OLG Karlsruhe 14 U 144/23
Abgrenzung des Nießbrauchsvermächtnisses von der Vor- und Nacherbfolge

07.03.2025

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Karlsruhe
01.10.2024
14 U 144/23
ZErb 2025, 29

Leitsatz | OLG Karlsruhe 14 U 144/23

  1. Kann im Rahmen einer Verfügung von Todes wegen der Wille des Erblassers in Hinblick auf die etwaige Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft (hier: in Abgrenzung zu einem Nießbrauchsvermächtnis) nicht zweifelsfrei festgestellt werden und greifen die Auslegungsregeln der §§ 2101 ff. BGB nicht ein, so geht dies zulasten dessen, der für sich die Rechte eines Nacherben in Anspruch nimmt.
  2. Bleibt bei der Auslegung einer Verfügung von Todes wegen zweifelhaft, ob der wirkliche Wille des Erblassers auf die Anordnung einer Vor- und Nacherbfolge oder eines Nießbrauchsvermächtnisses gerichtet war, so spricht bei der Ermittlung seines mutmaßlichen Willens der Umstand für die Anordnung eines Nießbrauchsvermächtnisses, dass hierdurch der wiederholte Anfall von Erbschaftssteuer vermieden wird (im Anschluss an Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 1.4.1960 –BReg 1 Z 81/59, nicht amtlicher Leitsatz, juris).
  3. Konnte die zum Zeitpunkt der Testamtentserstellung verwitwete und kinderlose Erblasserin ihren – unterstellten – Willen, ihr Vermögen dauerhaft in der leiblichen Familie zu halten, sowohl durch Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft als auch Zuwendung eines Nießbrauchsvermächtnisses an ihren neuen Lebenspartner erreichen, weil zu diesem Zeitpunkt die gesetzliche Erbfolge eingetreten wäre, so spricht die Jahre später erfolgte Eheschließung mit diesem Lebenspartner nicht ohne Weiteres für die Annahme einer Vor- und Nacherbschaft im Wege der ergänzenden Testamentsauslegung. Ein hierauf – zum maßgeblichen Zeitpunkt der Testamentserrichtung – gerichteter hypothetischer Wille ist für den Fall nicht zu ermitteln, dass die Erblasserin zunächst nicht mit einer Eheschließung rechnete und ihr später – zum Zeitpunkt der Eheschließung – bekannt war, dass damit ein gesetzliches Ehegattenerbrecht verbunden wäre. (amtl. Leitsätze)

Sachverhalt | OLG Karlsruhe 14 U 144/23

Im Urteil befasst sich das Oberlandesgericht mit der Auslegung eines am 29.3.2011 verfassten, handschriftlichen Testaments, mit folgendem Wortlaut: „Testament! Ich [Erblasserin] vermache im Falle meines Todes meinem Lebensgefährten [Beklagter] solange er lebt Nutzungsrecht über mein Vermögen.“ Der Beklagte und die Erblasserin lebten 27 Jahre in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, bis sie 2019 heirateten. Nachdem die Erblasserin 2020 verstarb, beantragte der Beklagte zunächst den Erlass eines Erbscheins, der ihn als Alleinerbe ausweisen sollte. Nach einem Hinweis des Nachlassgerichts, wonach die Verfügung der Erblasserin vom 29.03.2011 als Nießbrauchsvermächtnis zugunsten des Beklagten auszulegen sei, änderte der Beklagte seinen Erbscheinsantrag dahingehend, dass er selbst als Erbe mit einer Quote von ¾ und die Klägerin sowie ihre beiden Geschwister mit einer Quote von je 1/12 als Erben aufgrund gesetzlicher Erbfolge auszuweisen seien. Daraufhin stellte das Nachlassgericht die dem geänderten Antrag des Beklagten entsprechenden Tatsachen fest. 

