OLG Düsseldorf 3 Wx 123/24
Hohe Anforderungen an die Bestellung eines Notvorstands für einen Verein

10.04.2025

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Düsseldorf
02.08.2024
3 Wx 123/24
NZG 2025, 179

Leitsatz | OLG Düsseldorf 3 Wx 123/24

  1. Von einem dringenden Fall im Sinne § 29 BGB ist nur auszugehen, wenn das Vereinsorgan selbst nicht in der Lage ist, innerhalb einer nach den konkreten Umständen des einzelnen Falles angemessenen Frist die nach der Satzung erforderliche Zahl der Vorstandsmitglieder zu bestellen.
  2. Dazu ist darzulegen, dass der Verein selbst das satzungsmäßig benötigte Vertretungsorgan aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen von vorneherein nicht bestellen kann oder sich der Versuch nach entsprechenden Initiativen als erfolglos erwiesen hat.
  3. Die Auswahl des Notvorstands obliegt dem Gericht und nicht dem Antragsteller.
  4. Der Antrag nach § 29 BGB darf erst zurückgewiesen werden, wenn das Gericht trotz Ausschöpfung aller in Betracht kommenden und nach den Umständen des Falles gebotenen Ermittlungsmöglichkeiten keine geeignete und zur Übernahme des Amtes bereite Person findet.
  5. Der Anspruch auf Vergütung des gerichtlich bestellten Notvorstands für seine Tätigkeit richtet sich gegen den Verein und nicht gegen die Staatskasse oder den Beteiligten, der die Bestellung beantragt hat.
  6. Das Registergericht kann nur die Bestellung eines Notvorstands gemäß § 14 Abs. GNotKG von der Zusage der Zahlung einer Vergütung abhängig machen.

Sachverhalt | OLG Düsseldorf 3 Wx 123/24

Bet. 1 betreibt gegen Bet. 2 die Zwangsvollstreckung aus einem Kostenfestsetzungsbeschluss des LG Duisburg vom 26. Juni 2023 wegen einer Forderung in Höhe von insgesamt 3.630,40 Euro. Am 8. Februar 2024 hat er beim AG Duisburg einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erwirkt. Mit diesem wurde die Forderung von Bet. 2 aus einem Sparguthaben bei der Sparkasse Duisburg gepfändet und Bet. 1 zur Einziehung überwiesen.

Das Vollstreckungsgericht hat in dem Beschluss weiter angeordnet, dass Bet. 2 Bet. 1 das über das Sparguthaben ausgestellte Sparbuch herauszugeben hat.
Die Sparkasse Duisburg hat in ihrer Drittschuldnererklärung vom 8. Februar 2024 die Forderung als begründet anerkannt.

Das AG – Rechtspflegerin – hat die Bestellung eines Notvorstands abgelehnt.

Dagegen richtete sich die Beschwerde von Bet. 1, der ergänzend vortrug, dass Bet. 2 nur noch über eine Handvoll Mitglieder verfüge, weshalb das Registergericht unter Beteiligung des Vorstands gemäß § 73 BGB vorzugehen habe. Das AG Duisburg hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

Entscheidung | OLG Düsseldorf 3 Wx 123/24

Die Beschwerde ist zulässig und begründet und hat folglich Erfolg. 

Die Entscheidung des AG Duisburg, die Bestellung eines Notvorstands nach § 29 BGB abzulehnen, hält der Prüfung durch das Beschwerdegericht nicht stand, da die Voraussetzungen für eine Notbestellung erfüllt sind.

Denn ein Notvorstand kann nach § 29 BGB in dringenden Fällen auf Antrag eines Beteiligten vom zuständigen Amtsgericht bestellt werden, wenn die erforderlichen Mitglieder des Vorstands fehlen. Von einem dringenden Fall kann dabei nur ausgegangen werden, wenn das Vereinsorgan (Vorstand) fehlt oder nicht ausreichend besetzt ist, keine kurzfristige Selbstheilung durch eine Mitgliederversammlung zu erwarten ist und dem Verein oder Dritten (hier: dem Vollstreckungsgläubiger) andernfalls ein Schaden droht (Senat NZG 2024, 208). Es ist allerdings zu beachten, dass die Bestellung einen erheblichen Eingriff in die Vereinsautonomie darstellt und daher nur in engem Rahmen zulässig ist (vgl. OLG Zweibrücken NZG 2012, 424; OLG Frankfurt a. M. NJOZ 2006, 895; NZG 2011, 1277; OLG Karlsruhe NZG 2022, 1341).

Die Voraussetzungen des § 29 BGB liegen nach dem Sach- und Streitstand zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung vor. Bet. 2 ist ohne gesetzliches Vertretungsorgan, und die Bestellung eines Notvorstands ist somit erforderlich, damit Bet. zu 1 seine Rechte in der Zwangsvollstreckung gegen Bet. zu 2 durchsetzen kann, wie im Folgenden erläutert wird. Das führt zur Bestellung eines Notvorstands durch den Senat.

