LG Deggendorf 32 O 779/18
Zum Ausschluss des Pflichtteilsergänzungsanspruchs bei Zustimmung des Berechtigten zur Schenkung durch den Erblasser

18.02.2022

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

LG Deggendorf
19.09.2019
32 O 779/18
RNotZ 2021, 598

Leitsatz | LG Deggendorf 32 O 779/18

  1. Der Verzicht auf Pflichtteils- oder Pflichtteilsergänzungsansprüche nach dem Tod des Erblassers ist als Erlassvertrag gem. § 397 BGB einzuordnen.
  2. Stimmt ein Pflichtteilsberechtigter einer Schenkung des Erblassers an einen Dritten zu, so stehen ihm analog § 1375 Abs. 3 BGB keine Pflichtteils- oder Pflichtteilsergänzungsansprüche zu. Jedenfalls ist die Geltendmachung solcher Ansprüche wegen widersprüchlichen Verhaltens (§ 242 BGB) unzulässig.

(nichtamtliche Leitsätze)

 

Sachverhalt | LG Deggendorf 32 O 779/18

Die Klägerin und die Beklagte sind Halbschwestern und Töchter ihres verstorbenen Vaters, dem Erblasser. Dieser war in zweiter Ehe mit der Mutter der Beklagten verheiratet und lebte im Güterstand der Zugewinngemeinschaft. Der Erblasser war Eigentümer eines Grundstücks, welches er der Klägerin unentgeltlich übertrug, ohne dass seine (zweite) Ehefrau hiervon Kenntnis hatte. Die zweite Ehefrau war Eigentümerin eines anderen Grundstücks, welches sie der Beklagten unentgeltlich und mit Zustimmung ihres Ehemannes übertrug. Auf diesem Grundstück befanden sich zum Zeitpunkt der Übertragung ein Einfamilienhaus, ein Bungalow mit Einliegerwohnung und Schwimmbad und ein im Rohbau befindliches Einfamilienhaus. Bestellt wurde zudem ein lebenslanges Wohnungsrecht an dem auf dem Grundstück befindlichen Bungalow zugunsten der Eheleute. Die Mutter behielt sich außerdem ein lebenslanges unentgeltliches Nießbrauchsrecht an dem vermieteten Einfamilienhaus vor.

Nachdem die Mutter der Beklagten starb, wurde der Vater aufgrund eines Testaments Alleinerbe. In der Folgezeit starb auch der Vater und wurde von seinen Töchtern zu je 1/2 beerbt. Die Klägerin behauptet, dem Vater habe ein Pflichtteilsergänzungsanspruch aufgrund der vorbezeichneten Schenkung zugestanden, welchen sie nun zugunsten der Erbengemeinschaft (bestehend aus der Klägerin und der Beklagten) geltend mache.

Entscheidung | LG Deggendorf 32 O 779/18

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Die Klage sei unbegründet, da der Vater nach dem Ableben seiner Ehefrau im Wege eines Erlassvertrages i.S.v. § 397 BGB wirksam auf seinen Pflichtteilsergänzungsanspruch verzichtet habe. Der Abschluss eines solchen Erlassvertrages sei nach dem Tod des Erblassers auch formlos möglich. Allerdings seien nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung strenge Anforderungen an die Feststellung des Verzichtswillens des Gläubigers zu stellen. Nach hinreichender Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles müsse das Angebot auf Abschluss eines Erlassvertrages unmissverständlich erklärt werden. Das Gericht ist hier davon überzeugt, dass der Vater wirksam auf seinen Pflichtteilsergänzungsanspruch verzichtet hat, weshalb ein solcher auch nicht im Wege der Universalsukzession nach § 1922 BGB übergehen konnte. Die Überzeugung des Gerichts beruht auf der Auslegung eines Schreibens des Vaters, in welchem er angibt zwar Alleinerbe zu sein, aber dennoch von seiner Tochter nichts haben wolle. Zudem seien die Angaben der Beklagten glaubhaft, nach denen der Vater schon zu Lebzeiten gewollt habe, dass sie – die Beklagte – den Grundbesitz der Mutter und die Klägerin den des Vaters bekommen solle. Eine solche Aufteilung des Grundbesitzes haben die Eheleute zu Lebzeiten tatsächlich vorgenommen. Entscheidend sei hier, dass der Vater von der Schenkung an die Beklagte wusste und ihr zugestimmt hat.

Das Fehlen eines entsprechenden Verzichts in dem Überlassungsvertrag vom 30.12.2004 stehe dem nicht entgegen. Es könne davon ausgegangen werden, dass die Eheleute schon deshalb diesbezüglich keinen Regelungsbedarf gesehen haben, weil der Ehegatte 16 Jahre älter als seine Ehefrau und zum Zeitpunkt des Überlassungsvertrages bereits 77 Jahre alt war. Man sei somit schlichtweg von einem Vorversterben des Ehemannes ausgegangen. Es habe daher keinen Anlass gegeben, einen ausdrücklichen Verzicht auf etwaige Pflichtteilsergänzungsansprüche in den Vertrag mit aufzunehmen. Ohnehin bestünde ein Pflichtteilsergänzungsanspruch schon nicht wegen der analogen Anwendung des § 1375 Abs. 3 BGB. Der Gesetzgeber habe die Rechtsfolge der Zustimmung eines Ehegatten zu einer Schenkung für den Fall geregelt, dass die Ehe aus anderen Gründen als den Tod beendet wird. Eine entsprechende Anwendung solle für die Beendigung der Ehe durch den Tod gelten, was im vorliegenden Fall die Entstehung eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs verhindert. Im Übrigen wäre die Geltendmachung des Anspruchs wegen widersprüchlichen Verhaltens nach § 242 BGB unzulässig.

Praxishinweis | LG Deggendorf 32 O 779/18

Sollte im Rahmen eines Überlassungsvertrages einer Schenkung des Ehegatten an einen Dritten zugestimmt werden, dann kann dies später als Verzicht auf einen Pflichtteilsergänzungsanspruch ausgelegt werden. Um Rechtsunsicherheiten zu vermeiden ist es jedoch empfehlenswert, einen ausdrücklichen Verzicht in den Vertrag mit aufzunehmen. Es ist zudem darauf hinzuweisen, dass das Gericht strenge Anforderung an die Annahme eines Verzichts stellt und im vorliegenden Fall alle Indizien für einen Verzicht des Vaters gesprochen haben. Das schließt insbesondere auch das Verhalten des Vaters nach dem Tod seiner Ehefrau ein. Die Zustimmung zur Schenkung allein wird wohl für die Ablehnung des Pflichtteilsergänzungsanspruch nicht ausreichen.