28.11.2025
Notizen zur Rechtsprechung
Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:
BGH
26.03.2025
IV ZB 15/24
NJW 2025, 2151
Keine Anwendung der Regel zu wechselbezüglichen Verfügungen auf Erbvertrag [ PDF ]
Die Vorschrift des § 2270 BGB ist nur auf das gemeinschaftliche Testament und nicht (auch nicht entsprechend) auf Verfügungen in einem Erbvertrag anwendbar.
Die Beteiligten streiten um die Erbfolge nach der im Mai 2023 verstorbenen Erblasserin. Sie selbst, ihr im Jahr 2021 verstorbener Ehemann und ihr im März 2022 verstorbener gemeinsamer Sohn schlossen 1994 einen notariellen Erbvertrag, in dem sich die Erblasserin und ihr Ehemann gegenseitig zu Alleinerben und ihren Sohn „erbvertraglich“ zum Erben des Längerlebenden einsetzten. Für den Fall, dass in der Urkunde näher bezeichnete Leistungen zugunsten der Schwestern des Sohnes nicht mehr zu Lebzeiten der Eltern erbracht würden, erklärte dieser außerdem, die entsprechende Verpflichtung zu übernehmen. In der gleichen Urkunde vereinbarten die Erblasserin und ihr Ehemann mit den Töchtern Erb- und Pflichtteilsverzichte. Die Töchter erklärten, dass sie unter Berücksichtigung der noch zu erwartenden Leistungen und in Hinblick darauf, dass sie weitere Leistungen der Eheleute als Ausstattung und Aussteuer erhalten haben, sich an deren Nachlass als voll und ganz abgefunden ansehen. Nach dem Tod der Erblasserin wurde an das Nachlassgericht ein Notizzettel übermittelt, auf dem die Erblasserin handschriftlich festgehalten hatte: „Ich gebe alles was in meinem Besitz ist, meiner Älsten Tochter Elke. R Anni 01.09.22“. Die Kinder des verstorbenen Sohnes haben beim Nachlassgericht die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der sie als Erben der Erblasserin zu je 1/2 ausweist. Das AG Cloppenburg hat den Antrag und das OLG Oldenburg die gegen die Ablehnung gerichtete Beschwerde zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die vom OLG Oldenburg zugelassene Rechtsbeschwerde, mit der die Kinder des verstorbenen Sohnes ihren Antrag weiter verfolgen.
Das Rechtsmittel hat vor dem BGH Erfolg. Dies führt zur Aufhebung des Beschlusses des OLG und zur Anweisung des Nachlassgerichts, den Enkeln der Erblasserin den begehrten Erbschein zu erteilen. Der Erbvertrag aus dem Jahr 1994 enthielt eine erbvertragsmäßige bindende Ersatzerbenbestimmung. Die vertragsmäßigen Verfügungen im Erbvertrag schlossen eine davon abweichende Verfügung nach § 2289 Abs. 1 S.2 BGB aus. Aus diesem Grund ist das von der Erblasserin errichtete Testament jedenfalls nach § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam und es kann offenbleiben, ob der an das Nachlassgericht übermittelte Notizzettel eine Erbeinsetzung der Tochter enthielt.