Im konkreten Fall verfügt Bet. 2 nicht mehr über einen vertretungsberechtigten Vereinsvorstand. Der Vorstand bestand laut Satzung (§ 7 Nr. 1) ursprünglich aus vier Personen. C, B und E sind allerdings wirksam zurückgetreten; F ist folglich der letzte verbliebene Vorsitzende. Allerdings ist F nach der Satzung (§ 7 Nr. 2) nicht alleinvertretungsberechtigt, da nur gemeinschaftliche Vertretung mit einem weiteren Vorstandsmitglied zulässig ist.

Eine rechtzeitige Wiederherstellung der Vertretungsmacht innerhalb einer angemessenen Frist durch Bet. 2 ist ebenfalls nicht zu erwarten. Zwar könnte F eine Mitgliederversammlung einberufen (§ 5 Nr. 2); die Satzung erlaubt dies auch bei wichtigen Vereinsbelangen (§ 5 Nr. 1). Jedoch ist faktisch nicht zu erwarten, dass F dies tut, da er mehrfach gerichtliche Aufforderungen ignoriert hat und seine Pflichten aus § 7 Nr. 3 (Einberufung binnen sechs Wochen nach Rücktritt eines Vorstandsmitglieds) verletzt hat. Frühere Vorstandsmitglieder (insb. E) berichten zudem von erfolglosen Kontaktversuchen und völliger Intransparenz (Schreiben vom 1.4.2024).

Des Weiteren ist ein Zwangsgeld gegen F nicht geeignet, die Lage in angemessener Zeit zu beheben, da auch diese Maßnahme aufgrund der bisherigen Weigerungshaltung langwierig und ineffektiv wäre. Insbesondere im Rahmen der Zwangsvollstreckung (die bereits seit fünf Monaten stockt) ist ein weiteres Zuwarten dem Vollstreckungsgläubiger Bet. 1 (§ 883, § 888 ZPO) nicht zumutbar.

Den Vollstreckungsgläubiger Bet. 1 treffen weiterhin auch rechtliche Nachteile. Denn Bet. 1 kann ohne Vertretungsorgan des Vereins die Herausgabe des Sparbuchs nicht durchsetzen. Auch eine Klage auf Auskunft über den Verwahrungsort oder weitere Vollstreckungsmaßnahmen erfordert ein zustellungsfähiges Vertretungsorgan.

Deswegen ist es erforderlich, einen stellvertretenden Vorsitzenden und ein weiteres Vorstandsmitglied zu bestellen, um die Blockadehaltung von F zu überwinden. Die vorgeschlagenen Personen sind zur Übernahme bereit; geeignete Gründe gegen ihre Bestellung liegen nicht vor. Nach der Satzung müssen Vorstandsmitglieder nicht zwingend Vereinsmitglieder sein – externe Notvorstände sind also zulässig. Die Notvorstandsbestellung ist aber auf den Zweck der Zwangsvollstreckung gegen den Bet. zu 2 beschränkt. Die Bestellung endet, sobald das Sparbuch herausgegeben wurde (vgl. Senat NZG 2024, 208; OLG Karlsruhe NZG 2022, 1341; OLG München DStR 2007, 1925).

Das AG hat fälschlich angenommen, dass der Antrag mangels Vorschlags einer geeigneten Person und wegen fehlenden Kostenvorschusses unzulässig sei. Das OLG Düsseldorf stellte in diesem Zusammenhang klar, dass die Auswahl der Personen, die zum Notvorstand bestellt werden, nicht dem Antragsteller, sondern allein dem Registergericht obliegt. Der Antrag nach § 29 BGB darf daher nur dann zurückgewiesen werden, wenn das Gericht trotz angemessener Ermittlungen keine geeignete und zur Übernahme des Amtes bereite Person finden kann (OLG München DStR 2007, 1925). Im vorliegenden Fall hatten zwei geeignete Personen ihre Bereitschaft zur Amtsübernahme erklärt, weshalb eine Zurückweisung des Antrags nicht in Betracht kam.

Auch zur Kostenfrage äußerte sich der Senat eindeutig: Die Vergütung des gerichtlich bestellten Notvorstands ist zivilrechtlich vom Verein zu tragen; sie richtet sich nicht gegen die Staatskasse oder den Antragsteller. Das Gericht der freiwilligen Gerichtsbarkeit kann die Bestellung eines Notvorstands zwar von der Zusage einer Vergütung abhängig machen (§ 14 GNotKG; Krafka, Registerrecht, 12. Aufl. 2024, Rn. 1256), hatte dies im vorliegenden Fall jedoch nicht getan.

