OLG Brandenburg 7 U 107/22
Kein Rückzahlungsanspruch iHd eingelegten Beträge bei Verschmelzung - selbst bei Verstoß gegen § 23 UmwG

12.08.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Brandenburg
27.09.2023
7 U 107/22
NZG 2024, 310

Leitsatz | OLG Brandenburg 7 U 107/22

  1. Für die Umwandlung sieht Art. 14 Abs. 1 lit. a) Kapitalgesellschaften-Verschmelzungs-RL vor, dass das Aktiv- und Passivvermögen der übertragenden Gesellschaft auf die übernehmende Gesellschaft übergeht. Dies bewirkt, dass die übernehmende Gesellschaft hinsichtlich sämtlicher Verträge, die von der übertragenden Gesellschaft geschlossen wurden, als Partei an deren Stelle tritt. Damit ist das Recht, das vor der Verschmelzung auf diese Verträge anzuwenden war, auch nach der Verschmelzung anzuwenden.
  2. Die Gleichwertigkeit von Rechten iSv § 23 UmwG hängt von einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise ab. Maßgeblich ist die inhaltliche Ausgestaltung und Anpassung auf die durch die Verschmelzung herbeigeführte Situation. Soweit der Anspruch auf Gewährung gleichwertiger Rechte nicht erfüllt wird, kann der Inhaber des Sonderrechts die Rechte geltend machen, die sich ergäben, wenn ihm die Rechte, die ihm zustehen, gewährt worden wären. (red. Leitsätze, NZG 2024, 310)

Sachverhalt | OLG Brandenburg 7 U 107/22

Die Klägerin ist als atypische stille Gesellschafterin i.H.v. 3.000 € an der A-GmbH beteiligt. Sie erwirbt zudem Namens-Genussrecht an der B-AG i.H.v. 3.500 € und 15.000 €. Die B-AG wurde in die am selben Ort ansässige B1-GmbH umgewandelt. Im weiteren Verlauf wird der Klägerin mitgeteilt, die A-GmbH und die B1-GmbH seien auf die Beklagte, eine AG mit Sitz in Großbritannien, verschmolzen worden und die Klägerin sei nun Aktionärin der Beklagten mit sog. B-Shares nach englischem Recht. Die Beklagte gab den rechnerischen Wert der stillen Beteiligung mit 2.361,69 €, den der Genussrechte mit 1.805,31 € und 7.737,17 € an. Im August 2020 erklärt die Klägerin die außerordentliche fristlose Kündigung der stillen Beteiligung und der Genussrechte. Sie fordert (vergeblich) die Rückzahlung der eingezahlten 21.500 €, sowie Ersatz für die entstandenen Anwaltskosten.

Das LG Neuruppin hat der Klage im Hinblick auf die Rückzahlung iHv 21.500€ stattgegeben, im Übrigen abgewiesen. Gegen diese Entscheidung legen beide Parteien Berufung beim OLG Brandenburg ein.

Entscheidung | OLG Brandenburg 7 U 107/22

Die Berufung der Klägerin ist erfolglos. Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.

Zunächst hält sich das LG Neuruppin zurecht für zuständig. Gem. Art. 126, 127 Abs. 1 des EU-UK-Austrittsabkommens vom 24.01.2020, das bis zum 31.12.2020 - und damit im fraglichen Zeitraum - galt, finden europarechtliche Vorschriften Anwendung. Die Klägerin, die Verbraucherin ist, hatte somit gem. Art. 18 Abs. 1 EuGVVO das Recht, die Klage am Gericht ihres Wohnsitzes einzureichen.

Sowohl die Genussrechte, als auch die stille Beteiligung als Dauerschuldverhältnis eigener Art sind nicht gesellschaftsrechtlich zu qualifizieren, sodass die Zuständigkeit nach internationalem Recht für Gesellschaftsrecht gem. Art. 1 Abs. 2 lit. f) Rom-I-VO keine Anwendung findet.

