KG 2 U 106/23
Anforderungen an den Wahlvorschlag für Aufsichtsratsmitglieder

29.12.2025

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

KG
24.09.2025
2 U 106/23
NZG 2025, 1538

Leitsatz | KG 2 U 106/23

  1. Zur Zulässigkeit eines allgemeinen Ermächtigungsbeschlusses („Konzeptbeschluss“) zur Veräußerung von Beteiligungen in erheblichem Umfang – hier an Objektgesellschaften im Wege des Share-Deals – oder von wesentlichen Vermögenswerten – hier von Grundstücken im Wege des Asset-Deals – mit einem Gesamtanteil von bis zu rund 95 Prozent des Immobilienbestands einer Aktiengesellschaft.
  2. Bei dem Wahlvorschlag für ein Mitglied des Aufsichtsrats ist gem. § 124 Abs. 3 S. 4 AktG der tatsächlich ausgeübte Beruf anzugeben. Die bloße Angabe „Betriebswirt“ genügt den gesetzlichen Anforderungen nicht und führt zur Anfechtbarkeit des Beschlusses.

Sachverhalt | KG 2 U 106/23

Gegenstand des Verfahrens war die Anfechtung zweier Hauptversammlungsbeschlüsse der Beklagten vom 31. August 2022. Unter TOP 5 stand die Wahl eines neuen Aufsichtsratsmitglieds zur Entscheidung. Der Einberufung war zu entnehmen, dass anstelle des bisher gerichtlich nach § 104 AktG bestellten Aufsichtsratsmitglieds der Betriebswirt T Z für die Amtsperiode bis zur Hauptversammlung über die Entlastung für das Geschäftsjahr 2026 vorgeschlagen wurde. Die Einladung listete seine Mandate in mehreren Organen (u. a. Verwaltungsrat A G SA, Aufsichtsrat C RE AG, Kuratorium der Familienstiftung B) auf und bestätigte, dass keine weiteren Gremienmitgliedschaften i. S. d. § 125 Abs. 1 S. 5 AktG bestehen. Ansonsten war nur der Wohnort angegeben. Ferner wurde dargelegt, dass der Aufsichtsrat die zeitliche Verfügbarkeit des Kandidaten überprüft habe.

Unter TOP 6 sollte die Hauptversammlung über die Ermächtigung des Vorstands zum unmittelbaren oder mittelbaren Verkauf von bis zu 22.301 von den insgesamt 23.475 Wohn- und Gewerbeeinheiten der Gesellschaft und ihrer nach § 15 AktG verbundenen Objektgesellschaften beschließen. Die Einladung erläuterte, dass diese potenzielle Transaktion über Share- oder Asset-Deals erfolgen könne, der Schuldenreduzierung dienen solle und nicht auf eine Liquidation der Gesellschaft gerichtet sei. Der hierzu veröffentlichte Vorstandsbericht wurde Bestandteil der Beschlussvorlage. Beide Beschlussanträge wurden in der Hauptversammlung angenommen.

Mehrere Aktionäre (Kl. 1–3) fechten sowohl TOP 5 als auch TOP 6 an; weitere Kläger und Nebenintervenienten beschränkten ihre Klagen auf TOP 6. Nachdem T Z am 9. November 2022 zum 10. November 2022 sein Amt niedergelegt und das AG Berlin-Charlottenburg ihn unmittelbar darauf erneut nach § 104 AktG bestellt hatte, veräußerte die Beklagte vor der nächsten Hauptversammlung ein Teilportfolio (334 Einheiten, 64 Stellplätze) für 18 Mio. EUR. Daraufhin erklärten die Kl. 1–3 und die Beklagte den Rechtsstreit bzgl. TOP 5 vor dem LG Berlin übereinstimmend für erledigt.

