BFH II B 13/25 (AdV)
Zweimalige Festsetzung von Grunderwerbsteuer für den Erwerb von Gesellschaftsanteilen beim Auseinanderfallen von sog. Signing und Closing

19.08.2025

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BFH
14.05.2025
II B 13/25 (AdV)
DB 2025, 2006

Leitsatz | BFH II B 13/25 (AdV)

Es ist rechtlich zweifelhaft, ob bei einem Erwerb von Anteilen an einer GmbH, bei dem das schuldrechtliche Erwerbsgeschäft (Signing) und die Übertragung der GmbH-Anteile (Closing) zeitlich auseinanderfallen, zweimal Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 2b und § 1 Abs. 3 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) festgesetzt werden kann, wenn dem Finanzamt im Zeitpunkt der Festsetzung der Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG bekannt ist, dass die Übertragung der GmbH-Anteile (Closing) bereits erfolgt ist.

Sachverhalt | BFH II B 13/25 (AdV)

Die Antragstellerin erwarb mit notariell beurkundetem Vertrag vom 11.03.2024 (Signing) sämtliche Anteile an einer grundbesitzenden GmbH. Die tatsächliche Übertragung der Gesellschaftsanteile (Closing) erfolgte nach Zahlung des Kaufpreises am 29.03.2024. Bis zu diesem Zeitpunkt blieb der Grundstücksbestand der GmbH unverändert. Der beurkundende Notar meldete den Kaufvertrag am 04.04.2024 dem Finanzamt, eine Meldung über den Anteilserwerb am 29.03.2024 erfolgte jedoch nicht. Das Finanzamt setzte daraufhin mit Bescheiden vom 30.05.2024 zweimal Grunderwerbsteuer fest: einmal gegenüber der GmbH wegen des Gesellschafterwechsels am 29.03.2024 gemäß § 1 Abs. 2b GrEStG und zum anderen gegenüber der Antragstellerin wegen der Anteilsvereinigung am 11.03.2024 nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG. Die Steuerbemessung erfolgte jeweils auf Basis eines geschätzten Bodenrichtwerts, und beide Steuerbeträge wurden festgesetzt und bezahlt. Beide Bescheide wurden unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erlassen. Die Antragstellerin legte gegen ihren Bescheid Einspruch ein, der noch anhängig ist, und beantragte die Aussetzung der Vollziehung, was sowohl das Finanzamt als auch das Finanzgericht ablehnten. Mit ihrer vom Finanzgericht zugelassenen Beschwerde macht die Antragstellerin geltend, dass eine doppelte Besteuerung desselben Anteilserwerbs unzulässig sei, da der Gesetzgeber eine solche nicht vorgesehen habe. Zwar seien unterschiedliche Besteuerungstatbestände erfüllt, jedoch schließe der Wortlaut des Gesetzes eine parallele Besteuerung nach § 1 Abs. 3 GrEStG aus, wenn bereits eine Besteuerung nach den Absätzen 2a oder 2b vorliege. Eine verspätete Anzeige des Closings dürfe nicht zu einer endgültigen Doppelbelastung führen. Außerdem bestünden noch keine höchstrichterlichen Entscheidungen zu der Frage, wem bei sogenannten Share Deals das Grundstück zu welchem Zeitpunkt „gehört“. Die Antragstellerin betont zudem, dass eine widersprüchliche Steuerfestsetzung vorliege, da beide Bescheide denselben Sachverhalt betreffen und damit gegen § 174 Abs. 1 der Abgabenordnung verstoßen würden. Sie beantragt daher, den Beschluss des Finanzgerichts vom 09.01.2025 aufzuheben und die Vollziehung des angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheids auszusetzen. Das Finanzamt hingegen fordert die Zurückweisung der Beschwerde als unbegründet.

Entscheidung | BFH II B 13/25 (AdV)

Die Beschwerde der Antragstellerin hat jedoch Erfolg, da sie entgegen der Einwände des Finanzamts zulässig und begründet ist.