Gemäß § 2289 Abs. 1 S. 2 i.V.m. S. 1 BGB ist eine spätere Verfügung von Todes wegen unwirksam, soweit sie das Recht des vertragsmäßig Bedachten beeinträchtigen würde. Vertragsmäßig bedacht ist der in einem Erbvertrag Begünstigte nur dann, wenn die zu seinen Gunsten in dem Vertrag getroffenen Zuwendungen nicht auf einer einseitigen Verfügung im Sinne des § 2299 BGB, sondern auf einer vertragsmäßigen im Sinne des § 2278 BGB beruhen, der Erblasser also mit Abschluss des Erbvertrags an diese erbrechtlich gebunden ist. Eine erbvertragliche Bindung hinsichtlich der Erbeinsetzung der Kinder des verstorbenen Sohnes ergibt sich nicht bereits aus der Verweisung des § 2279 Abs. 1 BGB auf § 2069 BGB, denn diese Vorschrift findet nach § 2299 Abs. 2 S. 1 BGB auch auf einseitige Verfügungen Anwendung. § 2069 BGB regelt allein, wer bei Wegfall des bedachten Abkömmlings im Zweifelsfall Erbe wird. Auch auf die Vorschrift des § 2270 BGB zu wechselbezüglichen Verfügungen von Ehegatten kann sich hier nicht gestützt werden. Der Senat stellt fest, dass die Vorschrift des § 2270 BGB nur auf das gemeinschaftliche Testament und nicht auf Verfügungen in einem Erbvertrag Anwendung findet. § 2270 BGB ist auch nicht von der Verweisungsnorm des § 2279 Abs. 1 BGB umfasst. Dies liegt darin begründet, dass die für letztwillige Zuwendungen auf Auflagen geltenden Vorschriften, die nach § 2279 Abs. 1 BGB auf vertragsmäßige Zuwendungen und Auflagen entsprechende Anwendung finden sollen, nur insoweit gelten, als sich nicht aus den §§ 2274 bis 2298 BGB oder dem Wesen des Erbvertrags etwas anderes ergibt. Letzteres ist aber hier der Fall. Wegen der anders gearteten Bindungswirkung von Erbvertrag und gemeinschaftlichem Testament kommt eine entsprechende Anwendung nicht in Betracht. Im Rahmen eines gemeinschaftlichen Testaments kann sich der Testierende jederzeit einseitig von seinen wechselbezüglichen Verfügungen lösen: zu Lebzeiten des anderen Ehegatten durch Widerruf, nach dessen Tod durch Ausschlagung des ihm Zugewendeten. Die Bindung an eine erbvertragliche Verfügung kann der Erblasser aber regelmäßig nur dann einseitig aufheben, wenn er sich den Rücktritt im Erbvertrag vorbehalten hat. Somit kann für den Umfang der Vertragsmäßigkeit einer Verfügung und der daraus folgenden Bindung keine Zweifelsregelung wie in § 2270 Abs. 2 BGB entscheidend sein. Sie richtet sich vielmehr nach dem Willen des Vertragsschließenden, der durch Auslegung des Erbvertrags zu ermitteln ist. Dabei gelten die allgemeinen Auslegungsregeln der §§ 133, 2084 BGB, wonach der wirkliche Wille des Erblassers zu erforschen ist. Daneben und modifizierend gelten die Auslegungsregeln für Verträge gemäß der §§ 133, 157 BGB. Maßgebend ist der gemeinsame Wille der Vertragsparteien zum Zeitpunkt der Errichtung des Erbvertrags.