Das LG erklärte sodann mit Urteil vom 20. Juli 2023 den Beschluss zu TOP 6 für nichtig und legte die Kosten vollständig der Beklagten auf. Diese legte fristgerecht Berufung ein und beantragte Klageabweisung sowie Kostentragung durch die Kläger. Im Berufungsverfahren erklärten sämtliche Kläger und Nebenintervenienten auch hinsichtlich TOP 6 die Hauptsache für erledigt, nachdem der Senat im aktienrechtlichen Freigabeverfahren 2 AktG 1/23 zugunsten der Beklagten und damit zugunsten des Squeeze-Outs entschieden hatte. Die Beklagte widersprach den Erledigterklärungen nicht (§ 91a Abs. 1 S. 2 ZPO).

Entscheidung | KG 2 U 106/23

Der 2. Senat des KG führte aus, dass die Kostenentscheidung sich auf §§ 91a I, 101 II, 100 I ZPO i. V. m. der Baumbach’schen Formel stützt. Hinsichtlich des Beschlusses zu TOP 6 haben Kläger und Nebenintervenienten den Rechtsstreit im Berufungsverfahren übereinstimmend für erledigt erklärt. Die Beklagte hat nicht widersprochen. Daher waren die Kosten beider Instanzen insoweit gegeneinander aufzuheben.

Die Berufung der Beklagten war zulässig und formgerecht nach §§ 517, 519, 520 ZPO eingelegt und begründet; der verbleibende Beschwerdewert überschritt die Schwelle des § 511 II Nr. 1 ZPO. Damit konnten die Parteien die Erledigung auch im Berufungsprozess wirksam erklären.

Der Senat stellt klar, dass es nach § 91a I ZPO maßgeblich sei, wie der Rechtsstreit ohne Erledigung voraussichtlich ausgegangen wäre. Eine summarische Prüfung genüge. Da die Sache zu TOP 6 zahlreiche komplexe und höchstrichterlich ungeklärte Rechtsfragen aufwerfe – insbesondere zur Reichweite ungeschriebener Hauptversammlungskompetenzen – durfte der Senat von einer vertieften materiellrechtlichen Entscheidung absehen und die Kosten gegeneinander aufheben.

Ein Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses tritt nicht ein. Trotz späterer Hauptversammlung entfaltet der zu TOP 6 gefasste Veräußerungsbeschluss weiterhin Wirkung, weil der Vorstand im Rahmen der erteilten Ermächtigung ein Immobilienportfolio veräußert hat. Der Beschluss war damit nicht gegenstandslos. Zur Begründetheit der Anfechtung gegen TOP 6 blieben erhebliche Unsicherheiten, wozu der Senat ausführt:

§ 179a Abs. 1 AktG griffe nicht ein, da selbst eine Veräußerung von bis zu 95 % des Bestands den Unternehmenszweck nicht entleere (BGHZ 83, 122). Selbst bei der Veräußerung von bis zu 95 % des Immobilienbestands – wie durch den Beschluss ermöglicht – würde die Bekl. weiterhin über einen Bestand an Wohn- und Gewerbeimmobilien verfügen und mit diesen ihren satzungsmäßigen Zweck – wenngleich operativ in deutlich reduziertem Rahmen – weiterverfolgen können.

Offen sei, ob ein ungeschriebenes Zustimmungserfordernis der Hauptversammlung bei großvolumigen Share- oder Asset-Deals bestehe (BGHZ 159, 30; divergierende Rspr. und Lit.).

Unerörtert blieben schwierige Abgrenzungsfragen zur qualitativen und quantitativen Wesentlichkeit sowie Folgeprobleme bei einem etwaigen Vorlagebeschluss nach § 119 Abs. 2 AktG (Informationsumfang, Bestimmtheit des Beschlussvorschlags, Mehrheitserfordernisse).

Diese offenen Punkte rechtfertigten die Kostenaufhebung.

Die Kosten der Nebenintervention seien ebenfalls nach § 91a Abs. 1 ZPO zu beurteilen. Angesichts der prozessual notwendigen Streitgenossenschaft der Kläger nach § 62 Abs. 1 Alt. 1 ZPO und der Wirkung der Nichtigkeitsfeststellung nach §§ 248 Abs. 1 S. 1, 249 Abs. 1 AktG wäre eine einheitliche Kostenfolge nicht zwingend. Auch hier, so der Senat, sei eine Aufhebung angezeigt.