Ein abweichender internationaler Gerichtsstand wurde von den Parteien nicht vereinbart.

Gem. dem (zum fraglichen Zeitpunkt noch anwendbaren) Art. 28 Abs. 1 EGBGB ist das Recht des Staates anzuwenden, zu dem die engste Verbindung besteht. In diesem Fall findet deutsches Recht Anwendung.

Auch nach der Verschmelzung ist der Sachverhalt an deutschem Recht zu messen. Im Grundsatz gilt für grenzüberschreitende Verschmelzungen zwar das Recht desjenigen Staates Anwendung, nach dessen Recht der übernehmende Rechtsträger gegründet wird (EuGH ECLI:EU:C:2012:440 = NZG 2012, 871 „Vale“). Dies gilt jedoch nicht für Finanzierungsvereinbarungen, die die zuziehende Gesellschaft vor der Verschmelzung geschlossen hat.

Nach dem Beklagtenvortrag handelt es sich vorliegend um eine Verschmelzung durch Aufnahme, die die Voraussetzungen des Art. 2 Abs. 2 lit. a) RL 2005/56/EG vom 26.10.2005 erfüllt. Gem. Art. 14 Abs. 1 lit. a) RL 2005/56/EG gehen sämtliche Aktiva und Passiva der übertragenden Gesellschaft auf die übernehmende Gesellschaft über. Die übernehmende Partei tritt also hinsichtlich sämtlicher Verträge der übertragenden Gesellschaft an deren Stelle. Damit ist das Recht, das vor der Verschmelzung für die Verträge galt, auch danach anzuwenden.

Jedoch stand der Klägerin zum fraglichen Zeitpunkt kein Kündigungsrecht nach § 314 BGB (mehr) zu. Sie erklärte die Kündigung erst etwa anderthalb Jahre nach Mitteilung an die Anleger, sodass die Frist nach § 314 Abs. 3 BGB nicht gewahrt wurde.

Auch ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung des § 23 UmwG ist nicht begründet. Inhabern von stimmlosen Sonderrechten sind nach der Verschmelzung gleichwertige Rechte in dem übernehmenden Rechtsträger zu gewähren. Ob die B-Shares gleichwertig mit den vorherigen Genussrechten und der stillen Beteiligung sind, muss wirtschaftlich betrachtet werden. Soweit der Anspruch auf Gewährung gleichwertiger Rechte nicht erfüllt wird, kann der Inhaber des Sonderrechts die Rechte geltend machen, die sich ergäben, wenn ihm die Rechte, die ihm zustehen, gewährt worden wären.

Im Ergebnis kommt es auf die etwaige Gleichwertigkeit allerdings nicht an. Selbst wenn keine Gleichwertigkeit besteht, hat die Klägerin keinen Anspruch auf Auszahlung der ursprünglichen Einlagesumme. Denn bei unterstellter Gleichwertigkeit hätte die Klägerin auch „nur“ kündigen und sich den im Zeitpunkt der Kündigung bestehenden Wert auszahlen lassen können.

Praxishinweis | OLG Brandenburg 7 U 107/22

Nach Art. 14 Abs. 1 lit. a) Kapitalgesellschaften-Verschmelzungs-RL geht das Aktiv- und Passivvermögen der übertragenden Gesellschaft auf die übernehmende Gesellschaft über.

Eine außerordentliche fristlose Kündigung von Sonderrechten nach § 314 BGB kann nicht mehr nach etwa anderthalb Jahren erklärt werden. Die Rechtsprechung billigt in solchen Fällen im Rahmen des § 314 Abs. 3 BGB wohl jedoch einen Zeitraum von etwa sechs Monaten für die Einholung weiterer Informationen und die Beantwortung komplexer rechtlicher Fragen.

Die Gleichwertigkeit von Rechten im Sinne des § 23 UmwG ist wirtschaftlich zu beurteilen. Selbst wenn keine Gleichwertigkeit vorliegt, so kann jedoch nicht Auszahlung des ursprünglichen Einlagebetrages gefordert werden.