BGH II ZR 85/23
Keine actio pro socio des Gesellschafters gegen Fremdgeschäftsführer einer GmbH

17.12.2025

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
05.12.2024
II ZR 85/23
NZG 2025, 169

Leitsatz | BGH II ZR 85/23

  1. In der zweigliedrigen Gesellschaft mit beschränkter Haftung erübrigt sich eine Beschlussfassung nach § 46 Nr. 8 Alt. 1 und 2 GmbHG, wenn nur die Stimmen des den Ersatzanspruch verfolgenden Gesellschafters wegen eines Stimmverbots des anderen Gesellschafters zählen. In diesem Fall ist die Klage des Gesellschafters grundsätzlich unzulässig, weil die Gesellschaft den Ersatzanspruch ohne Weiteres selbst im Klagewege verfolgen kann.
  2. Ist Gegenstand der Beschlussfassung in einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung die Einleitung eines Rechtsstreits gegenüber einem ihrer Geschäftsführer und die Bestellung eines Prozessvertreters zur Verfolgung dieser Ansprüche, kann der betroffene Geschäftsführer das Stimmrecht nicht für einen Gesellschafter ausüben.

Sachverhalt | BGH II ZR 85/23

Die Klägerin (Kl.) hält 49 % der Anteile an der U A GmbH, Mehrheitsgesellschafterin ist die F H GmbH mit 51 %. Geschäftsführer beider Gesellschaften sind die Beklagten (Bekl.). Die F H GmbH ist überwiegend im Besitz einer österreichischen GmbH, deren Gesellschafter die Bekl. und Familienangehörige sind.

Die Kl. wirft den Bekl. vor, dass die Gesellschaft am 30.9.2019 von der österreichischen F H GmbH zu einem überhöhten Preis Geschäftsanteile einer weiteren österreichischen U GmbH sowie Vertriebs- und Vermarktungsrechte erworben habe. Dieser Kauf wurde 2018 beschlossen, eine Einigung über den Kaufpreis 2019 kam jedoch nicht zustande.
Die Kl. forderte ab 9/2020 mehrfach eine Gesellschafterversammlung, um Ansprüche der Gesellschaft gegen Geschäftsführer und F H GmbH zu prüfen und ggf. geltend zu machen. Die Bekl. lehnten ab und führten ein Umlaufverfahren durch, das Ergebnis wurde nicht endgültig festgestellt.

Die Kl. verlangte vor dem LG Saarbrücken (LG) Zahlung von ca. 22,5 Mio. EUR an die Gesellschaft und Schadenersatz. Das LG stellte die Zulässigkeit der Klage fest. Das OLG Saarbrücken (OLG) wies die Klage als unzulässig ab. Die Revision der Kl. wurde vom Senat ebenfalls zurückgewiesen.

Entscheidung | BGH II ZR 85/23

Der BGH hat die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen. Die Klägerin ist nicht prozessführungsbefugt, weil ein Gesellschafter einer GmbH Ansprüche der Gesellschaft aus § 43 II GmbHG gegen deren Fremdgeschäftsführer nicht im eigenen Namen geltend machen kann. Die Klagebefugnis nach dem Prinzip der actio pro socio erstreckt sich grundsätzlich nicht auf Ansprüche gegen Geschäftsführer, die keine Gesellschafter der GmbH sind. Die Beklagten sind lediglich Geschäftsführer der U A GmbH, nicht aber Gesellschafter-Geschäftsführer. Auch durch ihre Funktion bei der Mehrheitsgesellschafterin (F H GmbH) ändert sich dies nicht, da eine erforderliche gesellschaftsrechtliche Sonderbeziehung zwischen Klägerin und Beklagten fehlt (BGHZ 232, 275 Rn. 9 ff.; NJW 1973, 2198).

Zudem ist aus Sicht des effektiven Rechtsschutzes eine actio pro socio nicht notwendig, da jeder Gesellschafter durch Anfechtungs- oder Beschlussfeststellungsklagen die Rechtsverfolgung erzwingen kann. Minderheitsgesellschafter können zudem Schadensersatz gegen Mehrheitsgesellschafter geltend machen, wenn diese Ansprüche der Gesellschaft nicht verfolgen (BGH ZIP 1982, 1203; NZG 2005, 216). Ein kollusives Zusammenwirken von Mehrheitsgesellschafterin und Beklagten ist nicht nachweisbar, auch weil die Mehrheitsgesellschafterin bei der Beschlussfassung über die Inanspruchnahme der Beklagten ihr Stimmrecht gemäß § 47 IV GmbHG verloren hatte.

Die Gesellschafterklage ist subsidiär gegenüber dem Vorrang der inneren Zuständigkeitsordnung der Gesellschaft. Sie greift nur, wenn die Gesellschaft selbst nicht zur Rechtsverfolgung in der Lage ist oder diese durch Machtverhältnisse vereitelt wird (BGH, ZIP 1982, 1203; BGHZ 237, 331 Rn. 18). Auch nach dem MoPeG 2021 ändert sich daran nichts (§ 715b BGB; BT-Drs. 19/27635). Im vorliegenden Fall ist die Gesellschaft aber in der Lage, gegen die Beklagten vorzugehen.

