OLG Koblenz 6 U 1994/21
Missbräuchliche Anfechtungsklage

03.01.2025

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Koblenz
12.10.2023
6 U 1994/21
NZG 2024, 639

Leitsatz | OLG Koblenz 6 U 1994/21

  1. Nur in Ausnahmefällen kann von Missbräuchlichkeit bzw. Sittenwidrigkeit von Anfechtungsklagen oder Nichtigkeitsklagen ausgegangen werden. Das ist der Fall, wenn der Aktionär mit seiner Klage eigensüchtige Interessen verfolgt, insbesondere wenn er die Klage mit dem Ziel erhebt, die verklagte Gesellschaft in grob eigennütziger Weise zu einer Leistung zu veranlassen, auf die er keinen Anspruch hat und billigerweise auch nicht erheben kann.
  2. Indizien für die subjektive Motivation des räuberischen Aktionärs im Rahmen von sog. Abkauffällen können insbesondere sein: Die Bereitwilligkeit zu einem Vergleich, die geltend gemachten Klagegründe, insbesondere wenn vor allem formale Anfechtungsgründe eingewendet werden, ein (nur) geringer Aktienbesitz und eine Vielzahl schon früher geführter, durch Vergleich beendeter Anfechtungsverfahren (vgl. OLG Frankfurt a.M., NZG 2009, 222).
  3. Ein Missbrauch der Anfechtungsbefugnis ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn die Klageerhebung gegenüber der Gesellschaft und ihren Mitaktionären illoyal und von grobem Eigennutz getragen ist, wenn der Aktionär das Recht zur Anfechtung instrumentalisiert, um andere funktionsfremde Ziele als die Nichtigerklärung zu erreichen und diese Ziele ihrerseits zu missbilligen sind, insbesondere wenn es sich um ein treuwidriges Verhalten des Aktionärs (§ 242 BGB) oder um Schikane (§ 226 BGB) handelt.

 

Sachverhalt | OLG Koblenz 6 U 1994/21

Die Klägerin ist Aktionärin der beklagten AG, die sich in Abwicklung befindet und deren Stilllegung faktisch bereits vollzogen ist. Die Klägerin hat unter mehrfacher Erweiterung Anfechtungs- bzw. hilfsweise Nichtigkeitsfeststellungsklage gegen eine Vielzahl von in den Hauptversammlungen der Beklagten geschlossenen Beschlüssen erhoben. Vor dem Verfahren vor dem Landgericht war es zwischen dem Geschäftsführer der Klägerin und dem Mehrheitsgesellschafter der Beklagten zu einem persönlichen Zerwürfnis gekommen. Das Landgericht hat die Klage mangels Klagebefugnis abgewiesen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung.

Entscheidung | OLG Koblenz 6 U 1994/21

Die Berufung hat keinen Erfolg. Die Klägerin ist nicht klagebefugt. Grundsätzlich wird dem Aktionär das Recht eingeräumt, mittels Anfechtungsklage gem. §§ 243 I, 246 I AktG gegen gesetzes- und satzungswidrige Beschlüsse der Hauptversammlung vorzugehen, auch wenn dadurch Nachteile für die betroffene Gesellschaft entstehen können. Diese Nachteile liegen insbesondere darin, dass sich die angegriffenen Maßnahmen verzögern, da die zugrundeliegenden Beschlüsse zunächst nicht in das Handelsregister eingetragen werden dürfen. Demnach ist die Missbräuchlichkeit bzw. Sittenwidrigkeit von Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen nur ausnahmsweise anzunehmen. Ein solcher Ausnahmefall liegt bei einer eigennützigen Interessenverfolgung des Aktionärs vor, insbesondere wenn er die Klage mit dem Ziel erhebt, die verklagte Gesellschaft in grob eigennütziger Weise zu einer Leistung zu veranlassen, auf die der Aktionär keinen Anspruch hat und billigerweise auch nicht erheben kann. Dabei ist unerheblich, ob der klagende Aktionär den legitimen Zweck der Rechtmäßigkeitskontrolle vorn vornherein nicht ins Auge gefasst hat oder ihn erst nach Klageerhebung aufgegeben und stattdessen einen zu missbilligenden Zweck verfolgt hat. Anerkannt wird ein solcher Missbrauchsfall insbesondere für den sog. räuberischen Aktionär, der das Erpressungspotenzial ausnutzt, das ihm die Anfechtungsklage bietet. Ein angefochtener Beschluss darf vor rechtskräftiger Erledigung der Anfechtungsklage nicht in das Handelsregister eingetragen werden. Somit kommt der Beschlussmängelklage eine Suspensivwirkung zu und die Gesellschaft verliert allein durch die Anbringung der Klage einen oft nicht unerheblichen Geldbetrag, der bis zur Umsetzung des Beschlusses weiter anwächst. Dies zwingt die Gesellschaft, den klagenden Aktionär durch die Zahlung eines (hohen) Geldbetrages zur Rücknahme der Klage und zum Verzicht auf das Anfechtungsrecht zu bewegen. Indizien für eine entsprechende subjektive Motivation des klagenden Aktionärs können insbesondere die Bereitwilligkeit zu einem Vergleich, die geltend gemachten Klagegründe, ein nur geringer Aktienbesitz und eine Vielzahl schon früher geführter, durch Vergleich beendeter Anfechtungsverfahren sein.

