03.12.2025
Notizen zur Rechtsprechung
Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:
OLG München
23.09.2024
33 Wx 325/23e
MittBayNot 2025, 472
Der Erblasser, ein erfolgreicher Gastronom und Hotelier, verstarb 2022 in dritter Ehe. Aus seiner ersten Ehe stammen zwei Söhne – der Beteiligte zu 1 und ein inzwischen verstorbener Sohn –, aus der zweiten Ehe der Beteiligte zu 2 (Beschwerdeführer).
Am 19. Oktober 2016 setzte der Erblasser in einem handschriftlichen mehrseitigen Testament beide Söhne zu gleichen Teilen als Erben ein. Zugleich verfügte er auf der letzten Seite, dass er den Beteiligten zu 1 enterbe, falls er seine damalige Lebensgefährtin C L heirate. Der Beteiligte zu 1 tat dies im Jahr 2018.
Nach dem Tod des Erblassers beantragte der Beteiligte zu 2 die Erteilung eines Alleinerbscheins, da die Bedingung seiner Ansicht nach eingetreten und der Beteiligte zu 1 damit enterbt sei. Der Beteiligte zu 1 wandte dagegen ein, die Klausel sei sittenwidrig. Das Nachlassgericht folgte dieser Auffassung, wies den Antrag zurück und legte die Beschwerde des Beteiligten zu 2 (Beschwerdeführer) dem OLG München zur Entscheidung vor.
Die zulässige Beschwerde hatte auch in der Sache Erfolg. Im Ergebnis konnte aus Sicht des Senats bereits dahinstehen, ob die verfahrensgegenständliche Klausel geeignet sei, die durch Art. 6 GG gewährleistete Eheschließungsfreiheit des Beteiligten zu 1 zumindest mittelbar zu beeinflussen, da die Klausel im konkreten Fall unter Berücksichtigung der durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Testierfreiheit des Erblassers nicht sittenwidrig i.S.d. § 138 Abs. 1 BGB und damit nichtig sei. Nach eingehender Auseinandersetzung mit älterer Rechtsprechung und Literatur stellte der Senat in diesem Zusammenhang zwar zunächst klar, dass eine Bedingung grundsätzlich dann sittenwidrig sei, wenn sie den Bedachten unzumutbar unter Druck setze oder seine freie Entscheidung (Entschließungsfreiheit) in persönlichen Angelegenheiten in unzulässiger Weise beeinflusse. Das Gericht entschied aber weiter, dass hierbei zwischen solchen Fällen, in denen der Eintritt oder der Ausfall der Bedingung vor dem Erbfall bereits feststehe und solchen, in denen an ein nach dem Erbfall liegendes Verhalten angeknüpft werde, unterschieden werden müsse. Nur in den letztgenannten Fällen drohe dem Bedachten ein echter Entscheidungskonflikt, denn erst ab dem Erbfall stehe er vor der Wahl, sich entweder dem Willen des Erblassers zu beugen und die Erbschaft (bzw. die Zuwendung) zu erhalten oder aber diesen Willen zu ignorieren und die Erbschaft (Zuwendung) zu verlieren. Nur in dieser Konstellation könne er zudem eine verlässliche wirtschaftliche Bewertung vornehmen, denn erst jetzt lasse sich der Wert der Zuwendung bzw. des Nachlasses bestimmen. Zwar möge sich auch in den Fällen, in denen die Bedingung an ein Verhalten vor dem Erbfall anknüpft, die angedrohte Enterbung für den (mutmaßlich) Bedachten unangenehm anfühlen, eine rechtlich relevante Beeinträchtigung könne hierin aber bereits deshalb nicht gesehen werden, weil der Bedachte grundsätzlich wisse, dass der Erhalt der Zuwendung – über deren Höhe er nur spekulieren kann – auch losgelöst von einem etwaigen Wohlverhalten ungewiss sei, da unklar sei, ob der Bedachte den Erbfalle überhaupt erlebe, ob der Erblasser tatsächlich an der testamentarischen Zuwendung festhalte und diese nicht wieder widerrufe (die testamentarische Erbeinsetzung begründe keinerlei Rechte in Bezug auf den Nachlass) und diese tatsächlich wirtschaftlich werthaltig sei.
