12.05.2025
Notizen zur Rechtsprechung
Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:
BGH
29.10.2024
II ZR 222/21
ZIP 2025, 146
Zur Auslegung einer Fortführungsklausel in GbR-Gesellschaftsvertrag [ PDF ]
Der Kläger, ein Rechtsanwalt verlang im Rahmen einer Feststellungsklage die beklagte Bank zur Übertragung der von ihr verwalteten Sozietätskonten an ihn als Rechtsnachfolger zu verpflichten.
Der Kläger gründete gemeinsam mit einem als Streithelfer beteiligten Rechtsanwalt eine Rechtsanwaltssozietät in der Rechtsform der GbR, wobei der Streithelfer einseitig mit Wirkung zum 31.12.2017 kündigte. Die beklagte Bank fungierte als Kontoführerin der GbR.
Zur Führung der GbR wurden bei der Bank Oder-Konten eingerichtet, denen jeder Gesellschafter eine individuelle Zeichen- und Vertretungsbefugnis zugeordnet war; im Rahmen eines einseitigen Widerrufsrechts musste im Fall der Ausübung eine gemeinsame Vertretung erfolgen.
Nachdem der Streithelfer im September 2016 seine Kündigung aussprach und in Dezember 2017, kurz vor Ablauf der Kündigungsfrist, die alleinige Verfügungsberechtigung des Klägers widerrief, stellte die Bank die Kontoverfügung von Einzel- auf Gemeinschaftsverfügung um, was der Kläger im Wesentlichen beanstandete.
Der Sozietätsvertrag enthält für den Fall des Ausscheidens eines Gesellschafters folgende Regelung:
"§ 18 Fortführung der Sozietät; Abfindung
(1) Im Falle des Ausscheidens eines Gesellschafters wird die Sozietät durch die anderen Gesellschafter fortgeführt, soweit mindestens zwei Gesellschafter verbleiben. Auch im Falle der Kündigung der Sozietät durch einen Gesellschafter können die übrigen Gesellschafter beschließen, die Sozietät fortzuführen. Der Anteil des ausscheidenden Gesellschafters wächst den übrigen Gesellschaftern entsprechend ihrer Beteiligung zu.
(2) [...]"
Das LG wies die Klage ab. Das KG gab ihr teilweise statt.
Der BGH hob das Urteil des KG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurück. Das KG habe zu Unrecht dem Antrag auf Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zur Umschreibung der bei ihr geführten Gesellschaftskonten auf den Kläger als Gesamtrechtsnachfolger mit der Begründung stattgegeben, das Gesellschaftsvermögen sei auf den Kläger als letztem verbleibenden Gesellschafter übergegangen. Die Auslegung des KG, dass der nach Sozietätsvertrag angeordnete Übergang des Anteils des ausscheidenden Gesellschafters auf die übrigen Gesellschafter keine Einschränkung dahingehend enthalte, dass dies nicht gelte, wenn nur einer "übrig" bleibe, verstoße gegen anerkannte Auslegungsregeln.
Zuzustimmen sei dem KG nur insoweit, als im Falle des Ausscheidens des vorletzten Gesellschafters einer GbR die Aktiva und Passiva im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf den letztverbleibenden Gesellschafter ohne weiteren Übertragungsakt übergingen; jedenfalls dann, wenn der Gesellschaftsvertrag vorsehe, dass die Gesellschaft von den verbleibenden Gesellschaftern bei Ausscheiden eines Gesellschafters fortgesetzt werde.
Ansonsten sei der Sozietätsvertrag nach den anerkannten Auslegungsgrundsätzen auszulegen. Dabei bilde der von den Parteien gewählte Wortlaut der Vereinbarung – hier der Sozietätsvereinbarung - und der diesem zu entnehmende objektiv erklärte Parteiwille den Ausgangspunkt einer nach §§ 133, 157 BGB vorzunehmenden Auslegung. Aber selbst ein vermeintlich klarer und eindeutiger Wortlaut der Erklärung bilde keine Grenze für die Auslegung anhand der Gesamtumstände. Die Auslegung des Sozietätsvertrags sei aber grundsätzlich Sache des Tatrichters und revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt habe oder ob die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruhe, etwa weil wesentlicher Auslegungsstoff unter Verstoß gegen Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen worden sei.
In vorliegenden Fall habe die streitgegenständliche Fortführungsklausel geregelt, dass für die Fortführung mindestens zwei Gesellschafter verbleiben müssten. Das Verfahren sei deshalb zurückzuverweisen, weil noch geklärt werden müsse, was die Gesellschafter tatsächlich gewollt und vereinbart hätten.
Der BGH weist vorsorglich darauf hin, dass seiner Rechtsprechung keine allgemeine Auslegungsregel dergestalt zu entnehmen sei, dass, wenn allgemein von „Gesellschaftern“ die Rede sei, dies im Zweifel auch nur „einen Gesellschafter“ meinen könne. Ob dies so sei, sei eine Frage des Einzelfalls und wiederum Sache des Tatrichters.
Die Entscheidung des BGH unterstreicht noch einmal deutlich die Methodik bei der Auslegung von Fortsetzungsklauseln in Gesellschaftsverträgen. Sie wird auch nach Inkrafttreten des MoPeG noch für einige Jahre von Bedeutung sein, solange die Regelungen vor dem MoPeG noch anwendbar sind. Darüber hinaus gelten die vom BGH aufgestellten Auslegungsmaßstäbe auch für die nicht rechtsfähige GbR, bei der eine Fortsetzungsklausel weiterhin vertraglich vereinbart werden kann und in der Regel auch sollte.
Für rechtsfähige GbRs sind Fortführungsklauseln nun nicht mehr notwendig. In § 723 Abs. 1 BGB nF sind nun die Gründe normiert, die zum Ausscheiden des Gesellschafters aus der Gesellschaft führen. Sofern der Gesellschaftsvertrag nicht die Auflösung der Gesellschaft vorsieht (Grundsatz der Verbandskontinuität). Durch diese Neuregelung in § 723 Abs. 1 Nr. 5 BGB i.V.m. § 727 BGB wurde der bisherige Grundsatz „Auflösung der Gesellschaft vor Ausscheiden des Gesellschafters“ ins Gegenteil verkehrt. Dies hat zur Folge, dass im Gesellschaftsvertrag keine Fortsetzungsklausel mehr enthalten sein muss.
Das BGH-Urteil unterstreicht aber insbesondere die Bedeutung einer präzisen, vorsorgenden und auf die Bedürfnisse der Gesellschafter zugeschnittenen Vertragsgestaltung. Eine solche kautelarjuristische Beratung hilft langfristig, Streitigkeiten im Gesellschaftsverhältnis und bei Beendigung der Zusammenarbeit zu vermeiden. Unklare Regelungen über Voraussetzungen oder Rechtsfolgen können hingegen bei der Auslegung zu unerwünschten Konsequenzen führen. Neben einem sorgfältig formulierten Gesellschaftsvertrag schützt auch die Dokumentation des Parteiwillens bei der Gründung vor späteren Streitigkeiten.
Spätestens diese Entscheidung sollte daher zum Anlass genommen werden, vor Inkrafttreten des MoPeG abgeschlossene GbR-Verträge zu überprüfen und den aktuellen praktischen und rechtlichen Anforderungen anzupassen. Es besteht aufgrund des MoPeG dringender kautelarjuristischer Handlungsbedarf.