OLG Zweibrücken 2 UF 166/23
Sittenwidrigkeit von Eheverträgen – Sonstiges Bürgerliches Recht, Familienrecht

03.09.2025

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Zweibrücken
18.06.2024
2 UF 166/23
DNotZ 2025, 110 (m. Anm. Bühler)

Leitsatz | OLG Zweibrücken 2 UF 166/23

  1. Soweit der Abschluss eines Ehevertrages (mit „Globalverzicht“) von der im Zuge der notariellen Beratung angestellten Erwägung getragen ist, die Ehefrau könne und wolle die finanziellen Risiken eines Familienunternehmens nicht tragen, so spricht dies für eine unterlegene Verhandlungsposition der Ehefrau. Dies gilt vor allem dann, wenn die Ehefrau in der irrigen Annahme bestärkt wurde, sie mindere durch Abschluss des Ehevertrages ein Haftungsrisiko, das in Wirklichkeit überhaupt nicht bestanden hat.
  2. Zur Inhaltskontrolle eines Ehevertrages mit einer Schwangeren.
     

Sachverhalt | OLG Zweibrücken 2 UF 166/23

Am 28. April 1995 schlossen ein Unternehmersohn, der später die Familien-GmbH seiner Mutter übernahm, und seine Lebensgefährtin, die zu diesem Zeitpunkt im dritten Monat schwanger war, einen Ehevertrag. Darin verzichteten sie auf den Zugewinn- und Versorgungsausgleich sowie auf nachehelichen Unterhalt. Ein möglicher Unterhaltsanspruch nach der Scheidung wurde vorsorglich auf 36 Monate nach Rechtskraft der Scheidung und auf ein tarifvertragliches Gehalt im Einzelhandel für Rheinland-Pfalz begrenzt. Kurz darauf heirateten sie, und aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor. Während der Ehe erwarb der Ehemann allein ein Haus und besitzt außerdem ein Mehrfamilienhaus. Die Ehefrau absolvierte nach dem Realschulabschluss zunächst eine Berufsausbildung, begann anschließend ein Lehramtsstudium, das sie mit Schulden von etwa 30.000 DM beendete. Nach dem Abbruch arbeitete sie in verschiedenen Jobs, zog schließlich zum späteren Ehemann und verzichtete auf einen Studienplatz. Stattdessen half sie im Familienbetrieb, kümmerte sich um Haushalt und Kinder. Aufgrund verschiedener psychischer Erkrankungen, einschließlich Depressionen und Alkoholabhängigkeit, war sie mehrfach stationär in Behandlung und bezieht seit August 2020 eine volle Erwerbsminderungsrente von aktuell etwa 885 Euro netto. Die Ehefrau hält den Ehevertrag für unwirksam, weil sie sich zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses in einer wirtschaftlichen, emotionalen und sozialen Abhängigkeit von ihrem Partner befand und nur die Wahl hatte, entweder den Vertrag mit dem umfassenden Verzicht zu unterschreiben und zu heiraten oder als nichteheliche Mutter ohne Absicherung zu bleiben. Das Familiengericht bewertete den Vertrag als inhaltlich und ausübungsrechtlich zulässig. Dagegen legte die Ehefrau Beschwerde ein.

Entscheidung | OLG Zweibrücken 2 UF 166/23

Die Beschwerde hat Erfolg. Der Ehevertrag ist wegen Sittenwidrigkeit gemäß § 138 I BGB unwirksam; die Nichtigkeit des Ehevertrages hat zur Folge, dass über sämtliche anhängigen Folgesachen nach den gesetzlichen Vorschriften zu entscheiden ist.

Zwar gibt es keine festen Mindestanforderungen für Scheidungsfolgen, aber es darf keine offensichtlich einseitige Belastung entstehen, die durch die Lebensumstände nicht gerechtfertigt ist. Bei der Prüfung der Wirksamkeit muss besonders darauf geachtet werden, wie stark der Vertrag in die wesentlichen Rechte im Scheidungsfall eingreift. Während die güterrechtlichen Regelungen unproblematisch sind, sind der Ausschluss des Betreuungsunterhalts – obwohl die Ehefrau die Kinder betreuen sollte – und der Verzicht auf den Versorgungsausgleich wegen fehlender Altersvorsorge der Ehefrau mit dem Grundsatz der ehelichen Solidarität nicht vereinbar. Hinzu kommt, dass die Ehefrau in einer schwächeren Verhandlungsposition war. Eine Schwangerschaft allein reicht zwar nicht aus, um dies anzunehmen, sie führt aber zu einer intensiveren Prüfung durch das Gericht. Trotz eines wenig klaren beruflichen Werdegangs hat sich die Frau auf den Lebensweg des Mannes eingestellt. Beide wollten, dass ihr Kind während der Ehe geboren wird. Auch mehrere notarielle Beratungstermine vor Vertragsabschluss schließen eine schwächere Verhandlungsposition nicht aus. Im Gegenteil, die Frau war durch die notarielle Beratung fälschlicherweise überzeugt, sie würde mit dem Vertrag ein nicht wirklich bestehendes Haftungsrisiko im Familienunternehmen reduzieren. Denn obwohl der Antragsgegner argumentiert, dass die Antragstellerin wegen der hohen finanziellen Risiken des Familienbetriebs keine Verantwortung dafür übernehmen konnte oder wollte, wurde übersehen, dass mit dem gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft keine automatische Mitbeteiligung oder Haftung der Antragstellerin für das Unternehmen verbunden ist. Nach § 1363 Abs. 2 Satz 1 BGB bleibt das Vermögen der Ehepartner getrennt, und weder vorhandenes Vermögen noch Verbindlichkeiten werden allein durch die Ehe gemeinschaftlich. Wenn die Antragstellerin den Vertrag unter der falschen Annahme abgeschlossen hat, dadurch ein Haftungsrisiko zu verringern, das tatsächlich nie bestand, spricht dies für eine benachteiligte Verhandlungsposition.

