BGH V ZR 48/23
Zum Verhältnis und Vorrang des dinglichen Vorkaufsrechts gegen-über dem Mietervorkaufsrecht

26.11.2025

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
27.09.2024
V ZR 48/23
BWNotZ 2024, 358

Leitsatz | BGH V ZR 48/23

  1. Ein durch Eintragung im Grundbuch bestelltes dingliches Vorkaufsrecht (§§ 463 ff. BGB) begründet für den Berechtigten einen Anspruch auf Abschluss des Kaufvertrags nach § 433 Abs. 1 BGB und vermittelt Vormerkungswirkung gemäß §§ 1098 Abs. 2, 883 Abs. 2, 888 BGB.
  2. Das dingliche Vorkaufsrecht eines Familienangehörigen i.S.v. § 577 Abs. 1 S. 2 BGB hat Vorrang vor dem gesetzlichen Mietervorkaufsrecht, auch wenn es erst nach der Überlassung der Wohnung an den Mieter bestellt wurde.
  3. Familienangehörige i.S.v. § 577 Abs. 1 S. 2 BGB sind auch geschiedene Ehegatten.
  4. Die zu Unrecht erfolgte Löschung eines dinglichen Vorkaufsrechts beseitigt die durch § 1098 Abs. 2 BGB vermittelte Vormerkungswirkung nicht.

Sachverhalt | BGH V ZR 48/23

Die Parteien sind geschiedene Eheleute. Im Zuge der Trennung teilten sie im Jahr 2016 ihr ge-meinsames Haus in Meißen in Wohnungseigentum auf. Die Klägerin erhielt eine Wohnung (Nr. 1), der Beklagte zwei Wohnungen (Nr. 2 und 3). Zugleich bewilligten sie sich gegenseitig dingli-che Vorkaufsrechte. Noch im selben Jahr wurde zugunsten der Klägerin ein Vorkaufsrecht an der Wohnung Nr. 3 in das Grundbuch eingetragen.

Im Jahr 2019 verkaufte der Beklagte die Wohnung Nr. 3 für 27.000 Euro. Die Klägerin übte ihr Vorkaufsrecht aus. Gleichzeitig machte der Mieter sein Mietervorkaufsrecht nach § 577 Abs. 1 S. 1 BGB geltend. Daraufhin schlossen der Beklagte und der Mieter im Oktober 2019 einen no-tariellen Kaufvertrag infolgedessen der Mieter als Eigentümer eingetragen wurde.

Im März 2022 wurde das Vorkaufsrecht der Klägerin aus dem Grundbuch gelöscht. Auf ihre Rechtsbeschwerde hin ordnete der BGH die Eintragung eines Widerspruchs gemäß § 895 ZPO i.V.m § 899 BGB an (Beschl. v. 27.04.2023 – V ZB 58/22, NJW-RR 2023, 863).

Die Klägerin verlangte nunmehr vom Beklagten die Auflassung der Wohnung Zug um Zug gegen Zahlung des Kaufpreises von 27.000 €, daneben Ausgleichszahlungen und Feststellungen. LG und OLG Dresden wiesen die Klage im Wesentlichen ab. Nach erfolgreicher Nichtzulassungs-beschwerde (V ZR 48/23) legte die Klägerin Revision ein.

Entscheidung | BGH V ZR 48/23

Der BGH gab der Revision der Klägerin teilweise statt, hob das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zurück.

Das OLG hatte verkannt, dass das Mietervorkaufsrecht nach § 577 Abs. 1 BGB dem dinglichen Vorkaufsrecht der Klägerin nicht vorgeht. Entsprechend war auch die Annahme, das dingliche Vorkaufsrecht sei unbeachtlich, solange es im Zeitpunkt der Wohnungsüberlassung noch nicht bestanden habe, unzutreffend.

Der BGH knüpft insoweit an seine Vorentscheidung an und stellt klar, dass ein zugunsten eines Familienangehörigen bestelltes dingliches Vorkaufsrecht Vorrang vor dem Mietervorkaufsrecht hat. In § 577 Abs. 1 S. 2 BGB hat der Gesetzgeber unmissverständlich normiert, dass das Mietervorkaufsrecht bei Veräußerung an einen Familienangehörigen ausgeschlossen ist. Bei wertender Betrachtung ist die Bestellung eines dinglichen Vorkaufsrechts zugunsten eines Familienangehörigen dem unmittelbaren Verkauf an diesen gleichzustellen. Die zeitliche Reihen-folge der Bestellung ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Auch ein erst nach Überlas-sung der Wohnung begründetes und eingetragenes dingliches Vorkaufsrecht wahrt den Vorrang.

Der BGH stellt ferner klar, dass Familienangehörige i.S.v. § 577 Abs. 1 S. 2 BGB auch geschiedene Ehegatten umfassen. Der Schutzzweck der Norm dient dem Schutz des Mieters vor spekulativer Umwandlung bei gleichzeitiger Wahrung der Dispositionsfreiheit des Vermieters ge-genüber nahestehenden Personen. Dieser Schutzzweck greift auch im Scheidungsfall. Denn die rechtliche Nähebeziehung zwischen Ehegatten wirkt trotz Auflösung der Ehe fort. Andern-falls hinge der Ausschluss des Mietervorkaufsrechts von den Zufälligkeiten der familiären Sta-tuslage ab und würde dem Normzweck zuwiderlaufen.

Schließlich hält der BGH fest, dass die zwischenzeitliche Löschung des Vorkaufsrechts die Vormerkungswirkung des § 1098 Abs. 2 BGB nicht beseitigt. Der Veräußerer bleibt verpflichtet, dem Berechtigten die Auflassung Zug um Zug gegen Kaufpreiszahlung zu erklären. Denn die durch § 1098 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 883 Abs. 2, 888 BGB vermittelte relative Unwirksamkeit nachträglicher Verfügungen wirkt fort, solange das Vorkaufsrecht materiell-rechtlich besteht. Eine fehlerhafte Löschung im Grundbuch kann diesen dinglichen Sicherungsmechanismus nicht aufheben, da die Vormerkungswirkung unabhängig von der registerrechtlichen Bestandskraft fortwirkt.
 

Praxishinweis | BGH V ZR 48/23

Die Entscheidung klärt das Rangverhältnis zwischen dinglichem Vorkaufsrecht eines Familien-angehörigen und Mietervorkaufsrecht. Die Einräumung eines dinglichen Vorkaufsrechts greift somit zugunsten von Familienangehörigen – unabhängig vom Zeitpunkt der Bestellung – auch bei bestehendem Mietervorkaufsrecht. Für die Praxis folgt daraus, dass in solchen Konstellationen ausdrücklich auf die Reichweite des § 577 Abs. 1 S. 2 BGB hingewiesen und die rechtli-che Bindungswirkung verdeutlicht werden sollte.

Zugleich wird bestätigt, dass eine zu Unrecht erfolgte Löschung eines Vorkaufsrechts die Vor-merkungswirkung des § 1098 Abs. 2 BGB nicht beseitigt. Alle Beteiligten müssen beachten, dass die Wirksamkeit nachträglicher Verfügungen von der relativen Unwirksamkeit gegenüber dem Vorkaufsberechtigten betroffen sein kann. Dies erhöht die Anforderungen an die sorgfältige Prüfung bestehender Rechte im Grundbuchverfahren.