Ein Stimmverbot der Mehrheitsgesellschafterin bei der Beschlussfassung liegt zu Recht vor, da Geschäftsführer, gegen die die Ansprüche gerichtet sind, kein Stimmrecht ausüben dürfen (§ 47 IV GmbHG). Auch die Geschäftsführer der Mehrheitsgesellschafterin können ihr Stimmrecht nicht ausüben, da sie eigene Interessen verfolgen (BGHZ 97, 28; BGH NZG 2012, 625; BGHZ 108, 21). Die Mehrheitsgesellschafterin hat zudem keinen „unbefangenen“ Vertreter bestellt (MüKoGmbHG/Drescher, GmbHG § 47 Rn. 194). Der verbleibende stimmberechtigte Gesellschafter kann die Gesellschaft im Prozess vertreten, ohne dass es einer gesonderten Beschlussfassung bedarf (OLG München, WM 1982, 1061; NZG 2024, 831 Rn. 47).

Die Klage scheitert daher auch, weil die Klägerin und die Mehrheitsgesellschafterin über die Inanspruchnahme der Beklagten abgestimmt haben und somit ein wirksamer Beschluss nach § 46 Nr. 8 GmbHG vorliegt (BGHZ 232, 203 Rn. 29). Zweifel an der Feststellung des Abstimmungsergebnisses können sich die Beklagten nicht entgegenhalten, ohne gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) zu verstoßen (BGHZ 15, 324). Auch die Bestellung eines Prozessvertreters ist nicht durch ein Stimmverbot eingeschränkt (BGHZ 97, 28; BGHZ 116, 353).

Der BGH hatte in früheren Fällen Ausnahmen für Gesellschafterklagen bei besonderen Umständen zugelassen, etwa bei Vermögenslosigkeit der Gesellschaft oder Verweigerung der Rechtsverfolgung durch den Geschäftsführer (BGH, NZG 2005, 216; BGHZ 237, 331 Rn. 19; BGH, NZG 1998, 428; BGHZ 65, 15). Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor.

Praxishinweis | BGH II ZR 85/23

Der BGH bestätigt erneut die fehlende Passivlegitimation von Fremdgeschäftsführern im Rahmen der actio pro socio. Besonders in der zweigliedrigen GmbH ist eine Gesellschafterklage grundsätzlich ausgeschlossen (Reiss, in: NZG 2025, 169, beck-online). Auch eine Ausstrahlwirkung des § 715b Abs. 1 S. 2 BGB n.F. auf Nichtgesellschafter lehnt der BGH weiterhin ab (Ante, in: GWR 2025, 150, beck-online).

Aufgrund des Subsidiaritätsprinzips ist die Gesellschafterklage nur zulässig, wenn die Vertretung der Gesellschaft durch besondere Umstände erheblich erschwert ist (Reiss, in: NZG 2025, 169, beck-online). Eine unzulässige Klage führt nicht nur zum Verlust einer Sachentscheidung, sondern auch zu erheblichen Kostenrisiken über mehrere Instanzen hinweg (Schmidt, in: JuS 2025, 559, beck-online).

Aus anwaltlicher Sicht ist es daher zwingend, zunächst sämtliche Klageoptionen über die Gesellschaft selbst sorgfältig zu prüfen und auszuschöpfen (Knorr/Pörnbacher, in: IWRZ 2025, 135, beck-online). Welche Klageart im konkreten Fall sachgerecht ist – etwa eine Beschlussfeststellungs- oder Anfechtungsklage (Knorr/Pörnbacher, in: IWRZ 2025, 135, beck-online) oder die direkte Anspruchsdurchsetzung durch die Gesellschaft – hängt vom jeweiligen Gesellschaftsvertrag und den Umständen des Einzelfalls ab (Schulteis, in: RFamU 2025, 177, beck-online).

Dabei ist zu beachten, dass der verbleibende stimmberechtigte Gesellschafter grundsätzlich befugt ist, die Gesellschaft im Prozess zu vertreten und einen Prozessbevollmächtigten zu bestellen, ohne dass es hierfür eines förmlichen Beschlusses bedarf. Die Klägerin hätte daher auch ohne Rückgriff auf die actio pro socio im Namen der GmbH Klage erheben können (Leuering/Rubner, in: NJW-Spezial 2025, 111, beck-online).

Das Urteil schafft in der Praxis mehr Klarheit hinsichtlich der Klagestrategie, ohne dabei die actio pro socio in ihrem Kern zu entwerten (Knorr/Pörnbacher, in: IWRZ 2025, 135, beck-online), und trägt zur Rechtssicherheit bei (Liebscher, in: LMK 2025, 805018, beck-online). Gleichwohl fehlt weiterhin eine eindeutige Regelung, unter welchen Voraussetzungen eine actio pro socio gegen Fremdgeschäftsführer ausnahmsweise zulässig sein kann (Reiss, in: NZG 2025, 169, beck-online). Insbesondere in komplexen Einzelfällen bestehen daher weiterhin rechtliche Unsicherheiten, die eine abweichende Beurteilung aus Zumutbarkeitsgesichtspunkten nahelegen können (Liebscher, in: LMK 2025, 805018, beck-online).

Im Ergebnis ist Minderheitsgesellschaftern künftig zu empfehlen, von einer Klage nach den Grundsätzen der actio pro socio gegen Fremdgeschäftsführer grundsätzlich abzusehen (Schulteis, in: RFamU 2025, 177, beck-online).