Praxishinweis | OLG Zweibrücken 2 UF 166/23

Notare müssen in der Praxis häufig vorhandene Fehlvorstellungen der Parteien, insbesondere bezüglich der angeblichen Mithaftung für Verbindlichkeiten des Ehepartners, eindeutig aufklären (Grziwotz, in NZFam 2024, 1094). Maßgeblich für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit eines Ehevertrages ist der Zeitpunkt des Vertragsabschlusses; ein damals gültiges Rechtsgeschäft wird durch nachträgliche Änderungen sittlicher Wertmaßstäbe nicht nichtig (vgl. Grüneberg/Ellenberger BGB § 138 Rn. 9 f.; Grziwotz, in NZFam 2024, 1094). Entsprechend durfte ein Notar die Beurkundung eines zum Zeitpunkt seiner Vornahme rechtlich zulässigen Vertrages nicht ablehnen, auch wenn dieser später als sittenwidrig bewertet wird (BGH, NJW 2024, 2759; Grziwotz, in NZFam 2024, 1094). Lediglich bei damals bereits sittenwidrigen Verträgen besteht eine Amtspflicht des Notars, die Beurkundung abzulehnen (§ 4 BeurkG) (Grziwotz, in NZFam 2024, 1094).

Die Wirksamkeitskontrolle von Eheverträgen erfolgt zweistufig: Zum einen erfolgt eine Einzelklauselprüfung, bei der jede Klausel isoliert betrachtet wird und unwirksam ist, wenn sie einseitig und nicht gerechtfertigt belastet, auch ohne zwingende Imparität (Bühler, in DNotZ 2025, 110). Zum anderen ist eine Gesamtwürdigung des Vertrages erforderlich, bei der eine objektive Benachteiligung und eine subjektive Unterlegenheit (Imparität) des benachteiligten Ehegatten vorliegen müssen, um Gesamtnichtigkeit anzunehmen (Bühler, in DNotZ 2025, 110).

Besondere Gestaltungshürden bestehen bei Eheverträgen mit Schwangerschaft oder Kindern: Der Ausschluss des Versorgungsausgleichs ist regelmäßig unwirksam, wenn kein voll berufstätiger Ehegatte ohne Versorgungsansprüche beteiligt ist. Ein vollständiger Verzicht auf nachehelichen Unterhalt, insbesondere Betreuungsunterhalt, ist grundsätzlich unwirksam. Eine wirksame Gestaltung ist nur durch eine angemessene Kompensation möglich (Bühler, in DNotZ 2025, 110).

Notare und Vertragsgestalter sollten daher sorgfältig und differenziert vorgehen. Dazu gehört die Durchführung von Besprechungsterminen mit beiden Parteien, die Übersendung eines Vertragsentwurfs vor der Beurkundung sowie die Einhaltung einer „Cooling-off-Periode“, um Drucksituationen zu vermeiden (Bühler, in DNotZ 2025, 110). Eine umfassende rechtliche Aufklärung ist essenziell, da fehlende oder falsche Aufklärung eine unterlegene Verhandlungsposition begründen kann (Bühler, in DNotZ 2025, 110).

Imparität ist nur bei einem besonderen Maß an Unterlegenheit anzunehmen, etwa bei erheblichem Einkommensgefälle, sozialer oder psychischer Abhängigkeit oder großer Altersdifferenz. Schwangerschaft allein begründet keine automatische Imparität, sondern stellt lediglich ein Indiz dar (Bühler, in DNotZ 2025, 110). Auch berufliche oder private Anpassungen an den Partner führen nicht zwingend zu einer Imparität. Die notarielle Beratung mit mindestens zwei Gesprächen reduziert das Risiko einer unterlegenen Verhandlungsposition deutlich (Bühler, in DNotZ 2025, 110).

Für Vertragsgestalter bedeutet dies, dass sie sich durch die aktuelle Rechtsprechung nicht verunsichern lassen dürfen. Mit sorgfältiger Vertragsgestaltung und umfassender Aufklärung lassen sich Imparitäten vermeiden. Salvatorische Klauseln können isolierte Klauseln retten, nicht jedoch den gesamten Vertrag bei Vorliegen einer Gesamtnichtigkeit. Der Fokus muss auf der Vermeidung von Drucksituationen und Fehlvorstellungen liegen (Bühler, in DNotZ 2025, 110).