Schäden, wenn er seine Pflichten verletzt und ihm dabei ein Verschulden zur Last fällt. Diese Regelung wird auf einen vermeintlichen Testamentsvollstrecker angewandt, auch wenn dessen Ernennung von Anfang an unwirksam war. Im vorliegenden Fall war dies der Fall, weil die Erblasserin zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung am 15. März 2006 testierunfähig war. Der Beklagte verletzte seine Pflichten, indem er eine Auszahlung an die D. Krebshilfe vornahm. Da das notarielle Testament aufgrund der Testierunfähigkeit der Erblasserin unwirksam war, war die Krebshilfe keine Erbin und hatte keinen Anspruch auf Zahlungen aus dem Nachlass. Die Überweisung (160.566,43 €) an die Organisation war somit rechtswidrig. Dem Beklagten ist dabei ein Verschulden im Sinne des § 2219 Abs. 1 BGB anzulasten, wobei bereits einfache Fahrlässigkeit gemäß § 276 BGB genügt. Der Beklagte hätte erkennen müssen, dass die Erblasserin testierunfähig und das Testament somit unwirksam war. Damit hätte er keine Verfügung über den Nachlass treffen dürfen. Die Kläger konnten anhand der rechtskräftigen Strafurteile gegen den Beklagten substantiiert dargelegt, dass dieser Kenntnis von der Testierunfähigkeit der Erblasserin hatte. Insbesondere enthält das Urteil vom 23. Juni 2021 die Feststellung, dass der Beklagte es zumindest für möglich hielt, dass die betreute Person ab dem 13. März 2006 aufgrund ihrer physischen und psychischen Einschränkungen kein wirksames Testament mehr errichten konnte. Der Beklagte argumentiert zwar, dass er nach Erhalt des Testamentsvollstreckerzeugnisses darauf vertrauen dürfte, den Nachlass gemäß der testamentarischen Verfügung auszahlen zu können. Das OLG stellt jedoch klar, dass er sich nicht auf das Ergebnis des Nachlassgerichts hätte stützen dürften, sondern seine eigene umfassende Kenntnis der Tatsachen hätte einbeziehen müssen. Er wusste über die geistige Verfassung der Erblasserin Bescheid und hätte daraus schließen müssen, dass sie testierunfähig war. Besonders relevant ist hierbei, dass der Beklagte in der Position des Betreuers der Erblasserin fungierte. Seine schuldhafte Pflichtverletzung führte unmittelbar zum Schaden der Kläger, nämlich zur Verringerung des Nachlasses um die ausgezahlte Summe. Aus diesem Grund ist er den Klägern zur Zahlung von 160.566,43 € verpflichtet.
2. Zudem ist der Beklagte nach § 823 II i.V.m. 266 I StGB zu Schadensersatz verpflichtet. Im Strafverfahren wurde rechtskräftig festgestellt, dass der Beklagte mit der Auszahlung vom Nachlasskonto Untreue begangen hat. Der BGH hat klargestellt, dass die Betreuung auch nach dem Todesfall der Erblasserin fortbesteht und die Vermögensfürsorgepflicht die Abwicklung des Betreuungsverhältnisses mit den Erben umfasst. Dementsprechend war der Betreuer dazu verpflichtet das betreute Vermögen ordnungsgemäß abzurechnen und herauszugeben. Die strafbare Handlung bestand insofern in den Überweisungen nach dem Erbfall. Um eine Verurteilung wegen Untreue zu begründen, reicht es aus, wenn das Gericht davon überzeugt ist, dass der Beklagte den Nachlass bewusst durch die Auszahlung verringerte. Der Beklagte muss es mindestens für möglich halten und billigend in Kauf nehmen, dass die Erblasserin aufgrund ihrer Testierunfähigkeit kein wirksames Testament erstellen konnte. Insofern war es nicht erforderlich, exakt festzustellen, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Weise der Beklagte auf die Erblasserin einwirkt hat. Durch die Veranlassung der Zahlungen an die Krebshilfe haben die Erben einen finanziellen Schaden erlitten.
3. Schließlich kann der Beklagte die Zahlungen nicht wegen des Verjährungseintritts verweigern. Es ist unerheblich, dass der Berufungskläger die Einrede der Verjährung nicht in der Berufungsrüge benannt hat, da das Berufungsgericht dennoch alle Hinweise berücksichtigen muss, die Bedenken an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Feststellungen aufwerfen könnten. Insofern erfordert es keinen ausdrücklichen Berufungsangriff.
Die Verjährung ist weder nach den alten noch nach den neuen Vorschriften des BGB eingetreten.
3a. Der Erbfall trat am 17.03.2006 ein, sodass sich die Verjährung nach dem bis zum 01.01.2010 geltenden Recht richtet, sofern dieses zu einer früheren Verjährung führt. Zum 01.01.2010 galt eine 30-jährige Verjährungsfrist für erbrechtliche Ansprüche. „Erbrechtliche Ansprüche“ umfassten auch Ansprüche auf Schadensersatz gegen einen vermeintlichen Testamentsvollstrecker wegen Nachlassabwicklung. Insofern waren die Ansprüche noch nicht verjährt.
3b. Die Verjährung ist auch nicht nach den seit dem 01.01.2010 geltenden Vorschriften eingetreten. Die neuen Verjährungsvorschriften gelten für am 01.01.2010 bestehende und nicht verjährte Ansprüche. Erbrechtliche Ansprüche unterliegen nun grundsätzlich der Regelverjährung, wobei § 199 Abs. 3a BGB eine Höchstfrist von 30 Jahren vorsieht, sofern die Ansprüche aus einem Erbfall resultieren oder die Kenntnis einer Verfügung von Todes wegen voraussetzen.
Als die Klageerweiterung am 29.08.2022 einging, war die dreijährige Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen. Die reguläre Verjährung beginnt mit dem Jahresende des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist, und mit dem Zeitpunkt, an dem der Gläubiger Kenntnis von den relevanten Umständen erlangt oder grob fahrlässig nicht erlangt hat. Vorliegend entstand der Anspruch mit Auszahlung des Nachlasses in den Jahren 2007/2008. Die maßgebliche Kenntnis des Nachlasspflegers lag frühestens nach dessen Bestellung am 12.11.2019 vor. Bis zur Klageerweiterung sind anschließend weniger als drei Jahre vergangen.
Zudem gilt die spezielle 30-jährige Verjährungsfrist des §199 Abs. 3a BGB – unabhängig davon, ob Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis vorliegt – da der Anspruch auf einem Erbfall beruht. Ansprüche, die auf einem Erbfall beruhen, ergeben sich entweder direkt aus dem fünften Buch des BGB oder durch entsprechende Verweise. Vorliegend greift zumindest die zweite Alternative des § 199 Abs. 3a BGB. Dementsprechend war die 30-jährige Verjährungsfrist bei Klagerweiterung noch nicht abgelaufen.
Im vorliegenden Fall wird deutlich, dass sich ein Testamentsvollstrecker nicht allein auf das Nachlassgericht verlassen darf. Eigene Kenntnisse und Umstände, die Zweifel an der Wirksamkeit des Testaments begründen, müssen miteinbezogen werden. Weiterhin ist zu beachten, dass die gesetzliche Betreuung über den Tod der betreuten Person hinauswirkt und sich der vermeintliche Testamentsvollstrecker den Erben gegenüber haftbar machen kann.