13.05.2025
Notizen zur Rechtsprechung
Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:
BFH
18.07.2024
V B 68/23
BeckRS 2024, 18704
NV: Die Neubestellung eines Liquidators ist zur Bekanntgabe eines Bescheides nicht erforderlich, wenn eine gelöschte Kapitalgesellschaft durch einen Bevollmächtigten vertreten wird, der bereits vor Löschung bestellt wurde und dessen Bevollmächtigung die Entgegennahme von Entscheidungen der Finanzbehörde umfasst. Eine vor Löschung erteilte Vollmacht wirkt insoweit fort (vgl. Anwendungserlass zur Abgabenordnung zu § 122 Nr. 2.8.3.2.).
Im Jahr 1997 lehnte das Amtsgericht A die Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens über das Vermögen der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) mangels Masse ab. 2011 wurde die Klägerin wegen Vermögenslosigkeit im Handelsregister gelöscht, ein vom früheren Liquidator der Klägerin beantragter Nachtragsliquidator wurde nicht bestellt. Der frühere Liquidator hatte sich bereits 1996 für Steuerschulden der Klägerin verbürgt. Die für die Vollstreckung beim Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt) zuständige Behörde erwirkte im September 2000 beim Amtsgericht B hinsichtlich der Bürgschaft einen – rechtskräftigen – Vollstreckungsbescheid und ließ auf dieser Grundlage im Juli 2010 und im Juni 2011 Zwangssicherungshypotheken im Grundbuch auf Grundstücken des früheren Liquidators der Klägerin eintragen.
Im April 2020 beantragte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beim Finanzamt einen Abrechnungsbescheid über sämtliche Steuerschulden der Klägerin sowie die Herausgabe der Bürgschaftsurkunde. Dem Antrag war eine Vollmacht vom September 2011 beigefügt, die der frühere Liquidator der Klägerin als deren Geschäftsführer unterzeichnet hatte und die unter anderem auch die Entgegennahme von Zustellungen, Ladungen und sonstigen Mitteilungen umfasste. Das Finanzamt lehnte dies ab, da der Antrag nicht von der Klägerin als Steuerschuldnerin, sondern vom früheren Liquidator der Klägerin als Bürge gestellt worden sei. Die Vollmacht werde durch den Liquidationszweck beschränkt, die Liquidation der Klägerin sei indes wegen ihrer Löschung im Handelsregister und mangels Bestellung eines Nachtragsliquidators abgeschlossen. Es liege auch keine öffentlich-rechtliche Streitigkeit über eine Abgabenangelegenheit vor, da der frühere Liquidator als Bürge Einwendungen gegen seine Inanspruchnahme erhebe, für die der Zivilrechtsweg gegeben sei.
Die von der Klägerin erhobene Sprungklage wies das Finanzgericht als unzulässig ab. Es fehle an einem Rechtsschutzinteresse, da ein Abrechnungsbescheid gegenüber einer im Handelsregister gelöschten Gesellschaft, die mangels Nachtragsliquidation über keinen gesetzlichen Vertreter verfüge, nicht erlassen werden könne. Auch bestehe kein (umsatz-) steuerliches Rechtsverhältnis mehr zwischen Klägerin und Finanzamt. Die Klägerin sei deshalb nicht beteiligtenfähig. Die erteilte Prozessvollmacht betreffe nicht die Existenz eines Inhaltsadressaten. Die Klägerin habe danach kein schutzwürdiges Interesse an der vorliegenden Verpflichtungsklage. Das Interesse des Bürgen im zivilrechtlichen Verfahren führe zu keinem Rechtsschutzinteresse der Klägerin im finanzgerichtlichen Verfahren. Gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Finanzgericht legte die Klägerin Beschwerde ein.
Die Beschwerde der Klägerin hatte Erfolg. Das Finanzgericht habe die Klagebefugnis und das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin in fehlerhafter Weise verneint und die Klage dadurch verfahrensfehlerhaft durch Prozessurteil als unzulässig abgewiesen. Die Klagebefugnis ergebe sich bereits aus der Ablehnung der Erteilung des Abrechnungsbescheids durch Verwaltungsakt, der nach § 218 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) bei Streitigkeiten, die die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis betreffen, zu erteilen ist. Grund hierfür sei, dass das steuerrechtliche Verhältnis zwischen der Klägerin und dem Finanzamt jedenfalls aufgrund eines möglichen Anspruchs auf Herausgabe der Bürgschaftsurkunde noch nicht endgültig abgewickelt sei und deshalb über einen zwischen den Beteiligten bestehenden Streit über das Bestehen einer Steuerschuld, für die die Bürgschaft als Sicherheit diene, zu entscheiden sei. Das angestrebte Rechtsschutzziel der Klägerin, Klarheit über das Bestehen der für die Bürgschaft maßgebenden Steuerschuld zu erreichen, lasse sich auch nicht anders als durch den nach § 218 Abs. 2 AO für derartige Streitigkeiten vorgesehenen Abrechnungsbescheid auf einfachere oder schnellere Weise erreichen, weshalb in dieser Hinsicht auch ein Rechtsschutzbedürfnis bestehe.
Zudem habe das Finanzgericht nicht berücksichtigt, dass eine vor der Löschung einer Kapitalgesellschaft erfolgte und zur Entgegennahme von Behördenentscheidungen erteilte Vollmacht fortwirke, sodass eine Bekanntgabe eines Bescheids gegenüber der Klägerin auch ohne Neubestellung eines (Nachtrags-) Liquidators gegenüber dem früheren Liquidator möglich sei. Das Finanzgericht gehe nicht darauf ein, dass steuerrechtlich eine gelöschte GmbH als fortbestehend angesehen würde, solange sie noch steuerrechtliche Pflichten zu erfüllen habe oder gegen sie ergangene Steuerbescheide oder Haftungsbescheide angreife. Das Finanzgericht behaupte bloß floskelhaft, die Beteiligungsfähigkeit der Klägerin werde durch die Löschung nicht berührt, ohne sich weiter damit auseinanderzusetzen, dass eine erteilte Prozessvollmacht über den Zeitpunkt der Löschung der GmbH und des Verlustes der gesetzlichen Vertretungsmacht ihres Geschäftsführers fortdauere und dies (auch) für die Prozess- und Postulationsfähigkeit genüge.
Der Beschluss verdeutlicht eine praxisrelevante Erleichterung im Umgang mit gelöschten Kapitalgesellschaften: Eine erneute Bestellung eines Nachtragsliquidators ist nicht erforderlich, wenn ein Bevollmächtigter bereits vor der Löschung wirksam bestellt wurde und die Vollmacht ausdrücklich die Entgegennahme von Entscheidungen des Finanzamts umfasst.
Die Finanzbehörde kann in einem solchen Fall Verwaltungsakte weiterhin wirksam gegenüber der gelöschten Gesellschaft bekannt geben. Die Vollmacht bleibt trotz Löschung bestehen, solange sie nicht widerrufen wurde. Dies vermeidet unnötige Verfahrensverzögerungen und zusätzliche formale Hürden.
Für die Praxis bedeutet das: Eine vor der Löschung erteilte und inhaltlich hinreichende Vollmacht sichert auch nach Löschung die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft in steuerrechtlichen Verfahren. Berater sollten daher bei bevorstehenden Löschungen frühzeitig auf eine rechtssichere Bevollmächtigung achten.