OLG München 33 U 4846/21
Verschmelzung als Eingriff in die negative Vertragsfreiheit kann Grund zur fristlosen Kündigung darstellen

05.10.2022

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG München
29.08.2022
33 U 4846/21
ZIP 2022, 1917

Leitsatz | OLG München 33 U 4846/21

  1. Zur Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses aus wichtigem Grund, wenn auf Seiten des anderen Vertragspartners eine Verschmelzung stattgefunden hat.
  2. Die Verschmelzung also solche stellt keinen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung iSv § 314 I BGB dar. Hierfür bedarf es besonderer Umstände, die die weitere Erbringung der Dienste durch den übernehmenden Rechtsträger unzumutbar machen; insoweit sind allerdings keine hohen Anforderungen zu stellen (im Anschluss an BGH, Urteil vom 21.2.2014 - V ZR 164/13, NZM 2014, 312; Urteil vom 2.7.2021 - V ZR 201/20, NZG 2021, 1370).
  3. Ob ein wichtiger Grund für die Kündigung vorliegt, ist aus der Sicht des betroffenen Unternehmers zu beurteilen. Seine unternehmerische Entscheidung ist der Überprüfung durch die Gerichte auf ihre sachliche Rechtfertigung und Zweckmäßigkeit grundsätzlich entzogen, solange sich das unternehmerische Handeln nicht als willkürlich darstellt (im Anschluss an BAG, Urteil vom 26.9.2002 - 2 AZR 636/01 NZA 2003, 549).

 

Sachverhalt | OLG München 33 U 4846/21

Die G.M.S. GmbH schloss mit der Beklagten einen Vertrag über eine „Interessenten-Analyse“ mit einer Vertragslaufzeit von 12 Monaten, die sich um weitere 12 Monate verlängert, wenn der Vertrag nicht bis mind. 3 Monate vor Vertragsende schriftlich gekündigt wird. Als Vergütung waren 299 € netto pro Jahr vereinbart. Sie schlossen einen weiteren „Beratungsvertrags – Erfolgspaket“ mit einer Laufzeit von 36 Monaten. Die Vergütung betrug 1.535,10 € brutto pro Monat. Sämtliche Honorare werden bis zum Vertragsende „automatisch“ fällig, wenn der Vertragspartner mit zwei Monatsbeiträgen schuldhaft in Verzug kommt.

Die Beklagte kündigt beide Verträge schriftlich außerordentlich, da die Grundvoraussetzungen der Vertragsunterzeichnung der Gebietsschutz vor allem hinsichtlich der konkurrierendes Studios der I-GmbH gewesen sei sowie, dass keinerlei Berührungspunkte zur I-GmbH bestehen sollte. Die Beklagte zahlte daraufhin die monatlichen Beiträge ab dem 01.05.2019 nicht mehr. Die Beklagte bestätigte den Erhalt der Kündigungsschreiben und das Vertragsende jeweils zum 30.04.2021.

Die G.M.S. GmbH wurde mit der G GROUP GmbH verschmolzen. Die Klägerin, ursprünglich M.F.D. GmbH, wurde in A.F.H. GmbH umbenannt. Auf die Klägerin wurde sodann die I-GmbH sowie die G1.G2 GmbH verschmolzen.

Die Klägerin meint, sie sei im Wege der Verschmelzung Rechtsnachfolgerin der G.M.S. GmbH geworden und habe Anspruch auf Bezahlung der gesamten bis zum Ende der regulären Vertragslaufzeit anfallenden Vergütung. Das LG hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten.

Entscheidung | OLG München 33 U 4846/21

Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg. Die Voraussetzungen einer außerordentlichen Kündigung lagen aufgrund der auf Klägerseite stattgefundenen Verschmelzungen vor. Der Vergütungsanspruch der Klägerin ist daher erloschen.

Gem. § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG findet bei der Verschmelzung eine Gesamtrechtsnachfolge statt. Zum Schutz des Rechtsverkehrs, insbesondere zum Ausgleich der Interessen der Gläubiger, enthält das Umwandlungsrecht ein eigenständiges und umfassendes Regelungskonzept; bei von der Gesamtrechtsnachfolge erfassten gegenseitigen Verträgen kann ein Anpassungsanspruch ähnlich wie bei der Störung der Geschäftsgrundlage oder ein Sonderkündigungsrecht aus einer entsprechenden Vertragsklausel entstehen.