Die Klägerin, welche Nichte der kinderlos verstorbenen Erblasserin ist, begehrte die Feststellung einer Vor- und Nacherbschaft. Das Landgericht hat die Feststellungsklage, der Beklagte sei Allein- und Vorerbe der Erblasserin, wobei Nacherbfolge zugunsten der gesetzlichen Erben der Erblasserin angeordnet worden sei, als unbegründet abgewiesen. Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie weiterhin die Feststellung begehrt wird, dass eine Vor- und Nacherbschaft angeordnet ist.
 

Entscheidung | OLG Karlsruhe 14 U 144/23

Nach Auffassung des OLG Karlsruhe ist die zulässige Berufung der Klägerin nicht begründet. Nach der maßgeblichen gesetzlichen Erbfolge ist gemäß §§ 1925, 1931 Abs. 1, 1371 BGB der Beklagte Erbe zu 3/4, die Klägerin – neben weiteren am Rechtsstreit nicht beteiligten Personen – Erbin zu 1/12 geworden. Die Klägerin konnte nicht schlüssig beweisen, dass in dem Testament vom 29.3.2011 eine Vor- und Nacherbschaft angeordnet wurde.

Mangels gesetzlicher Auslegungs- oder Vorrangsregelung hinsichtlich der Abgrenzung zwischen Nießbrauchvermächtnis und Vorerbschaft, ist das Testament gem. § 133 BGB auszulegen, um den wirklichen Willen des Erblassers zu erforschen. Dabei ist der Wortlaut des Testaments zwar erster Ansatzpunkt für die Auslegung, bildet jedoch nicht die Grenze der Auslegung. Entscheidend ist nicht der Sinn der Worte im allgemeinen Sprachgebrauch, sondern die Bedeutung, die der Erblasser, als möglicher juristischer Laie, ihnen zumisst. Zeitlich maßgeblich ist der Wille des Erblassers zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung. 

Von dem Nießbrauch ist die Stellung als Vorerbe grundsätzlich danach abzugrenzen, inwieweit der Bedachte sogleich dinglicher Vermögensinhaber und „Herr“ des Nachlasses mit einer Verfügungsbefugnis sein soll, weil dem Nießbraucher eine solche kraft Gesetzes nicht zukommt. Entscheidend ist zudem, ob der Erblasser einen zweimaligen Anfall der Erbschaft gewollt hat. Zu beachten ist, dass für die Feststellung der Tatsachen, welche der Auslegung des Testaments zugrunde liegen, die allgemeine Beweisregeln gelten. Nach der Rosenberg´schen Formel, trägt im Zivilprozess derjenige die Beweislast, welcher aus der Tatsachenbehauptung bestimmte Rechte ableiten will. Die beweisbelastete Klägerin konnte jedoch nicht nachweisen, dass die Erblasserin die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft beabsichtigte, indem der gewählte Wortlaut beide Auslegungen, also sowohl die Anordnung eines Nießbrauchvermächtnisses, als auch die Einsetzung des Beklagten als Vorerben, zulässt. 

Bei der Erblasserin, welche juristische Laiin ist, kann nicht vorausgesetzt werden, dass bei der Verwendung des juristischen Terms „vermache“, ausschließlich die Bedeutung des Vermächtnisses gemeint war. Die Formulierung "solange er lebt Nutzungsrecht über mein Vermögen" spricht gemäß juristischer Fachterminologie zwar für ein Nießbrauchsvermächtnis, indem das Recht zur Nutzungsziehung nach der Legaldefinition in § 1030 BGB das Wesen eines Nießbrauchs ist. Andererseits könne ein Laie mit dieser Formulierung keine klare Abgrenzung zur Einsetzung eines nicht befreiten Vorerben beabsichtigt haben, sofern keine weiteren Anhaltspunkte dafürsprächen. Der nicht befreite Vorerbe ist in seiner Verfügungsmacht stark eingeschränkt und ähnelt in seiner Stellung einem Nießbrauchsberechtigten. Das Fehlen einer Nacherbenbenennung im Testament steht einer Vor- und Nacherbschaftsregelung nicht entgegen, da in einem solchen Fall die gesetzlichen Erben der Erblasserin die Nacherben wären, § 2104 S. 1 BGB. 

