KG 2 U 94/21
Zulässigkeit einer "Vesting-Regelung“ bei einem Start-up Unternehmen

10.12.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

KG
12.08.2024
2 U 94/21
DStR 2024, 2546

Leitsatz | KG 2 U 94/21

  1. Vertragliche Vereinbarungen, die den übrigen Gesellschaftern einer GmbH das Recht einräumen, einen Mitgesellschafter ohne sachlichen Grund aus der Gesellschaft auszuschließen („Hinauskündigungsklauseln“), sind nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig, es sei denn, dass eine solche Regelung wegen der besonderen Umstände sachlich gerechtfertigt ist (Anschluss an BGH-Urteil v. 19.9.2005 – II ZR 173/04, BGHZ 164, 98, DStR 2005, 1913).
  2. Ein solches Ausschließungsrecht kann im Rahmen einer zeitlich befristen Vesting-Regelung gerechtfertigt sein, wenn sie bei einem Start-up-Unternehmen dazu dienen soll, den Fortbestand der Gesellschafterstellung eines Gründers mit seinem weiteren Einsatz für das Unternehmen zu verknüpfen.

Sachverhalt | KG 2 U 94/21

Der Kläger wurde als Gründer aus seiner Gesellschafterstellung ausgeschlossen, nachdem durch eine ordentliche Kündigung sein Arbeitsverhältnis mit dem Unternehmen beendet wurde. Die zugrunde liegende "Vesting-Regelung“ im Gesellschaftsvertrag des Start-Ups verband die Gesellschafterstellung eines Gründers mit dessen fortlaufendem Einsatz für das Unternehmen und ermöglichte es unter bestimmten Bedingungen, einem Gründer seine Gesellschaftsanteile abzunehmen.

Gegen dieses Vorgehen wendet sich der Kläger mit der Begründung, dass die sog. "Vesting-Regelung“ im Gesellschaftsvertrag nach § 138 BGB sittenwidrig sei und gegen gesellschaftsrechtliche Grundsätze verstoße.
 

Entscheidung | KG 2 U 94/21

Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg.

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung sind sog. „Hinauskündigungsklauseln“, welche einer Gruppe von Gesellschaftern oder der Gesellschaftermehrheit das Recht einräumen, einen Mitgesellschafter ohne sachlichen Grund aus der Gesellschaft auszuschließen, grundsätzlich wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nach § 138 BGB nichtig. Davon erfasst sind ebenso neben dem Gesellschaftsvertrag getroffene schuldrechtliche Vereinbarungen, die zu demselben Ergebnis führen sollen. Der betroffene Gesellschafter ist in diesem Fall grundsätzlich schutzwürdig, da die freie Ausschließungsmöglichkeit von ihm als Disziplinierungsmittel empfunden werden und ihn daran hindern kann, von seinen Mitgliedschaftsrechten nach eigener Entscheidung Gebrauch zu machen („Damoklesschwert“).

Ausnahmsweise kann eine an keine Voraussetzungen geknüpfte Hinauskündigungsklausel jedoch wirksam sein, wenn sie wegen besonderer Umstände des Einzelfalls sachlich gerechtfertigt ist, was der BGH in vereinzelten Fällen für möglich erachtet hat. Aus den Wertungen der vom BGH entschiedenen Ausnahmefälle ergibt sich, dass die Hinauskündigungsmöglichkeit des Klägers im vorliegenden Fall gerechtfertigt ist.

Für die zeitlich limitierte Vesting-Regelung ist ein praktisches Bedürfnis anzuerkennen, wenn Risikokapitalgeber (wie hier) in ein Start-up investieren. Gründer können in diesen Fällen häufig keine klassischen Sicherheiten bieten und sind daher häufig auf Risikokapitalgeber angewiesen. Diese wiederum sind darauf angewiesen, dass sich die Gründer mit ihrem Knowhow weiterhin voll in das Unternehmen einbringen und es zum Erfolg führen. Den Gründern kommt hier regelmäßig eine starke Stellung zu, weil sie das Start-up mit ihren Ideen und ihrem Arbeitseinsatz aufgebaut und für die Investoren interessant gemacht haben. Gleichzeitig ist die Prognose aufseiten der Risikokapitalgeber, ob die Gründer das Unternehmen tatsächlich zum Erfolg führen können, mit Unsicherheiten behaftet. Daher kann es in dieser typischerweise entscheidenden Anfangsphase (zeitlich befristet) sachlich gerechtfertigt sein, den Fortbestand der Gesellschafterstellung des Gründers mit seinem weiteren Einsatz für das Unternehmen zu verknüpfen und solche Gründer, die frühzeitig aus dem Unternehmen ausscheiden, nicht mehr am Erfolg des Unternehmens zu beteiligen.

Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass die Beteiligung der Gründer in Folge der Finanzierung eine erhebliche Wertsteigerung erfährt und sie sich daher ihre Beteiligung erst durch ihr zukünftiges Engagement für das Unternehmen über einen bestimmten, festgelegten Zeitraum „verdienen“ müssen. Zudem haben die Risikokapitalgeber auch ein Interesse daran, die Gründer einer zeitlich begrenzten Bewährungsprobe zu unternehmen, um etwaige Fehleinschätzungen ggf. noch korrigieren zu können. Ohne die Möglichkeit einer Vesting-Vereinbarung müssten die Risikokapitalgeber entweder bereits im Rahmen der Investmententscheidung restriktiver abwägen oder mit einem erhöhten Ausfallrisiko kalkulieren.

Die Vesting-Regelung entspricht aus der ex-ante Perspektive auch dem Interesse sämtlicher Gründungsgesellschafter, da künftig auftretende Unstimmigkeiten zwischen den Gesellschaftern verhältnismäßig einfach durch den Ausschluss eines Gründungsgesellschafters gelöst werden können, ohne dabei die Fortführung des Unternehmens zu gefährden. Dies ist für die Gründer auch vorteilhafter als eine etwaige sukzessive (Rück)Übertragung von Gesellschaftsanteilen.

Ein betroffener Gründer wird durch die Regelung auch nicht um die Früchte seines bisherigen Beitrags zum Erfolg des Unternehmens gebracht. Einerseits hat die Frage der Angemessenheit der vereinbarten Abfindung für die Wirksamkeit der Hinauskündigungsmöglichkeit keine Bedeutung, andererseits träte an die Stelle einer vereinbarten unangemessenen niedrigen Abfindung lediglich die angemessene Abfindung.

Auch ein Verstoß gegen den gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungssatz liegt nicht vor, da sämtliche Gründer ihre Gesellschafterstellung im Rahmen der Vesting-Regelung zur Disposition gestellt haben. Dass nur die Gründer und nicht die übrigen Gesellschafter sich der Regelung unterworfen haben, unterliegt ebenfalls keinen Bedenken, da der sachliche Grund für diese Ungleichbehandlung in dem Beitrag der Gründer zum künftigen Erfolg des Unternehmens durch ihre persönliche Tätigkeit liegt.
 

Praxishinweis | KG 2 U 94/21

Leaver- und Vesting-Regelungen finden sich häufig im Rahmen von Manager- und Mitarbeiterbeteiligungsmodellen (Weitnauer GWR 2024, 367). Im vorliegenden Fall lag die Besonderheit darin, dass die Beteiligung des Klägers als Gründer bereits von Anfang an bestand und nicht erst später als Annex zu einem Arbeitsverhältnis gewährt wurde. Wird eine Call-Option vertraglich vereinbart, so führt eine im groben Missverhältnis zum wahren Wert stehende Kaufpreisregelung nach dem BGH jedoch zur Gesamtnichtigkeit nach § 139 BGB (BGH, Urteil vom 22.01.2013 – II ZR 80/10).

Die Entscheidung hat insbesondere Bedeutung für Vertragsgestaltungen im Venture Capital, da die Entscheidung Start-up-Gründern mehr Rechtssicherheit für die Verwendung von sog. „Hinauskündigungsklausel“ bietet (Bonn/Rubner NJW-Spezial 2024, 688). Dieses Vorgehen bietet daher eine zulässige Möglichkeit, die Gesellschafterstellung mit dem Engagement für das Unternehmen zu verknüpfen.