11.03.2022
Notizen zur Rechtsprechung
Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:
OLG München
28.07.2021
7 AktG 4/21
NZG 2021, 1594
Verschmelzungsrechtlicher Squeeze-out in Zeiten von Corona [ PDF ]
(nichtamtliche Leitsätze)
Die Antragstellerin ist eine deutsche Aktiengesellschaft, die seit dem 30.06.2017 nicht mehr börsenorientiert ist. Ihr Geschäftsgegenstand ist der Erwerb, die Entwicklung, die Verwaltung, die Verwertung, die Veräußerung und die Vermittlung von Grundstücken und anderen Immobilien. Das gesamte Grundkapital von 561.960 Euro ist in 561.960 auf den Inhaber lautende Stückaktien mit einem Anteil am Grundkapital von je 1 Euro eingeteilt. Die Hauptaktionärin (NIAG SE) der Antragstellerin, dessen Aktien in einer Globalurkunde verbrieft sind, hielt am 07.10.2020 90,03 % der Aktien (505.921 Stück). Die Hauptaktionärin der NIAG SE wiederum ist die F GmbH, mit F als alleinigem Gesellschafter. Die Satzung der Antragstellerin enthält unter anderem Bestimmungen zur Berechtigung zur Teilnahme und zur Ausübung des Stimmrechts in Hauptversammlungen. Die Aktien müssen dafür in bestimmter Weise, bspw. bei einem deutschen Notar, frühzeitig hinterlegt werden.
Am 13.12.2017 verkaufte die Antragstellerin ein Anwesen mit einer vermietbaren Fläche an die A AG, die eine Schwestergesellschaft der Antragstellerin ist und die bereits seit 2013 Eigentümerin der Nachbarimmobilie ist. Die Nachbarimmobilie ist teils an die S-L GmbH verpachtet und wiederum mit Pachtvertrag bis zum 31.12.2022 an die R GmbH & Co KG unterverpachtet. Ein vom Antragsgegner gestellter Sonderprüfungsantrag wurde vom OLG München als rechtsmissbräuchlich bewertet und der diesbezügliche vorherige Beschluss des LG München daher aufgehoben.
Die F GmbH machte der Antragstellerin im Jahr 2020 mehrere öffentliche Kaufangebote. Am 25.08.2020 forderte sie die Aktionäre der Antragstellerin schließlich zur Abgabe von Angeboten auf und gab bekannt, dass sie zum Kauf von Stückaktien zum Preis von je 1.150 Euro bereit sei. Die Antragstellerin und die NIAG SE schlossen am 27.11.2020 einen Verschmelzungsvertrag unter der Bedingung eines Beschlusses der Hauptversammlung der Antragstellerin. Die NIAG SE legte die angemessene Barabfindung pro Aktie auf 813 Euro fest. Der Preis wurde von der zur Prüfung beauftragten K V GmbH als angemessen beurteilt.
Es wurde am 19.02.2021 eine außerordentliche Hauptversammlung einberufen, welche als einzigen Tagesordnungspunkt den verschmelzungsrechtlichen Squeeze-out behandelte. In der Folgezeit kam es in einem erneuten Prüfbericht zu dem Ergebnis, dass aufgrund der positiven Kapitalmarktentwicklung nun eine Barabfindung von 820,83 Euro pro Stückaktie angemessen sei, weshalb der Betrag schließlich auf 822 Euro angehoben wurde. Der Beschlussvorschlag regelt die Übertragung der Stückaktien der Minderheitsaktionäre auf die NIAG SE gegen Gewährung der Barabfindung. Die Antragsgegner stimmten in der Hauptversammlung gegen den Beschlussvorschlag des Vorstands und des Aufsichtsrates und erklärten Widerspruch zur Niederschrift gegen den einzigen Tagesordnungspunkt. Der Beschlussvorschlag wurde mit 96,46 % Ja-Stimmen angenommen. Hiergegen erhoben die Antragsgegner zu 1 bis 4 Anfechtungsklage.
Die Antragstellerin begehrt die Feststellung nach §§ 327 e Abs. 2, 319 Abs. 6 AktG, dass die Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre vom 19.02.2021 in das Handelsregister eingetragen werden kann, da die die Erhebung der Klagen der Antragsgegner gegen die Wirksamkeit des Hauptversammlungsbeschlusses dem nicht entgegenstehe.
Der Freigabeantrag der Antragstellerin sei zulässig und gegenüber allen Antragsgegnern begründet.
Die Antragsgegner zu 2 und 4 haben schon das in § 319 Abs. 6 S. 3 Nr. 2 AktG genannte Quorum nicht erbracht, weshalb dem Freigabeantrag bereits nach §§ 319 Abs. 6 S. 3 Nr. 2, 327 e Abs. 2 AktG zu entsprechen sei.