Auch missbräuchlich handelt, wer anficht, um die Gesellschaft unter seinen Einfluss zu bringen und zu vernichten oder wer die Klage erhebt, um dadurch der Gesellschaft seinen Willen erpresserisch aufzuzwingen. Wird die Anfechtungsklage als Druckmittel in einem Schadensersatzprozess eingesetzt, kann dies ebenfalls missbräuchlich sein. Jedenfalls ist ein Missbrauch der Anfechtungsbefugnis dann anzunehmen, wenn die Klageerhebung gegenüber der Gesellschaft und den Mitaktionären illoyal und von grobem Eigennutz getragen ist, wenn der Aktionär das Recht zur Anfechtung instrumentalisiert, um andere Ziele als die Nichtigerklärung zu erreichen und diese Ziele ihrerseits zu missbilligen sind, insbesondere wenn es sich um ein treuwidriges Verhalten des Aktionärs (§ 242 BGB) oder um Schikane (§ 226 BGB) handelt.

Vorliegend hat die klagende Aktionärin missbräuchlich gehandelt. Dem von der Klägerin behaupteten Zweck der Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Führung der Gesellschaft, wird durch den Umstand, dass sich die Gesellschaft in Abwicklung befindet und ihre Stilllegung faktisch bereits vollzogen ist, im Wesentlichen die Grundlage entzogen. Außerdem wird durch die Prozesskosten das noch verbliebene Eigenkapital der beklagten Gesellschaft gemindert und kann nicht mehr an die Gesellschafter verteilt werden. Diese durch den Prozess verursachte Schädigung der Gesellschaft ohne Rücksicht auf die Interessen der Mitaktionäre stellt sich als unverhältnismäßig heraus und ist ein Verstoß gegen die Treuepflichten des Gesellschafters. Auch in subjektiver Hinsicht ist die Klage ersichtlich von sachfremden Motiven geprägt. Diese liegen in dem Zerwürfnis des Geschäftsführers der Klägerin und dem Mehrheitsgesellschafter der Beklagten. Sie stehen einer sachlichen Rechtsverfolgung erkennbar im Wege. Von Klägerseite wurden teils diffamierende und klagefremde Sachverhalte mitgeteilt, wie beispielsweise der Vorwurf eines Medikamentenmissbrauchs und die Einleitung eines Dopingverfahrens gegen einen der Beteiligten der Beklagten.

Praxishinweis | OLG Koblenz 6 U 1994/21

Wird die aktienrechtliche Anfechtungsklage zur Erreichung sachfremder Ziele genutzt, hat dies nicht nur den Wegfall der Klagebefugnis nach § 242 BGB zur Folge, sondern kann auch eine Schadensersatzpflicht des Klägers gem. § 826 BGB auslösen. Ein Missbrauch der Anfechtungsklage liegt insbesondere in sog. „Abkauffällen“ vor, bei denen der Aktionär in räuberischer Weise das Erpressungspotenzial ausnutzt, das ihm die Anfechtungsklage bietet. Der hier entschiedene Fall weicht von typischen Abkauffällen ab, da weniger die monetären Ziele im Vordergrund stehen, sondern vielmehr die persönlichen Differenzen zwischen dem Geschäftsführer der Klägerin und dem Mehrheitsgesellschafter der Beklagten. Die Entscheidung zeigt damit, dass es nicht zwingend einer angestrebten Geldleistung bedarf, um von einer missbräuchlichen Klageerhebung auszugehen (Leuering/Rubner, NJW-Spezial 2024, 337).