11.09.2025
Notizen zur Rechtsprechung
Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:
LG Nürnberg-Fürth
02.10.2024
6 O 4728/21
NJW-Spezial 2025, 455
Stundung des Pflichtteilsanspruchs wegen unbilliger Härte [ PDF ]
Die Erblasserin hinterließ sechs Kinder. In ihrem Testament hatte sie ihren geschäftsunfähigen Sohn, der unter rechtlicher Betreuung steht, zum alleinigen, nicht befreiten Vorerben eingesetzt, der damit über den Nachlass nur eingeschränkt verfügen durfte. Als Nacherbin wurde eine der anderen Töchter eingesetzt, die am vorliegenden Rechtsstreit unbeteiligt war. Eine weitere enterbte und verschuldete Tochter verlangte die Zahlung ihres Pflichtteils und erhob gegen ihren bedachten Bruder, welcher das geerbte Familienheim seit dem Tod der Erblasserin bewohnt, Stufenklage.
Die Verurteilung des Bruders in der Auskunftsstufe führte zu dessen Vorlage eines Nachlassverzeichnisses. Dieses bezifferte das von ihm bewohnte und geerbte Familienheim mit einem Wert von 280.000 EUR. Weitere nennenswerten Vermögenswerte waren nicht vorhanden.
In der Zahlungsstufe bestritt nun der Bruder den Immobilienwert. Er forderte, die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Stundung der sofortigen Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs, welche er sich finanziell wegen eigener Schulden und Vermögenslosigkeit nicht leisten könne, ohne in seiner Existenz bedroht zu werden.
Aufgeworfen wurde daher die Frage, ob die sofortige Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs eine unbillige Härte im Sinne des § 2331a Abs. 1 S. 1 BGB darstellen kann.
Das LG Nürnberg-Fürth entschied mit Urteil vom 2. Oktober 2024 zunächst, dass die Zuständigkeit bezüglich eines Antrags auf Stundung beim Prozessgericht liege, da ein – vorliegend der Höhe nach – strittiger Pflichtteilsanspruch gemäß §§ 1382 Abs. 5 i.V.m. 2331a Abs. 2 BGB in einem Prozess zu verhandeln ist.
Weiter wurde bestätigt, dass der Pflichtteilsanspruch der klagenden Tochter unbestritten gegen ihren beklagten Bruder bestehe. Der Wert der Immobilie wurde mangels begründeten Gegenbeweises vom Gericht zugunsten der Klägerin mit 280.000 EUR beziffert.
Das Gericht beantwortete die aufgeworfene Rechtsfrage zugunsten des Beklagten: Die sofortige Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs der Tochter durch den Bruder stelle eine unbillige Härte im Sinne des § 2331a Abs. 1 BGB dar. Berücksichtigung müssten die Geschäftsunfähigkeit und weitgehende Mittellosigkeit des Bruders finden, der durch die Aufgabe des bewohnten Familienheims in seiner Existenz bedroht werden würde. Zu beachten sei ebenso, dass eine wirksame Verwertung wegen der Beschränkungen des Vorerben äußerst schwierig wäre und bereits die Befriedigung des Pflichtteilsanspruchs der Tochter zweifelhaft erscheine.
Auf Grundlage seiner Argumentation gab das LG dem Stundungsersuchen des Bruders statt. Die Tochter könne ihren Pflichtteilsanspruch erst mit Eintritt des Nacherbfalls gegen die Nacherben durchsetzen, da dann die Verfügungsbeschränkungen nach § 2113 I BGB entfallen. Gleichwohl sei der verschuldeten Tochter aber auch nicht zumutbar, ohne Ausgleich auf eine Pflichtteilszahlung zu verzichten. Gemäß §§ 2331a Abs. 2 Hs. 1 i.V.m. 1382 Abs. 2, 4 BGB sei daher für die Stundung nach billigem Ermessen ein Zinssatz i.H.v. 2 % p.a. anzusetzen. Die Hälfte des gesetzlichen Zinssatzes nach § 246 BGB sei unter Berücksichtigung beiderseitiger Interessen angemessen. Dies ergebe sich insbesondere daraus, dass der Vorteil aus dem Erbe dem Bruder allein eine Wohnmöglichkeit verschafft, um diesen vor einer möglichen Obdachlosigkeit zu bewahren.
Für die Praxis folgt aus der Entscheidung des LG zunächst, dass die Gerichtszuständigkeit beachtet werden sollte. Ist der Pflichtteilsanspruch selbst oder der Höhe nach streitig, so liegt die Zuständigkeit beim Zivilgericht, vgl. §§ 1382 Abs. 5 i.V.m. 2331a Abs. 2 S. 2 Hs. 1 BGB. Hingegen ist das Nachlassgericht gemäß § 2331a Abs. 2 S. 1 BGB zuständig für unstreitige Pflichtteilsansprüche.
Die Entscheidung des LG ist ferner interessant für die Gestaltung von Bedürftigen- und Behindertentestamenten. Der Argumentation des Gerichts folgend, ist zu empfehlen, eine bedürftige Person als nicht befreiten Vorerben einzusetzen, da dies deren Versorgung, zum Beispiel wie im vorliegenden Fall mit einer Immobilie als mietfreie Wohnmöglichkeit, sicherstellt, ohne die bedachte Person der Zahlungspflicht von Pflichtteilen auszusetzen.
Schließlich sollte gegebenenfalls die ausdrückliche Antragstellung auf Stundung nach § 2331a BGB gegen Verzinsung beachtet werden.
Noch nicht abschließend geklärt, ist die Frage nach der Höhe des Zinssatzes, da deren Angemessenheit stark vom Einzelfall abhängt.