Der BGH nimmt im Hinblick auf die Vertragsmäßigkeit der Ersatzerbeinsetzung der Kinder des verstorbenen Sohnes eine ergänzende Auslegung des Erbvertrags vor. Voraussetzung hierfür ist zunächst, dass die letztwillige Verfügung eine ungewollte Regelungslücke aufweist. Diese liegt dann vor, wenn ein bestimmter, tatsächlich eingetretener Fall vom Erblasser nicht bedacht und deshalb nicht geregelt wurde, aber geregelt worden wäre, wenn er ihn bedacht hätte. Ein Ereignis, das erst nach Testamentserrichtung eintritt, kommt hierfür in Betracht, wenn dessen Kenntnis für die Entschließung des Erblassers bedeutsam gewesen wäre. Es ist eine wertende Gesamtbetrachtung aller Umstände zum Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung vorzunehmen. Eine solche ungewollte Regelungslücke ist hier gegeben, denn wer Erbe des längerlebenden Ehegatten wird, wenn der Schlusserbe vorverstirbt, wurde in dem Erbvertrag nicht geregelt. Die Eheleute haben bei Errichtung des Erbvertrags nicht in Erwägung gezogen, dass der als Schlusserbe eingesetzte Sohn vor seinen Eltern versterben würde. Allein aus diesem Grund ist eine diesbezügliche Regelung unterblieben. Anhaltspunkt für die Planwidrigkeit der Regelungslücke ist insbesondere das Alter des Sohnes von 27 Jahren, bei dem gemeinhin nicht von einem zeitnahen Ableben gerechnet werden musste. Auch ein unbewusstes Unterlassen einer Ersatzerbeneinsetzung ist fernliegend, insbesondere da die mit den Töchtern geschlossenen Erb- und Pflichtteilsverzichtsverträge zeigen, dass die Eheleute eine umfassende Regelung des Nachlasses angestrebt hatten. Weitere Voraussetzung der ergänzenden Auslegung des Erbvertrags ist, dass ein hypothetischer Wille der Erblasserin ermittelt werden kann, anhand dessen die vorhandene Lücke geschlossen werden könnte. Es handelt sich hierbei um den Willen, den die Erblasserin vermutlich gehabt hätte, wenn sie die planwidrige Unvollkommenheit der letztwilligen Verfügung zum Zeitpunkt der Errichtung erkannt hätte. Für einen solchen hypothetischen Willen spricht die allgemeine Lebenserfahrung, wonach der Sohn als Ältester seines Stammes bedacht werden sollte. Für die vertragliche Bindung sprechen das Näheverhältnis des Sohnes als Schlusserbe zu seinen Kindern und sein hypothetisches Interesse, dass seine Kinder an seiner Stelle erben würden. Der so ermittelte Wille der Eheleute war im Erbvertrag formgerecht niedergelegt, da er sich zumindest andeutungsweise aus der Gesamtheit der vertraglichen Regelungen ergibt. Eine dem überlebenden Ehegatten zustehende eingeschränkte Abänderungsbefugnis liegt nicht vor.
Die Einsetzung der Tochter als Erbin durch ein nach Abschluss des Erbvertrags errichtetes Testament der Erblasserin würde also das Recht der vertragsmäßig bedachten Enkel der Erblasserin beeinträchtigen, weil es ihnen die Erbenstellung entzöge. Folglich ist eine solche Verfügung nach § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam und damit auch das Testament aus dem Jahr 2022, sollte es tatsächlich von der Erblasserin unter Beachtung der Formvorschriften des § 2247 Abs. 1 BGB errichtet worden sein.
Der BGH hat in diesem Fall zu Recht eine bindende Ersatzschlusserbeneinsetzung der Enkel der Erblasserin bejaht, da der Sohn der Erblasserin selbst am Erbvertrag beteiligt war und seine Geschwister bereits zu Lebzeiten Zuwendungen erhalten haben, sodass der Wille der Eheleute zur Gleichbehandlung der Stämme naheliegt. Fraglich ist aber, was gelten soll, wenn bei fehlender ausdrücklicher Regelung zur erbvertraglichen Bindung die ergänzende Vertragsauslegung zu keinem eindeutigen Ergebnis gelangt. In einer solchen Situation würde sich ohne Rückgriff auf die Regelungen des § 2270 Abs. 2 BGB bei Erbverträgen im Gegensatz zu inhaltlich gleich gestalteten gemeinschaftlichen Testamenten selbst eine Bindung für eingesetzte direkte Abkömmlinge schwer begründen lassen, was inkonsequent ist und die Rechtssicherheit mindert. Ein Rückgriff auf die Grundgedanken der Vorschrift sollte daher entgegen der Auffassung des BGH möglich sein, insbesondere da nach dem Tod des zuerst verstorbenen Ehegatten beim gemeinschaftlichen Testament gemäß § 2271 Abs. 2 BGB die gleiche Bindung wie beim Erbvertrag eintritt (Anm. Prof. Dr. Keim, NJW 2025, 2156).