Die Verschmelzung für sich genommen stellt keinen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung im Sinne von § 314 Abs. 1 BGB dar. Hierfür bedarf es besonderer Umstände, die die weitere Erbringung der Dienste durch den übernehmenden Rechtsträger unzumutbar machen. Es sind allerdings keine hohen Anforderungen zu stellen. Es reicht aus, wenn der Vertragspartner aufgrund der Umstrukturierung mit konkreten nachteiligen Änderungen in der Zusammenarbeit rechnen muss, die nicht ganz unerheblich sind.

Dies berücksichtigend liegen hier die Voraussetzungen einer außerordentlichen Kündigung im Sinne des § 314 BGB vor. Die Kündigungen sind der G.M.S.-GmbH und im Ergebnis damit auch der Klägerin als Rechtsnachfolgerin zugegangen.

Ein Kündigungsgrund für die außerordentliche Kündigung liegt vor. Bei der Prüfung der Frage, ob ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses im Zuge einer Umwandlung gegeben ist, zu berücksichtigen, dass durch die (zulässige) Umwandlung in die negative Vertragsfreiheit des anderen Vertragspartners eingegriffen wird, so dass an das Vorliegen entsprechender Gründe gemäß der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs keine hohen Anforderungen zu stellen sind. Anderenfalls würde das grundsätzlich bestehende Regel-Ausnahme-Verhältnis in sein Gegenteil verkehrt.

Im vorliegenden Fall ist bereits ausreichend, dass die Beklagte sich nach der Verschmelzung einem wesentlich größeren Vertragspartner gegenübersieht und der Wunsch, von einer „Boutique“ zusammenzuarbeiten, nicht mehr realisierbar ist. Die Grundlagen der Zusammenarbeit haben sich hierdurch bereits wesentlich nachteilig verändert. Unabhängig von der Frage, ob durch die Verschmelzung zukünftig in direkter Konkurrenz stehende Fitnessstudios von der Klägerin beraten werden und es dadurch zu einer Verletzung des Gebietsschutzes kommt, hat die Beklagte auch ein Interesse daran, dass außerhalb des Gebietsschutzes liegende Fitnessstudios nicht auf der Grundlage ihrer eigenen Unternehmensdaten beraten werden, so dass die Größe des Vertragspartners ein erheblicher Umstand ist, den die Beklagte aus wirtschaftlicher Sicht ihren Entscheidungen zugrunde legen konnte.

Darüber hinaus stellt der Umstand, dass im Zuge der Verschmelzung (auch) die I-GmbH auf die Klägerin verschmolzen wurde, einen eigenen, die außerordentliche Kündigung rechtfertigenden Grund dar. Zwar ist die I-GmbH mit der Verschmelzung auf die Klägerin gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 2 UmwG erloschen, so dass durch die Verschmelzung formaljuristisch keine erneuten vertraglichen Beziehungen zwischen ihr und der Beklagten entstanden sind bzw. entstehen konnten. Losgelöst von dieser formalen Betrachtung hat jedoch die I-GmbH im Zuge der Verschmelzung ihr gesamtes Unternehmen in die Klägerin eingebracht, so dass tatsächlich die Gefahr bestünde, dass sich die Beklagte erneut von Personen beraten lassen müsste, mit denen sie in der Vergangenheit bereits vertragliche Beziehungen unterhalten hatte.

Die Verschmelzung war schließlich auch kausal für die außerordentliche Kündigung der Beklagten.

Praxishinweis | OLG München 33 U 4846/21

Die Verschmelzung als solche stellt keinen wichtigen Grund im Sinne des § 314 BGB dar und berechtigt allein noch nicht zur außerordentlichen Kündigung. Es ist erforderlich, dass weitere Umstände hinzutreten, die ein Festhalten an dem Vertrag unzumutbar machen, woran jedoch keine hohen Ansprüche zu stellen sind.

Vor der Verschmelzung sollten die Beteiligten ihre jeweiligen Vertragsverhältnisse genau prüfen, um etwaige „Interessenkollisionen“ auszuschließen, die den Vertragspartner zu einer außerordentlichen Kündigung berechtigen könnten.