Die Antragsgegner zu 1 und 3 hingegen haben den urkundlichen Nachweis eines hinreichenden Aktienbesitzes binnen Wochenfrist erbracht. Dem Freigabeantrag sei trotz dessen nach §§ 319 Abs. 6 S. 3 Nr. 3, 327 e Abs. 2 AktG stattzugeben. Demnach komme es darauf an, ob die wesentlichen Nachteile der Antragstellerin für die Gesellschaft und ihre Aktionäre die Nachteile für die Antragsgegner überwiegen, wobei nur auf die Antragsteller 1 und 3 abgestellt werden könne. Einzubeziehen seien sowohl das Interesse an der alsbaldigen Durchführung der Maßnahme als auch jenes an der Vermeidung von Nachteilen, die durch den Erfolg der Anfechtungsklage entstünden. Die Antragstellerin habe solche wesentlichen wirtschaftlichen Verzögerungs- und Nichteintragungsnachteile dargelegt und glaubhaft gemacht. Unter anderem bezieht sich die Antragstellerin auf die Einsparung von Aufwendungen durch die Verzichtbarkeit auf den Verwaltungsrat der Hauptaktionärin und den Aufsichtsrat der Antragstellerin. Bei der Berechnung der wirtschaftlichen Nachteile der Antragstellerin in Bezug auf eine Nichteintragung sei von einem gänzlichen Ausbleiben der Eintragung auszugehen. Diese seien auch in der vollen glaubhaft gemachten Höhe in die vorzunehmende Interessenabwägung einzustellen, unabhängig davon, dass die Gesellschaft im Falle einer Nichteintragung ggf. Kosten wegen der nicht entstehenden Verschmelzungskosten einsparen würde. Den nicht unerheblichen wirtschaftlichen Nachteilen der Antragstellerin stehen seitens der Antragsgegner zu 1 und 3 das Interesse an der Erhaltung ihrer Aktionärsstellung als solcher und am Gegenwert ihrer Anteile gegenüber. Diese unterliegen den Nachteilen der Antragstellerin laut Gericht bei Weitem.
Ob trotzdem die Vollziehung eines Squeeze-out-Beschlusses verhindern werden müsse, prüft das Gericht nach § 327 e Abs. 2, § 319 Abs. 6 S. 3 Nr. 3 2. HS AktG, indem es prüft, ob ein besonders schwerer Rechtsverstoß vorliegt. Der streitgegenständliche Beschluss sei entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin zu 3 mit der erforderlichen Mehrheit gefasst worden, da die Hauptaktionärin teilnahme- und stimmberechtigt gewesen sei. Es komme für die Festlegung der Voraussetzungen für das Teilnahme- und Stimmrecht allein auf die Anmeldung zur Hauptversammlung an. Diesen sei die Hauptaktionärin mit der Vorlage der Bestätigung der Hinterlegung durch die H Bank nachgekommen.
Darüber hinaus wurden die Frage-, Rede- und Auskunftsrechte auch nicht nach den Vorgaben des § 1 Abs. 2 S. 1 COVMG unzulässig eingeschränkt. Die Befugnis, eine Hauptversammlung ohne physische Präsenz der Aktionäre auch ohne satzungsmäßige Grundlage durchzuführen, sei verfassungsrechtlich unbedenklich. Es sei pandemiebedingt vielmehr notwendig gewesen eine solche Art der Hauptversammlung zuzulassen, um die Handlungsfähigkeit der Gesellschafter auch in Pandemiezeiten sicherzustellen. Mithin könne kein Rechtsverstoß darin gesehen werden, dass der Vorstand der Antragstellerin die Hauptversammlung i.S.d. § 1 Abs. 2 COMG gestaltet und durchgeführt hat. Darüber hinaus ergebe sich schon aus § 243 Abs. 4 AktG, dass der Gesetzgeber der Verletzung von Auskunfts- und Informationsrechten grundsätzlich keine überragende Bedeutung beimisst.
Der streitgegenständliche verschmelzungsrechtliche Squeeze-out sei auch nicht rechtsmissbräuchlich, da er dem Gesetzeszweck der Umstrukturierung und Vereinfachung und Ordnung der Konzernstruktur entspreche. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Hauptaktionärin ihr Kaufangebot auf 6500 Aktien beschränkt hatte, wodurch die Antragsgegnerin zu 1 ausgeschlossen werden solle. Die Hauptaktionärin war gerade nicht nach § 53 a AktG zur Gleichbehandlung verpflichtet, da dieses Gebot nicht im Verhältnis zwischen Aktionären gelte.
Der Squeeze-out-Beschluss sei mithin gemäß §§ 327 e Abs. 2, 319 Abs. 6 S. 3 AktG freizugeben.
Das Urteil des OLG München macht vor allem deutlich, dass bloße Behauptungen vor Gericht nicht ausreichen. Gerichte behalten sich vor, ein gewisses Maß an Beweismaterial zu fordern, um die Behauptung glaubhaft zu machen. Daran scheitern die Antragsgegner in den meisten Fällen. Darüber hinaus hebt das Gericht die Verfassungsmäßigkeit der pandemiebedingten virtuellen Hauptversammlungen ohne satzungsmäßige Grundlage hervor.