01.09.2025
Notizen zur Rechtsprechung
Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:
OLG Schleswig
07.02.2024
9 U 41/23
AG 2024, 331
Die Klägerin ist Aktionärin der Beklagten, einer nicht börsennotierten Aktiengesellschaft. Der Versicherungsverein a.G. ist alleiniger Gesellschafter der Klägerin. Die beklagte Gesellschaft lud zur Hauptversammlung am 08.12.2021 ein. Zu dem Termin erschien ein Rechtsanwalt, der die Klägerin bereits in der vorangegangenen Hauptversammlung vertreten hatte und wollte erneut als ihr Vertreter an der Hauptversammlung teilnehmen. Ein Vorstandsmitglied der Beklagten verweigerte ihm jedoch den Zutritt zu den Geschäftsräumen. Somit nahmen an der Hauptversammlung weder die Klägerin noch ein Vertreter teil. Auf der Gesellschafterversammlung waren weder der Aufsichtsratsvorsitzende noch seine Stellvertreter anwesend. Im Vorfeld wurden ihrerseits auch keine Anweisungen für eine Eingangskontrolle erteilt. In der Hauptversammlung vom 08.12.2021 wurde ein damaliges Vorstandsmitglied zur Versammlungsleiterin gewählt. Die hiergegen gerichtete Anfechtungsklage war vor dem Landgericht Kiel erfolgreich. Mit ihrer Berufung trägt die beklagte Gesellschaft unter anderem vor, sie habe in der Aktionärsversammlung vom 30. August 2023 die streitgegenständlichen Beschlüsse wirksam aufgehoben und neu gefasst. Die Anfechtungsklage vor dem Landgericht Kiel gegen diese Beschlüsse sei vorgreiflich im Sinne des § 148 ZPO. Zudem entfalle das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Kiel hat das OLG Schleswig zurückgewiesen. Nach Auffassung des Senats hat das Landgericht die Hauptversammlungsbeschlüsse vom 08.12.2021 zu Recht für nichtig erklärt.
Die Klägerin ist als Aktionärin der Beklagten nach § 245 S. 1 Nr. 2 AktG anfechtungsbefugt. Ihrem Vertreter ist zu Unrecht der Zugang zu der Hauptversammlung verwehrt worden. Ein berechtigter Grund für die Zutrittsverweigerung besteht nicht. Es liegen keine besonderen Voraussetzungen für die Teilnahme an der Hauptversammlung durch Satzung der beklagten Gesellschaft vor. § 123 Abs. 2 S. 1 AktG bestimmt zwar, dass durch Satzung die Teilnahme an der Hauptversammlung davon abhängig gemacht werden kann, dass sich die Aktionäre vor der Hauptversammlung anmelden. Die Satzung der Beklagten sah ein solches vorheriges Anmeldeerfordernis allerdings nicht vor. Auch von der durch § 123 Abs. 3 AktG eröffneten Möglichkeit, durch Satzung zu regeln, dass die Berechtigung zur Teilnahme an der Versammlung oder zur Ausübung des Stimmrechts nachzuweisen ist, hat die Gesellschaft keinen Gebrauch gemacht. An der Bevollmächtigung des Rechtsanwalts durch die Klägerin bestanden hier auch keine Zweifel, insbesondere da dieser im Vorfeld bereits als Vertreter der Klägerin aufgetreten ist und dem Vorstand der beklagten Gesellschaft bekannt war.
Auch ein von der Beklagten angeführtes „ungebührliches Verhalten“ des Rechtsanwalts in der vorangegangenen Hauptversammlung stellt keinen ausreichenden Grund dar, um das Recht der Aktionärin zur Teilnahme und Abstimmung in der Hauptversammlung zu beschränken. Aus einem einmaligen Fehlverhalten kann nicht per se auf eine Wiederholung eines solchen Verhaltens geschlossen werden. Zudem haben Aktionäre und ihre Vertreter auch das Recht, ihre Meinung und unliebsame Dinge frei, gegebenenfalls auch laut zu äußern, sofern die Grenzen des Strafrechts dadurch nicht erreicht werden.
Das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis ist hier nicht dadurch entfallen, dass die beklagte Gesellschaft die angefochtenen Beschlüsse aufgehoben und mit gleichem Inhalt erneut getroffen hat. Grundsätzlich muss derjenige, der einen Hauptversammlungsbeschluss wegen eines Verstoßes gegen Gesetz oder Satzung anfechten will, kein besonderes Rechtsschutzinteresse und auch keine Betroffenheit in eigenen Rechten darlegen. Vielmehr ist schon die Behauptung, der Beschluss sei objektiv rechtswidrig, ausreichend. Anfechtungsklagen dienen der Kontrolle der Gesetz- und Rechtmäßigkeit des Organhandelns innerhalb der Gesellschaft. Ziel ist es, einen dem Gesetz und der Satzung entsprechenden Rechtszustand herbeizuführen. Damit dienen sie dem Interesse aller Aktionäre und der Allgemeinheit und nicht nur dem Eigeninteresse.
Der Senat hatte sich in seiner Entscheidung auch mit der Frage zu befassen, ob das Verfahren nach Maßgabe des § 148 ZPO wegen Vorgreiflichkeit bis zur Entscheidung in dem Verfahren vor dem Landgericht Kiel auszusetzen war. Nach § 148 Abs. 1 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet, die Aussetzung des Verfahrens anordnen. Im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens hat der Senat von der Aussetzung des Verfahrens keinen Gebrauch gemacht und begründet seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die Entscheidung in dem Verfahren vor dem Landgericht Kiel nicht in jedem Fall eine präjudizielle Wirkung für den Ausgang des Rechtsstreits vor dem OLG Schleswig hat. Würde die Anfechtungsklage rechtskräftig abgewiesen, wären die streitigen Hauptversammlungsbeschlüsse durch die Beschlüsse vom 30. August 2023 wirksam aufgehoben und damit auch das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage vor dem OLG Schleswig entfallen, sofern nicht vorher abschließend entschieden ist. Im Falle des Stattgebens der Anfechtungsklage hätte dies ohnehin keine präjudizielle Wirkung für dieses Verfahren. Zudem dient der Abschluss des Verfahrens durch das Berufungsurteil der Wahrung des Beschleunigungsgrundsatzes und der Prozessförderung, da das Verfahren bereits seit dem Jahr 2022 anhängig war.
An die Einschränkung des Teilnahmerechts von Aktionären an einer Hauptversammlung und des Rechts, sich auf dieser durch einen selbstbestimmten Vertreter vertreten zu lassen, sind strenge Anforderungen zu stellen. Soll die Teilnahme an der Hauptversammlung von einer vorherigen Anmeldung oder eines Nachweises der Teilnahmeberechtigung abhängig gemacht werden, muss dies vorher durch Satzung geregelt sein. Dieses Erfordernis gilt auch für die Teilnahme von Vertretern der Aktionäre. Soll ein Aktionär oder sein Vertreter wegen einer vorherigen Störung von der Teilnahme an einer Hauptversammlung ausgeschlossen werden, muss dies zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Ablaufs der Hauptversammlung erforderlich sein. Zudem müssen vor einem Ausschluss zunächst mildere Mittel ergriffen werden, beispielsweise ein Entzug des Rederechts. Der Ausschluss ist darüber hinaus zunächst anzudrohen.