FG Niedersachsen 3 K 14/23
Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG: Abgrenzung begünstigter Grundstücksflächen bei mehreren Flurstücken

13.05.2025

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

FG Niedersachsen
12.07.2023
3 K 14/23
DStRE 2024, 809

Leitsatz | FG Niedersachsen 3 K 14/23

Nur die Grundfläche des mit dem Familienheim bebauten Flurstücks oder bei größeren Flurstücken eine angemessene Zubehörfläche unterfällt dem verfassungsrechtlichen Schutz des gemeinsamen familiären Lebensraums und ist erbschaftsteuerlich begünstigt.

Sachverhalt | FG Niedersachsen 3 K 14/23

Der Kläger ist Alleinerbe seines Vaters, der im August 2020 verstorben ist. Zum Nachlass gehörten insgesamt sechs Flurstücke. Davon wurden fünf nach § 890 BGB als ein einheitliches Grundstück im Grundbuch geführt. Das zuständige Bewertungsfinanzamt nahm für drei dieser vereinigten Flurstücke eine gemeinsame Bewertung vor und erließ hierfür einen einheitlichen Feststellungsbescheid. Dabei bewertete es nur das eine Flurstück mit dem darauf befindlichen Wohnhaus als begünstigt im Sinne der Steuerbefreiung für das Familienheim gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG. Das für die Erbschaftsteuer zuständige Finanzamt folgte dieser Beurteilung und gewährte die Steuerbefreiung lediglich für das Wohnhausgrundstück. Der Kläger vertrat hingegen die Auffassung, dass sich die Steuervergünstigung auf sämtliche drei Flurstücke beziehen müsse, die zusammen als wirtschaftliche Einheit bewertet worden waren. Sein Einspruch gegen die beschränkte Steuerbefreiung blieb jedoch erfolglos.

Entscheidung | FG Niedersachsen 3 K 14/23

Die Klage des Erben vor dem FG blieb ohne Erfolg. Das Gericht entschied, dass die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG ausschließlich für das Grundstück gewährt werden kann, das tatsächlich mit dem sogenannten Familienheim bebaut ist. Der Gesetzestext selbst enthält keine genaue Regelung darüber, wie viel Grund und Boden zur begünstigten Wohnnutzung dazugehört.

Rechtlich sind dabei zwei Auslegungsansätze denkbar: Einerseits könnte man auf das Grundstück im zivilrechtlichen Sinne abstellen, also auf die im Kataster verzeichnete Parzelle. Andererseits könnte man auf die sogenannte wirtschaftliche Einheit im Sinne des Bewertungsgesetzes (§ 2 Abs. 1 BewG) abstellen, die sich aus tatsächlicher Nutzung, wirtschaftlichem Zusammenhang und Verkehrsanschauung ergibt.

Das Gericht entschied sich jedoch dafür, diesen beiden Sichtweisen nicht uneingeschränkt zu folgen. Eine rein zivilrechtliche Betrachtung berge die Gefahr, dass Erben durch formale Gestaltungen wie die katasterrechtliche Zusammenlegung von Flurstücken den Umfang der Steuerbefreiung ausweiten. Auch eine Orientierung allein an der wirtschaftlichen Einheit nach dem Bewertungsgesetz sei für den Umfang der Steuerbegünstigung nicht zielführend.

  Der Begriff des „Hausgrundstücks“ im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG sei vielmehr eigenständig auszulegen. Zwar sei das Erbschaftsteuerrecht grundsätzlich am Zivilrecht orientiert, jedoch verweise § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG ausdrücklich auf bebaute Grundstücke im Sinne des § 181 Abs. 1 Nr. 1–5 BewG – und damit auf das Bewertungsrecht und nicht auf das BGB. Nach diesen Maßstäben sei nur die Fläche steuerlich begünstigt, die funktional tatsächlich dem Familienheim dient.

Das FG bestätigte daher, dass die Steuerbefreiung nur für das konkret bebaute Flurstück mit dem Wohnhaus gewährt werden dürfe. Das angrenzende, als Garten genutzte Grundstück wurde zu Recht nicht einbezogen, da es keine unmittelbare Funktion als Bestandteil des Wohngebäudes erfüllte.

