BayObLG 101 W 169/23
Keine Beteiligung der Mitglieder am Genossenschaftsvermögen bei Verschmelzung

24.01.2025

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BayObLG
19.02.2024
101 W 169/23
NZG 2024, 733

Leitsatz | BayObLG 101 W 169/23

1. Gemäß § 14 Abs. 2 UmwG kann ein in Bezug auf den Wert seines Anteils benachteiligter Anteilsinhaber einen Verschmelzungsbeschluss nicht mit der Begründung anfechten, „dass das Umtauschverhältnis der Anteile zu niedrig bemessen ist oder dass die Mitgliedschaft bei dem übernehmenden Rechtsträger kein ausreichender Gegenwert für die Anteile oder die Mitgliedschaft bei dem übertragenden Rechtsträger ist.“

2. Das „Geschäftsguthaben“ gibt – auch und gerade in der Verwendung des Begriffs in § 85 UmwG – nicht den vollen Vermögenswert der Mitgliedschaft wieder; vielmehr spiegelt es den Wertanteil am Genossenschaftsvermögen nur sehr begrenzt wider.

3. Die eingetragene Genossenschaft ist, im Gegensatz zu den Kapitalgesellschaften, personalistisch ausgerichtet und hat ihre Grundlage in der persönlichen Mitgliedschaft und nicht in der Kapitalbeteiligung. Der finanzielle Aufbau der Genossenschaft ist rechtlich wesentlich anders gestaltet als derjenige einer Aktiengesellschaft oder einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Die Beteiligung des einzelnen Genossen am Vermögen der Gesellschaft ist nicht, wie in der Aktiengesellschaft, Voraussetzung, sondern Folge der Mitgliedschaft in der Gesellschaft. Während die Aktionäre Eigentümer der Aktiengesellschaft sind, lässt sich von den Mitgliedern einer eingetragenen Genossenschaft nicht in gleicher Weise davon sprechen, dass sie „Eigentümer ihrer Genossenschaft“ sind. 

Sachverhalt | BayObLG 101 W 169/23

2021 verschmolzen die A. eG und die N. eG als übertragende Rechtsträger auf die VR-Bank E-H-H eG. Diese firmiert seitdem als M. eG. Der Antragsteller war Mitglied der A. eG mit zwei voll eingezahlten Geschäftsanteilen von je 125 € somit mit einem Geschäftsguthaben von 250 € an der Genossenschaft beteiligt. Im Zuge der Verschmelzung wurden die beiden vom Antragsteller voll einbezahlten Geschäftsguthaben von insgesamt 250 EUR umgetauscht in je zehn Geschäftsanteile der M eG bzw. der Antragsgegnerin zu je 25 EUR (insgesamt wieder 250 EUR). 

Im Dezember 2022 stellte der Antragsteller beim LG Nürnberg-Fürth „Antrag auf gerichtliche Entscheidung im Spruchgesetzverfahren“ und beantragte, „dass der Antragsgegner an den Antragsteller zur Kompensation des durch die Fusion entstandenen Wertverlustes seiner beiden Genossenschaftsanteile einen Betrag i.H.v. 1.063 EUR zahlt“. Das LG Nürnberg-Fürth verwarf den Antrag als unzulässig. Worauf der Antragsteller Beschwerde einlegte, der das LG nicht abhalf.

Entscheidung | BayObLG 101 W 169/23

Das BayObLG wies die Beschwerde als nicht begründet zurück. Das LG habe zutreffend erkannt, dass ein Spruchverfahren nicht zulässig und das SpruchG nicht anwendbar gewesen sei.