Aus den – sicher feststellbaren – Umständen außerhalb des Testaments kann ebenfalls kein entsprechender Wille der Erblasserin geschlossen werden, den Beklagten als Vorerben einzusetzen. Weder der Wunsch der Erblasserin den Beklagten zu Lebzeiten versorgen zu wollen, was sowohl mit einem Nießbrauchvermächtnis, als auch mit einer Vorerbschaft verwirklicht werden kann, noch der Wille der Erblasserin dem Beklagten eine stärkere Rechtsposition als ein Nießbrauchvermächtnis zukommen zu lassen, konnten festgestellt werden. 

Jedoch ist für die Testamentsauslegung zu beachten, dass die Erblasserin zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung wohl den mutmaßlichen Willen hatte, die steuerlich günstigere Gestaltung wählen zu wollen. Durch die Anordnung eines Nießbrauchvermächtnisses wird der wiederholte Anfall der Erbschaftssteuer vermieden und so die Steuerlast reduziert. 

Für eine ergänzende Testamentsauslegung könnte der Umstand hinzukommen, dass die Erblasserin bei der Errichtung des Testaments am 29.3.2011 die Heirat 2019 nicht bedacht hat und sonst eine Vor- und Nacherbschaft angeordnet hätte. Gegen die Annahme eines derartigen Willens spricht, dass die Erblasserin wohl gewusst hat, dass infolge der Eheschließung auch der Beklagte als gesetzlicher Erbe berufen sein würde. Zudem stellt die Neuabfassung der Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht im Jahr 2019, in der die Erblasserin die Tochter des Beklagten als Bezugsperson bzw. als Bevollmächtigte einsetzte, ein Indiz dafür dar, dass die Erblasserin sich auch der Familie des Beklagten zugewandt fühlte. Dies steht dem, von der Klägerin behaupteten, mutmaßlichen Willen der Erblasserin entgegen, ausschließlich den Mitgliedern ihrer leiblichen Familie vererben zu wollen, weil ihr diese näher stand, als der Familie des Beklagten. 

Auch folgt die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft nicht daraus, dass das Nießbrauchvermächtnis des Beklagten mit der Heirat und dem Ehegattenerbrecht seinen Sinn verlöre. Dem Beklagten wird unter der Annahme, er sei gesetzlicher Miterbe und Vermächtnisnehmer in Bezug auf den Nießbrauch am Nachlass eine Auseinandersetzung in Hinblick auf die ihm am gesamten Nachlass zustehende Nutzungsziehung erspart. Eine Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft bedarf es hier nicht, um dem Beklagten die Nutzung vollumfänglich zu ermöglichen. 

Praxishinweis | OLG Karlsruhe 14 U 144/23

Zwar ist die wirtschaftliche Stellung des Nießbrauchers mit der eines Vorerben letztlich ähnlich, doch bestehen hinsichtlich der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse erhebliche Unterschiede. Gerade diese rechtliche Stellung ist entscheidendes Kriterium, um die Vorerbschaft von dem Nießbrauchvermächtnis abzugrenzen. Besondere Abgrenzungsschwierigkeit ergeben sich bei unpräzisen letztwilligen Verfügungen, wenn es sich um eine nichtbefreite Vorerbschaft handeln könnte, da hier auch ein Nießbrauchvermächtnis gewollt sein kann.

Zudem ist umstritten, welche Rolle der hypothetische Wille zur Reduzierung der Steuerlast bei der Testamentsauslegung spielt. Im Rahmen der Vor- und Nacherbschaft kommt es, bei Überschreiten der Freibeträge, zum doppelten Anfall der Erbschaftssteuer. Zwar wird die Vermeidung von Erbschaftssteuer oftmals in der Gestaltung eine Rolle spielen, jedoch ist zweifelhaft, ob dies, wie der amtliche Leitsatz indiziert, als ungeschriebene Auslegungsregel zugunsten des Nießbrauchvermächtnisses verallgemeinert werden kann. Letztlich wird gefordert, dass der Erblasserwille unabhängig von verallgemeinerten Vermutungsregeln jedes Mal individuell erforscht und ermittelt werden muss.