Zudem sei es sowohl aus systematischen als auch aus verfassungsrechtlichen Gründen erforderlich, die Vorschrift restriktiv auszulegen. Hintergrund ist die steuerliche Gleichbehandlung: Würden alle zusammengelegten oder wirtschaftlich verbundenen Grundstücke automatisch in die Begünstigung einbezogen, könnten erhebliche steuerliche Vorteile entstehen, die der gesetzgeberischen Intention – dem Schutz des Familienheims – nicht entsprechen. Eine solche Ausweitung widerspräche auch dem Prinzip der Belastungsgleichheit. Deshalb müssen sowohl Finanzamt als auch Gericht die Möglichkeit haben, die begünstigte Fläche auf das funktional tatsächlich genutzte Familienheim zu beschränken – unabhängig von kataster- oder bewertungsrechtlichen Gestaltungen.

Praxishinweis | FG Niedersachsen 3 K 14/23

Die Entscheidung des FG Niedersachsen (Az. 1 K 104/22) zur Steuerbegünstigung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG bestätigt, dass die Steuerbefreiung grundsätzlich nur für das tatsächlich mit dem Familienheim bebaute Grundstück oder eine konkret bebaute Teilfläche gewährt wird. Angrenzende, eigenständig nutzbare und unbebaute Grundstücke, wie beispielsweise separat parzellierte Gartengrundstücke, fallen nicht unter die Steuerbegünstigung (DStRK 2023, 293). Dabei ist es unerheblich, ob der Eigentümer zuvor durch zivilrechtliche Erklärungen wie die Zusammenlegung von Flurstücken im Grundbuch mehrere Flächen zu einem einzigen Grundstück verbunden hat. Für die Steuerbegünstigung kommt es ausschließlich auf die tatsächliche Nutzung des Grundstücks an, wobei der Gesetzeszweck – der Schutz des gemeinsamen familiären Wohnraums – maßgeblich ist (DStRK 2023, 293).

Das Gericht stellte klar, dass weder der zivilrechtliche Grundstücksbegriff nach dem BGB noch die wirtschaftliche Einheit nach dem BewG allein als Grundlage für die Steuerbegünstigung dienen können. Eine rein zivilrechtliche Betrachtung birgt das Risiko, dass Erben durch Gestaltungen wie Flurstücksvereinigungen den Umfang der Steuerbefreiung künstlich erweitern könnten, was dem Zweck der Vorschrift widerspricht (DStRK 2023, 293).

Der Begriff des „Hausgrundstücks“ im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG ist eigenständig auszulegen. Nur das Grundstück, das tatsächlich mit dem Familienheim bebaut ist, kommt für die Steuerbegünstigung in Betracht. Eine weitergehende Auslegung, wie sie durch das Bewertungsgesetz nahegelegt wird, widerspricht dem Gesetzeszweck und ist daher abzulehnen (DStRK 2023, 293).

Das FG betonte, dass die Steuerbegünstigung aus verfassungsrechtlichen und systematischen Gründen restriktiv auszulegen ist. Würden weitere Flächen, etwa durch Flurstückszusammenlegungen, automatisch in die Steuerbefreiung einbezogen, könnte es zu einer Doppelbegünstigung kommen, was dem Prinzip der Belastungsgleichheit widerspricht. Eine solche Ausweitung würde zu erheblichen steuerlichen Vorteilen führen, die der Gesetzgeber nicht beabsichtigt hat (DStRK 2023, 293).

Ein Problem bleibt, dass weder die zivilrechtliche Definition des Grundstücks nach dem BGB noch die bewertungsrechtliche Sichtweise nach dem Bewertungsgesetz eine verlässliche Grundlage für die Anwendung der Begünstigungsvorschrift bieten (DStRK 2023, 293, beck-online). Aktuell ist beim Bundesfinanzhof (BFH) unter dem Aktenzeichen II R 27/23 ein Revisionsverfahren anhängig, das möglicherweise Klarheit darüber bringen wird, wie der Begriff „Grundstück“ im Kontext von § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG auszulegen ist (NJW-Spezial 2023, 648; DStRK 2023, 293). Das Urteil des BFH könnte weitreichende Auswirkungen auf die zukünftige Anwendung der Steuerbegünstigung haben. Die weitere Klärung dieser Frage durch den BFH wird folglich für die Praxis von großer Bedeutung sein (DStRK 2023, 293).