Das LG habe das Spruchverfahren zwar nicht ausdrücklich als unstatthaft bezeichnet. Es habe jedoch ausgeführt, die Unzulässigkeit des Antrags ergebe sich daraus, dass nach dem geltenden Recht für die vorliegende Verschmelzung der Genossenschaften auf die Antragsgegnerin eine Zuzahlung bis zum Erreichen des wirtschaftlichen Werts der Beteiligung gerade nicht vorgesehen sei. Die Frage, ob § 1 SpruchG – unmittelbar oder analog – anwendbar und im Grundsatz ein Spruchverfahren durchzuführen sei, sei eine Frage der Statthaftigkeit. Das SpruchG sei nicht anwendbar für eine Kompensation eines etwaigen Wertverlusts von Genossenschaftsanteilen infolge einer Verschmelzung von Genossenschaften. Wo weder eine spezialgesetzliche Verweisung noch eine tragfähige Analogiegrundlage existiere, sei der Antrag auf Einleitung eines Spruchverfahrens als unzulässig zurückzuweisen. Dieses diene der Bestimmung angemessener Ausgleichszahlungen bzw. Abfindungen bei Strukturmaßnahmen von Unternehmen. Es müsse daher dann nicht durchgeführt werden, wenn solche Ausgleichszahlungen bzw. Abfindungen von vornherein nicht in Betracht kämen. Der BGH gehe ebenfalls von der Unzulässigkeit eines Spruchverfahrens aus, wenn kein Anspruch auf eine Abfindung bestehen könne. Dass dies auch dem Willen des Gesetzgebers entspreche, ergebe sich aus dem Entwurf des UmRUG (BT-Drucks. 20/3822, S. 81), der zur Änderung des § 85 UmwG folgendes anführe: „§ 85 I UmwG-E schließt die Durchsetzung des Anspruchs auf bare Zuzahlung im Spruchverfahren gem. § 15 UmwG-E für die Mitglieder der übernehmenden Genossenschaft aus.“

Bei dem hier zu entscheidenden Fall der Verschmelzung von Genossenschaften lasse der eindeutige Wortlaut der Sonderregelung des § 85 Abs. 1 UmwG a.F. (§ 85 Abs. 2 UmwG n.F.) die Anordnung der Nichtanwendbarkeit des § 15 UmwG (Verbesserung des Umtauschverhältnisses) und damit gerade keiner gerichtlichen Bestimmung der Zuzahlung gemäß dem SpruchG klar erkennen, wenn das Geschäftsguthaben eines Mitglieds in der übernehmenden Genossenschaft nicht niedriger als zuvor in der übertragenden Genossenschaft sei. Mit „Geschäftsguthaben“ sei bei § 85 UmwG der Nominalwert des Geschäftsguthabens gemeint. Eine Bewertung der Geschäftsguthaben erfolge nicht. Der innere Wert werde nicht berücksichtigt (Widmann/Mayer/Heckschen Umwandlungsrecht, 207. EL Stand: Aug. 2023, § 15 UmwG 1995 Rn. 4). Eine dem entgegenstehende Auslegung von § 85 UmwG sei nicht veranlasst. Sie ergebe sich auch weder aus dem systematischen Zusammenhang, aus der Historie noch dem Sinn und Zweck der Vorschrift.

Die jüngere Gesetzesgeschichte gebiete ebenfalls keine andere Auslegung. Der Gesetzgeber habe mehrfach den „genossenschaftlichen Grundsatz“ betont, wonach einem Mitglied kein Anspruch auf Beteiligung am inneren Wert der Genossenschaft unter Einbeziehung stiller Reserven zustehe und in § 85 Abs. 1 UmwG die Durchsetzung des Anspruchs auf bare Zuzahlung im Spruchverfahren ausgeschlossen.

Praxishinweis | BayObLG 101 W 169/23

Hervorzuheben ist, dass der Gesetzgeber in Ansehung dieses Verfahrens am 28.07.2023 „Eckpunkte eines Referentenentwurfs für ein Gesetz zur Stärkung der genossenschaftlichen Rechtsform“ (https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Gesetzgebung/Eckpunkte/Eckpunkte_Genossenschaftsrecht.html [zuletzt abgerufen am 11.06.2024]) veröffentlicht hat. Dieser sieht Klarstellungen im UmwG vor, lässt aber gerade § 85 UmwG unangetastet.