Schließlich stellte der Senat fest, dass selbst bei Annahme einer sittenwidrigen und damit nichtigen Bedingung der Beteiligte zu 1 nicht automatisch Miterbe würde. Die Frage, ob eine sittenwidrige und damit nichtige Bedingung die Verfügung (hier die Enterbung) insgesamt unwirksam mache, sei im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu ermitteln. Dabei sei entgegen einer Ansicht § 2085 BGB bereits deshalb nicht anwendbar, weil die Verfügung des Erblassers (Zuwendung und Bedingung) eine einheitliche sei und damit eine untrennbare Einheit darstelle. Der Erblasser wolle den Bedachten eben nur dann bedenken, sofern er ein bestimmtes Verhalten vornehme oder unterlasse. Letztlich stellte das Gericht aber darauf ab, zu wessen Nachteil es gereiche, wenn der Wille des Erblassers in Bezug auf eine Aufrechterhaltung der betreffenden Verfügung auch ohne die unwirksame Bedingung unaufgeklärt bliebe. Bei Anwendbarkeit des § 2085 BGB und einer daraus folgenden Teilnichtigkeit der Verfügung trage derjenige, der sich auf einen anderen Willen des Erblassers berufe insoweit die Feststellungslast. Ginge man von einer generellen Unwirksamkeit der Verfügung, das heißt Verfügung und Bedingung, aus, trüge i.R.d. ergänzenden Testamentsauslegung derjenige die Feststellungslast, der sich auf die Fortgeltung der Verfügung berufe. Lasse sich aber kein Wille des Erblassers in die eine oder andere Richtung feststellen, sei für die Anwendung von § 2085 BGB kein Raum, denn die Vorschrift beruhe gerade auf der Annahme, dass der Wille des Erblassers im Zweifel eher dahin gehe, die übrigen, von der Unwirksamkeit nicht betroffenen Verfügungen aufrechtzuerhalten, denn durch die Testierung komme sein grundsätzlicher Wille zum Ausdruck, die gesetzliche Erbfolge abzuändern. Diese Schlussfolgerung könne aber in Fällen, in denen der Erblasser die Erbeinsetzung unter einer Bedingung vornehme, gerade nicht gezogen werden, denn die gesetzliche Erbfolge solle eben nur für den Fall abgeändert werden, dass der Bedachte die Handlung vornimmt oder unterlässt. Eine ergänzende Testamentsauslegung ergebe vorliegend deshalb insbesondere anhand der Stellung der bedingten Erbeinsetzung an letzter und damit hervorgehobener Stelle des Testaments, – womit der Erblasser sie auch der am Anfang vorgenommen Erbeinsetzung entgegensetze – dass der Erblasser die Erbeinsetzung nur unter der Bedingung der Nichtheirat der genannten Person gewollt habe. Da diese Bedingung eingetreten sei, könne der Beteiligte zu 1 auch ohne wirksame Bedingung nicht als Erbe angesehen werden.
Das OLG München hat mit seiner Entscheidung eine neue Richtung eingeschlagen: Bedingungen in Einzeltestamenten sollen regelmäßig zulässig sein, wenn sie sich auf Ereignisse beziehen, die vor dem Tod des Erblassers eintreten. Damit schafft das Gericht eine eigenständige Fallgruppe, die auch über den Einzelfall hinaus Bedeutung hat. Die Begründung überzeugt, da sie auf den allgemeinen Umstand abstellt, dass der potenzielle Erbe zu Lebzeiten des Erblassers keine gesicherte Rechtsposition (bspw. in Form eines Anwartschaftsrechts) besitzt. Damit wird man zwar auch in Zukunft mit Blick auf den verfolgten Zweck eine Sittenwidrigkeit begründen können – allerdings wird die „Zweck-Mittel-Relation“ allein hierfür nicht mehr ausreichend. Trotz der genannten Einschränkung sorgt die Entscheidung für mehr Rechtssicherheit. Künftig können Testierende und ihre Berater solche Klauseln, die gewünschtes Verhalten zu Lebzeiten des Erblassers „fördern“ sollen, mit größerer Sicherheit verwenden, solange sie auf einen Zeitpunkt bis zum Tod des Erblassers abstellen, (noch) keine rechtliche Bindungswirkung entfalten und keinen sittenwidrigen Zweck verfolgen.