Die Berufung habe zugleich die landgerichtliche Kostenentscheidung nach § 91a ZPO angegriffen. Da sich die Berufung gegen das Urteil insgesamt richtete, sei nach der Rechtsprechung (OLG Brandenburg 25.7.2024 –12 U 160/23, BeckRS 2024, 21464 Rn. 28; OLG Karlsruhe NJW 2022, 63, 632 Rn. 26; BGH NJW 2013, 2361, 2363 Rn. 20) der gesamte Kostenausspruch revisibel.

Zu TOP 5 (Wahl des Aufsichtsratsmitglieds) sei die Anfechtungsklage jedoch voraussichtlich erfolgreich. Zu Recht habe das LG die Kosten insoweit der Beklagten auferlegt. Der Wahlvorschlag habe gegen § 124 Abs. 3 S. 4 AktG verstoßen, weil die erforderlichen Angaben zur tatsächlichen beruflichen Tätigkeit fehlten. Die pauschale Bezeichnung „Betriebswirt“ ermögliche keine Bewertung der Belastungssituation oder möglicher Interessenkonflikte. Angaben zu sonstigen Mandaten ersetzten die Darstellung der beruflichen Tätigkeit nicht. Der Gesetzeszweck – Transparenz zur Beurteilung der Eignung – erfordere konkrete Angaben zum ausgeübten Beruf (BT-Drs. 13/9712; wohl h.M. in Rspr. und Lit.). Der Verstoß sei nicht geringfügig. Aktionäre dürften nicht auf Nachfragen in der Versammlung verwiesen werden.

Praxishinweis | KG 2 U 106/23

Mit seiner Entscheidung bestätigt das KG mit großer Klarheit, dass die bloße Angabe eines allgemeinen Berufs („Betriebswirt“) unzureichend ist und zur Anfechtbarkeit des Wahlbeschlusses führt.

Für die Praxis bedeutet dies, dass die tatsächlich ausgeübte berufliche Tätigkeit konkret angegeben werden muss – inklusive Unternehmen/Arbeitgeber bzw. beruflicher Funktion. Allgemeine Berufsbezeichnungen oder Studienabschlüsse reichen nicht aus. Auch umfangreiche Angaben zu sonstigen Mandaten ersetzen die Pflichtangabe nicht. Eine Klärung in der HV („Nachfragen“) genügt nicht – die Information muss vorab in der Einberufung enthalten sein.

Das KG führt aus, dass der Fehler auch nicht geringfügig ist. Bereits eine unklare Belastungssituationen oder nicht erkennbaren Interessenkonflikte begründen die Anfechtbarkeit.

Das KG macht weiterhin deutlich, dass die Rechtsprechung zur Frage, wann die HV zustimmen muss, weiterhin uneinheitlich und ungeklärt ist. Dies betrifft insbesondere: Share-Deals betreffend wesentliche Beteiligungen, Asset-Deals über große Teile des Anlagevermögens (hier: bis zu 95 % des Immobilienbestands), Abgrenzung quantitativ/qualitativ wesentlicher Geschäfte, die Schwelle zur grundlegend strukturellen Veränderung (BGHZ 83, 122; BGHZ 159, 30).

Das KG vermeidet hier eine materiell-rechtliche Entscheidung. Als praktische Konsequenzen sollte daher bei Transaktionen mit strukturellem oder existenziellem Gewicht eine HV-Zustimmung jedenfalls vorsorglich eingeholt werden.

Das Urteil zeigt darüber hinaus typische Fallstricke im aktienrechtlichen Anfechtungsverfahren auf. Vor einem Anfechtungsverfahren sollte sorgfältig geprüft werden, ob z.B. eine spätere HV oder Transaktionsveränderungen das Rechtsschutzbedürfnis beeinflussen.