Somit führt die Beschwerde zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Bestellung eines Notvorstands, bestehend aus zwei Vorstandsmitgliedern, um die Zwangsvollstreckung des Bet. zu 1 gegen den Bet. zu 2 aus dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des AG Duisburg vom 8.2.2024 (633 M 104/24) zu ermöglichen. Das Amtsgericht hat die Bestellung eines Notvorstands nach § 29 BGB demnach zu Unrecht abgelehnt.

Praxishinweis | OLG Düsseldorf 3 Wx 123/24

Die Entscheidung des OLG Düsseldorf macht deutlich, dass die gerichtliche Bestellung eines Notvorstands nach § 29 BGB einen schwerwiegenden Eingriff in die durch Art. 9 Abs. 1 GG geschützte Vereinsautonomie darstellt. Ein solcher Eingriff ist nur unter strengen Voraussetzungen gerechtfertigt, insbesondere wenn ein Verein faktisch führungslos und handlungsunfähig geworden ist und dadurch nicht nur seine interne Funktionsfähigkeit verliert, sondern auch berechtigte Interessen Dritter – wie im konkreten Fall eines vollstreckungsberechtigten Gläubigers – gefährdet werden.

Voraussetzung für die gerichtliche Einsetzung eines Notvorstands ist zunächst, dass ein sogenannter dringender Fall im Sinne von § 29 BGB vorliegt. Das bedeutet, die satzungsmäßige Besetzung des Vorstands darf nicht innerhalb einer dem Einzelfall angemessenen Frist durch den Verein selbst herbeigeführt werden können. Entscheidend ist dabei, dass nicht bloß ein vorübergehender organisatorischer Engpass vorliegt, sondern eine ernsthafte und anhaltende Handlungsunfähigkeit der Vereinsorgane gegeben ist. Differenzen innerhalb des Vereins oder zwischen Vorstandsmitgliedern reichen dafür grundsätzlich nicht aus, denn das Verfahren nach § 29 BGB ist nicht dafür gedacht, interne Konflikte zu lösen. Vielmehr schützt der Gesetzgeber die Selbstverwaltung des Vereins, indem er Eingriffe nur in Ausnahmefällen zulässt und den Anwendungsbereich der Norm eng zieht (vgl. etwa OLG Zweibrücken NZG 2012, 424; OLG Frankfurt NJOZ 2006, 895; OLG Karlsruhe NZG 2022, 1341).

Darüber hinaus ist erforderlich, dass der Verein entweder rechtlich oder tatsächlich von vornherein nicht in der Lage ist, das satzungsgemäß erforderliche Vertretungsorgan zu bilden, oder dass konkrete Initiativen zur Selbstheilung – etwa der Versuch, eine Mitgliederversammlung einzuberufen – unternommen, aber erfolglos geblieben sind. Nur wenn feststeht, dass die vereinsinternen Mechanismen zur Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit versagen, darf das Gericht als ultima ratio tätig werden.

Zudem stellt das OLG Düsseldorf klar, dass die Auswahl der Person oder Personen, die zum Notvorstand bestellt werden, allein dem Registergericht obliegt. Der Antragsteller hat darauf keinen Anspruch oder Einfluss. Ein Antrag nach § 29 BGB darf daher nicht allein deshalb abgewiesen werden, weil der Antragsteller keine geeignete Person vorschlägt. Vielmehr darf die Zurückweisung des Antrags nur erfolgen, wenn das Gericht trotz Ausschöpfung aller naheliegenden und zumutbaren Ermittlungsansätze keine zur Übernahme bereite und fachlich geeignete Person finden kann. Im vorliegenden Fall lagen zwei positive Bereitschaftserklärungen geeigneter Kandidaten vor, sodass eine Ablehnung des Antrags nicht in Betracht kam.

Schließlich stellt die Entscheidung auch klar, dass die Frage der Vergütung eines gerichtlich bestellten Notvorstands gegen den Verein zu richten ist. Weder der Staat noch der Antragsteller haften für etwaige Ansprüche des Notvorstands auf Aufwendungsersatz oder Vergütung. Zwar entscheidet das Gericht nicht selbst über die konkrete Höhe der Vergütung, es kann die Bestellung aber gemäß § 14 GNotKG von einer Zahlungszusage abhängig machen, etwa durch den Verein selbst oder durch einen Beteiligten, der bereit ist, die Vergütung zu sichern.

Insgesamt zeigt die Entscheidung, dass die Bestellung eines Notvorstands kein einfaches Instrument zur Überbrückung vereinsinterner Spannungen ist, sondern ein letzter Ausweg in Fällen struktureller und nachweislicher Handlungsunfähigkeit. Die Anforderungen an die Darlegungslast, die Ermittlungspflichten des Gerichts sowie an die finanzielle Absicherung der Maßnahme unterstreichen die Bedeutung des Selbstorganisationsrechts von Vereinen und die zurückhaltende Rolle staatlicher Gerichte in diesem Bereich.