Nach § 69 Abs. 3 iVm Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen. Dies soll geschehen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen oder die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige Härte darstellt, die nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gerechtfertigt ist. Ist der Verwaltungsakt bereits vollzogen, wird statt der Aussetzung die Aufhebung der Vollziehung wirksam (§ 69 Abs. 3 S. 7 FGO). Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit liegen vor, wenn bei summarischer Prüfung des Bescheids neben rechtmäßigen Aspekten auch gewichtige Gründe gegen die Rechtmäßigkeit erkennbar sind, die Unsicherheit in der rechtlichen oder tatsächlichen Beurteilung erzeugen. Dabei ist keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Rechtswidrigkeit erforderlich (vgl. BFH-Beschluss vom 10.02.1967 - III B 9/66, BFHE 87, 447; BFH-Beschluss vom 27.05.2024 - II B 78/23, BStBl II 2024, 543, Rz 25).

Vor diesem Hintergrund war die Vollziehung des Grunderwerbsteuerbescheids vom 30.05.2024 aufzuheben. Der Senat hat bei summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit festgestellt. Die Rechtslage ist insbesondere zweifelhaft, ob bei einem Erwerb von GmbH-Anteilen, bei dem das schuldrechtliche Erwerbsgeschäft (Signing) und die tatsächliche Übertragung der Anteile (Closing) zeitlich auseinanderfallen, zweimal Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 2b und § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG erhoben werden kann, wenn dem Finanzamt zum Zeitpunkt der Festsetzung nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG bekannt ist, dass das Closing bereits erfolgt ist. Auch unter Berücksichtigung von § 16 Abs. 4a, 5 GrEStG bestehen aufgrund des Wortlauts des Einleitungssatzes von § 1 Abs. 3 GrEStG und der kritischen Literaturbewertung rechtliche Bedenken. Der BFH hat diese Frage bisher nicht entschieden.

Die Finanzverwaltung geht davon aus, dass der Vorrang des Tatbestands des § 1 Abs. 2b GrEStG gegenüber der Besteuerung nach § 1 Abs. 3 GrEStG nur besteht, wenn die Verwirklichung des § 1 Abs. 3 Nr. 2 oder 4 GrEStG gleichzeitig erfolgt. Bei auseinanderfallenden Besteuerungszeitpunkten von § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder 3 GrEStG und § 1 Abs. 2b GrEStG sollen beide Tatbestände erfüllt sein, und der Vorrang werde durch § 16 Abs. 4a und 5 GrEStG umgesetzt (vgl. gleichlautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder vom 05.03.2024, BStBl I 2024, 383, Rz. 30). Im vorliegenden Fall setzte das Finanzamt deshalb die Grunderwerbsteuer nach beiden Tatbeständen fest und lehnte eine Aufhebung der Besteuerung nach § 16 Abs. 4a GrEStG wegen Verletzung der Anzeigepflicht ab.

Rechtlich zweifelhaft ist, ob diese Auffassung mit dem Wortlaut des Einleitungssatzes von § 1 Abs. 3 GrEStG vereinbar ist. Dort heißt es, dass eine Besteuerung nach § 1 Abs. 3 GrEStG nur erfolgt, soweit eine Besteuerung nach § 1 Abs. 2b GrEStG nicht in Betracht kommt. Diese Einschränkung gilt für alle Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs. 3 GrEStG, also nicht nur für die Nummern 2 und 4, sondern auch für Nr. 1 und 3, die den Abschluss des Rechtsgeschäfts vor der Übertragung besteuern. Eine zeitliche Beschränkung lässt sich dem Wortlaut nicht entnehmen.

Auch aus der Gesetzesbegründung zum Einleitungssatz von § 1 Abs. 3 GrEStG lässt sich keine zeitliche Konkurrenz der Besteuerungen nach § 1 Abs. 2b und § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG ableiten. Ursprünglich regelte das Jahressteuergesetz 1997 den Vorrang der Besteuerung nach § 1 Abs. 2a GrEStG ohne nähere Angaben zur zeitlichen Reihenfolge (BT-Drucks. 19/13437, S. 12). Die Erweiterung um § 1 Abs. 2b GrEStG durch das Gesetz vom 12.05.2021 änderte das Rangverhältnis der Ergänzungstatbestände ebenfalls ohne zeitliche Vorgaben.

