OLG Nürnberg 12 U 1520/19
Der Geschäftsführer einer GmbH, deren wesentliche Aufgabe in der Führung der Geschäfte einer KG besteht, haftet (auch) dieser KG gegenüber gem. § 43 Abs. 2 GmbHG

19.08.2022

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Nürnberg
30.03.2022
12 U 1520/19
GmbHR 2022, 752

Leitsatz | OLG Nürnberg 12 U 1520/19

  1. Der Geschäftsführer einer GmbH, deren wesentliche Aufgabe in der Führung der Geschäfte einer Kommanditgesellschaft besteht, haftet (auch) dieser KG gegenüber gem. § 43 Abs. 2 GmbHG.
  2. Zum Umfang der Pflichten eines Geschäftsführers im Rahmen der internen Unternehmensorganisation (hier: Schaffung von Compliance-Strukturen zur gehörigen Überwachung von Mitarbeitern).
  3. Unterlässt der Geschäftsführer eine Unternehmensorganisation, die die Wahrung des Vier-Augen-Prinzips für schadensträchtige Tätigkeiten erfordert, so kann er für hierdurch entstehende Schäden haften.

Sachverhalt | OLG Nürnberg 12 U 1520/19

Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche der Klägerin gegen den Beklagten, der Geschäftsführer ihrer Komplementärin ist, wegen Verletzung von Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Schädigung der Klägerin durch einen untreuen Mitarbeiter.

Die Klägerin ist ein mittelständisches Unternehmen in der Form einer GmbH & Co. KG, deren Geschäftsgegenstand unter anderem der Vertrieb von Mineralölprodukten ist. Die Klägerin gab an Kunden von ihr mit einem größeren Fuhrpark Tankkarten aus, mit denen Fahrer der Kunden in den von der Gesellschaft betriebenen Tankstellen bargeldlos tanken konnten. Alle Tankvorgänge für alle Tankkarten des jeweiligen Kunden wurden diesem sodann monatlich in Rechnung gestellt, wobei für jeden Kartenkunden ein Kreditlimit festgelegt wurde, bis zu dem auf diese Weise auf Rechnung getankt werden konnte.

Bis zum Jahr 2006 wurden bei der Klägerin die Einhaltung der Kreditlimits für ausgegebene Tankkarten und die jeweiligen Tankkartenkunden nicht kontrolliert.    

Einem langjährigen Mitarbeiter der Klägerin, der für die Akquise und Betreuung von Kartenkunden zuständig war, fiel spätestens 2012 auf, dass einige Kartenkunden in eine wirtschaftliche Schieflage geraten waren und die eingeräumten Kreditlimits der Karten jeweils ausgeschöpft hatten. Indem der zuständige Mitarbeiter die Überziehungen duldete und die Tankkarten falsch zuordnete, versuchte er zu verschleiern, dass durch einige Kunden die Kreditlimits überzogen wurden, d.h. er ermöglichte wirtschaftlich angeschlagenen Kunden das Betanken der Fahrzeuge über das eingeräumte Kreditlimit hinaus.

Diese Manipulation führte dazu, dass durch die Buchhaltung der Klägerin monatliche Rechnungen an die (vermeintlichen) Kunden über die angeblich an sie gelieferten, tatsächlich aber durch Firmen getankten Kraftstoffmengen erstellt wurden. Um eine Entdeckung dieses Umstands zu verhindern, ließ sich der Mitarbeiter diese Rechnungen von der Buchhaltung aushändigen, wobei er erklärte, er werde selbst für den Versand an die Kunden sorgen. Diese Vorgehensweise war absolut unüblich und stellte eine Überschreitung der Kompetenzen des Mitarbeiters dar. In den Fällen, in denen diese Vorgehensweise auffiel, zog er die Bearbeitung der betreffenden Beschwerden an sich, um nicht entdeckt zu werden. Im Zuge einer durchgeführten Überprüfung fielen die Manipulationen des Mitarbeiters auf.

