BAG 6 AZR 228/22
Kündigung eines aufgrund Arbeitsvertrages tätigen Geschäftsführers und dessen Fortbestand bei Betriebsübergang

23.08.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BAG
20.07.2023
6 AZR 228/22
NZA 2023, 1457

Leitsatz | BAG 6 AZR 228/22

Liegt der rechtlichen Beziehung zwischen Organ und Gesellschaft ein Arbeitsverhältnis zugrunde, geht bei einem Betriebsübergang gemäß § 613a BGB zwar das Arbeitsverhältnis, nicht aber die Organstellung auf den Erwerber über.

Sachverhalt | BAG 6 AZR 228/22

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer vom Beklagten zu 1) erklärten betriebsbedingten Kündigung und den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten zu 2) aufgrund Betriebsübergangs.

Der Kläger war seit 2000 zunächst als Angestellter, seit 2013 als Geschäftsführer bei der A-GmbH beschäftigt. Ein Geschäftsführerdienstvertrag wurde weder schriftlich noch mündlich geschlossen. In 2017 wurde mit der A-Group, der alleinigen Gesellschafterin der A-GmbH, eine „Änderung zum Arbeitsvertrag“ vereinbart, in der neue Arbeitszeiten festgelegt wurden. Im Übrigen sollten keine Änderungen vorgenommen werden.

Über das Vermögen der A-GmbH wurde sodann Anfang 2020 das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Beklagte zu 1) wurde zum Insolvenzverwalter bestellt. Dieser kündigte das Arbeitsverhältnis des Klägers, sowie ein etwa bestehendes Geschäftsführeranstellungsverhältnis. Nach Zugang der Kündigung legte der Kläger sein Amt als Geschäftsführer unverzüglich nieder, erhob aber Klage auf Feststellung, dass sein Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung aufgelöst worden sei. Das Arbeitsverhältnis sei zudem mit dem Betriebsübergang der A-GmbH auf die Beklagte zu 2) übergegangen und bestünde mit ihr fort.

Erstinstanzlich hat das ArbG der Klage vollumfänglich stattgegeben. Die Berufung beim LAG führte zur vollumfänglichen Klageabweisung. Der Kläger begehrt mit seiner Revision die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidung | BAG 6 AZR 228/22

Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und - mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen - zur Zurückverweisung an das LAG.

Zunächst hat das LAG rechtsfehlerfrei erkannt, dass sich der Kläger gem. § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG nicht auf den gesetzlichen Kündigungsschutz gem. § 1 KSchG berufen kann. Der Kläger war bei Zugang der Kündigung noch Geschäftsführer. Seine Amtsniederlegung erfolgt - ihre Wirksamkeit unterstellt - erst nach Zugang der Kündigung.

Zwischen den Parteien bestand zudem kein Dienstverhältnis. Insbesondere wurde ein solches bei der Bestellung des Klägers zum Geschäftsführer weder schriftlich noch mündlich geschlossen. Für die konkludente Annahme eines Dienstvertrages bedarf es über die Bestellung hinaus weiterer Anhaltspunkte. Diese können nicht festgestellt werden. Insbesondere haben die Parteien ihr Verhältnis selbst als „Arbeitsvertrag“ bezeichnet (s. Vereinbarung „Änderung zum Arbeitsvertrag“ mit A-Group). Dem steht auch nicht entgegen, dass Geschäftsführer regelmäßig auf Grundlage eines Dienstvertrages tätig werden. Aus der Vertragsfreiheit der Parteien folgt, dass die Vereinbarung eines Arbeitsverhältnisses auch eine entsprechende Einordnung als solches erfordert. Die Tätigkeit des Klägers erfolgte damit ausschließlich auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages.

§ 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG findet - entgegen der Auffassung des Klägers - auch (treffender: gerade dann) Anwendung, wenn das Anstellungsverhältnis materiell-rechtlich ein Arbeitsverhältnis ist. Die negative Fiktion des § 14 Abs 1 Nr. 1 KSchG hat nämlich für Geschäftsführer, die aufgrund eines Dienstvertrages beschäftigt sind, ohnehin nur klarstellende Wirkung. Denn der Schutz vor sozial ungerechtfertigten Kündigungen gem. § 1 Abs. 1 KSchG gilt nur für Arbeitnehmer. Eine echte Wirkung entfaltet § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG daher nur, wenn der Geschäftsführer aufgrund eines Arbeitsverhältnisses beschäftigt ist. Überdies haben die Parteien § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG auch nicht abbedungen.

Jedoch unterfällt der Kläger dem Anwendungsbereich des § 613a BGB. § 613a Abs. 4 BGB kann nicht teleologisch dahingehend reduziert werden, dass er auf Organmitglieder juristischer Personen dann nicht anwendbar ist, wenn der Organstellung ein Arbeitsvertrag zugrunde liegt. § 613a BGB, der in seiner jetzigen Fassung auf Unionsrecht beruht und deshalb unionskonform auszulegen ist, findet nach Abs. 1 S. 1 auf im Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehende Arbeitsverhältnisse und damit auf Arbeitnehmer Anwendung. Gemäß Art. 2 Abs. 1 lit. d) und Abs. 2 UAbs. 1 RL 2001/23/EG gilt dabei der nationale Arbeitnehmerbegriff. Der Kläger ist - wie bereits erörtert - nach nationalem Recht als Arbeitsnehmer zu qualifizieren. Somit ist er auch im Sinne von § 613a Abs. 4 BGB Arbeitnehmer. Die für eine teleologische Reduktion erforderliche planwidrige Regelungslücke besteht nicht. Die Trennung zwischen An- und Bestellung führt überdies nicht zu zweckwidrigen Ergebnissen. Zwar geht das Arbeitsverhältnis, nicht aber die Bestellung bei Betriebsübergang über. Entsprechende Parallelen bestehen aber auch zB im Umwandlungsrecht. Dem Erwerber wird so auch kein mit besonderen Rechten ausgestatteter Arbeitnehmer aufgezwungen.

Das LAG hat sich nun mit den Voraussetzungen des § 613a BGB zu befassen haben. Es muss insbesondere prüfen, ob die Kündigung des Klägers wegen Verstoßes gegen das Kündigungsverbot gem. § 613a Abs. 4 BGB unwirksam ist.

Praxishinweis | BAG 6 AZR 228/22

Ist ein Geschäftsführer auf Basis eines Arbeitsverhältnisses beschäftigt, so geht dieses im Wege eines Betriebsübergangs auf den Erwerber über. Damit gehen jedoch keine besonderen Befugnisse des Arbeitnehmers, insb. kein Anspruch auf Organbestellung beim Erwerber, einher.