Die Einführung von § 16 Abs. 4a, 5 GrEStG beseitigte den bestehenden Vorrang nicht. Diese Vorschrift erlaubt eine Aufhebung der Steuerfestsetzung nach § 1 Abs. 3 GrEStG, wenn der Erwerbsvorgang vollständig angezeigt wurde. Zwar stellt die Gesetzesbegründung zum Jahressteuergesetz 2022 klar, dass der Vorrang nicht gelten soll, wenn Signing und Closing auseinanderfallen, um eine Doppelbesteuerung zu vermeiden (BT-Drucks. 20/4729, S. 152). Diese Einschränkung findet sich im Gesetzestext jedoch nicht und lässt daher rechtliche Zweifel offen, in welchem Umfang § 16 Abs. 4a, 5 GrEStG den Vorrang tatsächlich einschränkt.

Kritische Stimmen in der Literatur bezweifeln die Auffassung der Finanzverwaltung, wonach der Vorrang nur bei zeitgleicher Erfüllung der Tatbestände gilt. Einige Autoren betonen einen generellen Vorrang von § 1 Abs. 2b GrEStG, unabhängig vom Zeitpunkt der Vorgänge (Meßbacher-Hönsch in Viskorf, GrEStG, 21. Aufl., § 1 Rz 1033). Andere nehmen den Vorrang auch bei auseinanderfallendem Signing und Closing an (Pahlke/Joisten, GrEStG, 7. Aufl., § 1 Rz 349 i.V.m. 296). Wiederum andere vertreten, dass eine Besteuerung nach § 1 Abs. 3 GrEStG erst möglich sei, wenn feststeht, dass die Vollzugsbedingung nicht mehr eintreten kann (Behrens in Behrens/Wachter, GrEStG, 2. Aufl., § 1 Rz 716). Zudem werde § 16 Abs. 4b, 5 GrEStG lediglich als verfahrensmäßige Erleichterung ohne materielle Wirkung bewertet (vgl. Wollweber/Graessner, Unternehmensbesteuerung 2025, 23; Broemel/Mörwald, Deutsches Steuerrecht 2023, 73; Behrens/Sparr, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht 2023, 269; Loose in Viskorf, GrEStG, 21. Aufl., § 16 Rz 286).

Weitere Zweifel ergeben sich daraus, dass dem Finanzamt beim Erlass des Bescheids am 30.05.2024 bekannt war, dass der Closing bereits am 29.03.2024 erfolgt war und eine Steuerpflicht nach § 1 Abs. 2b GrEStG bestand. Dennoch wurden am selben Tag zwei Grunderwerbsteuerbescheide über denselben Erwerb erlassen, beide unter Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO). Unabhängig von § 16 Abs. 4a, 5 GrEStG käme auch eine Aufhebung der Steuerfestsetzung nach § 164 Abs. 2 AO in Betracht, da § 16 GrEStG andere Korrekturvorschriften nicht ausschließt (vgl. Pahlke/Pahlke, GrEStG, 7. Aufl., § 16 Rz 4; Loose in Viskorf, GrEStG, 21. Aufl., § 16 Rz 12). Das Finanzamt hat dennoch wissentlich zweimal Steuer festgesetzt, was dem materiell-rechtlichen Vorrang des Einleitungssatzes von § 1 Abs. 3 GrEStG widerspricht.

Das FG hat die beantrage AdV somit zu Unrecht abgelehnt.

Praxishinweis | BFH II B 13/25 (AdV)

Bei der steuerlichen Behandlung von GmbH-Anteilserwerben, bei denen Signing und Closing zeitlich auseinanderfallen, besteht erhebliche Rechtsunsicherheit darüber, ob Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 2b und § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG jeweils separat festgesetzt werden darf. Insbesondere wenn dem Finanzamt bei der Festsetzung der Steuer nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG bereits bekannt ist, dass das Closing bereits erfolgt ist, ist eine doppelte Steuerfestsetzung zweifelhaft und kann zu einer unzulässigen Doppelbelastung führen. Steuerpflichtige sollten daher frühzeitig prüfen, ob gegen eine solche doppelte Festsetzung ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung oder Rechtsbehelf möglich ist. Finanzbehörden sind angehalten, bei Kenntnis des vollständigen Erwerbsvorgangs sorgfältig zu prüfen, ob eine zweite Steuerfestsetzung gerechtfertigt ist, um unnötige Streitigkeiten und Belastungen zu vermeiden.