Mit Schreiben vom 04.05.2015 machte die Gesellschafterin der Klägerin für die Klägerin gegenüber dem Beklagten im Wege der actio pro socio Schadensersatzforderungen geltend. Der Beklagte sei schadensersatzpflichtig, da er es als Geschäftsführer der persönlich haftenden Gesellschafterin der Klägerin pflichtwidrig versäumt habe, den eingetretenen Schaden durch Verhinderung des betrügerischen Verhaltens des Mitarbeiters abzuwenden

Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Hiergegen legte der Beklagte Berufung ein.

Entscheidung | OLG Nürnberg 12 U 1520/19

Die Berufung des Beklagten ist zulässig, aber nur teilweise begründet.

Nach Ansicht des OLG Nürnberg ist der Geschäftsführer der Gesellschaft gem. § 43 Abs. 2 GmbHG zum Ersatz des entstandenen Schadens verpflichtet, da er die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes nicht eingehalten habe. Von dieser Sorgfalt sei auch umfasst, dass eine interne Organisationsstruktur geschaffen wird, die die Rechtmäßigkeit und Effizienz des Handelns der Gesellschaft gewährleistet. Hier läge somit eine Konkretisierung der Sorgfaltspflicht hin zu einer Unternehmensorganisationspflicht vor, d.h. der Geschäftsführer müsse jederzeit einen Überblick über die finanzielle und wirtschaftliche Lage der Gesellschaft haben. Um dieser Pflicht ausreichend nachkommen zu können, erfordere es eines Risikoüberwachungssystems sowie eines Compliance Management Systems. Letzteres ergebe sich aus der Legalitätspflicht. Ein Compliance Management System ist darauf ausgerichtet, Rechtsverstöße durch die Gesellschaft oder deren Mitarbeiter zu verhindern. Sobald sich Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten finden, müsse der Geschäftsführer sofort eingreifen.

Damit keine Rechtsverstöße o.ä. vorkommen, müsse der Geschäftsführer zudem präventiv regelmäßige Kontrollen durchführen, z.B. in Form von überraschenden Prüfungen. Soweit abzusehen ist, dass diese Kontrollen nicht mehr ausreichen, müsse darauf umgestellt werden, andere intensivere Aufsichtsmaßnahmen vorzunehmen. Hierbei ist als Grenze jedoch immer die objektive Zumutbarkeit zu beachten, d.h. insbesondere die Wahrung der Würde der Mitarbeiter und des Betriebsklimas, dem mit der Arbeitsteilung einhergehenden Vertrauensgrundsatzes sowie der Eigenverantwortlichkeit der Mitarbeiter.

Es stehe dem Geschäftsführer frei, Überwachungsaufgaben zu delegieren, wobei sich dadurch die effektive Überwachungspflicht des Geschäftsführers auf die ihm unmittelbar unterstellten Mitarbeiter und deren Führungs- und Überwachungsverhalten reduziere, mithin eine sogenannte Meta-Überwachung vorläge (vgl. § 130 Abs. 1 S. 2 OWiG). Demnach zähle zu Aufsichtsmaßnahmen zudem die Bestellung, sorgfältige Auswahl sowie die Überwachung der Aufsichtspersonen. Trotz der Delegierung verbleibe die Oberaufsicht mit ihren Kernpflichten wie z.B. der Organisations- und Systemverantwortung für die unternehmensinternen Delegationsprozesse jedoch immer bei dem Geschäftsführer.

Praxishinweis | OLG Nürnberg 12 U 1520/19

Das OLG Nürnberg hat eine Entscheidung gefällt, die für alle Unternehmen wegweisend ist und große Bedeutung hat.    

Mit eine der Kernpflichten eines Geschäftsführers ist es demnach, unternehmensinterne Organisationsstrukturen zu schaffen, die dazu dienen, Pflichtverletzungen zu vermeiden sowie das unternehmerische Handeln auf seine Rechtmäßigkeit hin zu kontrollieren. Durch ein Compliance Management System sowie die Delegierung von Überwachungspflichten, mit Ausnahme der Oberaufsicht, lassen sich die Haftungsrisiken für den Geschäftsleiter effektiv reduzieren.