17.12.2024
Notizen zur Rechtsprechung
Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:
LG München I
23.05.2024
5 HK O 7237/23
BeckRS 2024, 24359
Schadensersatzpflicht eines Aufsichtsratsmitglieds nur bei kausaler Pflichtverletzung [ PDF ]
Ein Anspruch aus § 116 S. 1 AktG, § 93 Abs. 2 S. 1 AktG liegt nicht vor, wenn der Beklagte zwar seine Pflichten als Aufsichtsrat verletzt hat, jedoch kein kausaler Schaden nachgewiesen werden konnte. Dies gilt insbesondere, wenn die wirtschaftliche Lage der AG bereits kritisch war und die Insolvenz nicht auf das Verhalten des beklagten Aufsichtsrats zurückzuführen ist.
Der Beklagte war seit 2016 Aufsichtsratsmitglied einer börsennotierten Aktiengesellschaft (nachfolgend: Gesellschaft). Ab Mitte 2017 war alleiniges Vorstandsmitglied der Gesellschaft Dr. P. Am 30.05.2018 teilte die Gesellschaft per Ad hoc-Mitteilung an den Kapitalmärkten mit, dass Dr. P aufgrund einer lebensbedrohlichen Herzmuskelentzündung sein Amt mit Wirkung zum 06.06.2018 niederlegen werde. Wenige Tage darauf, am 04.06.2018, wurde gegenüber der Gesellschaft durch eine Tochtergesellschaft - die St. GmbH - eine Schadensersatzforderung wegen fehlerhafter Beratungsleistungen über 13,5 Mio. € geltend gemacht. Zudem sah sich die Gesellschaft Honorarforderungen über ca. 750.000 € durch die 4C G2 AG ausgesetzt. Noch am Folgetag, dem 05.6.2018, traf sich der Beklagte – ohne vorher die Zustimmung des alleinigen Vorstandsmitglieds Dr. P einzuholen – mit Rechtsanwälten der 4C G2 AG und schilderte diesen die desolate finanzielle Situation der Gesellschaft, die bevorstehende Amtsniederlegung des Vorstandes sowie die noch nicht gelöste Nachfolgefrage. Zudem erwähnte er, dass die Insolvenz der Gesellschaft bevorstehe. Zwei Tage später, am 07.06.2018, stellte die 4C G2 AG Fremdinsolvenzantrag gegen die Gesellschaft, für den ihr allerdings bereits am 05.06.2018 um 00.08 Uhr – also noch vor dem Gespräch mit dem Beklagten – ein Entwurf durch eine von ihr beauftragte Rechtsanwaltskanzlei zugesendet worden war.
Bereits seit Frühjahr 2018 stand die Gesellschaft in Verhandlungen über eine darlehensfinanzierte Übernahme eines Biodiesel-Unternehmens, aufgrund derer Forderungen gegen Ölkonzerne man sich kurzfristige Liquiditätserlöse versprochen hatte. Hinsichtlich der Finanzierung kam es zu Gesprächen mit einer Bank, die letztlich jedoch nicht über das Verhandlungsstadium hinausgingen. Infolge der Insolvenz ist die Übernahme letztlich ausgeblieben. Die im Rahmen von Sanierungsmaßnahmen in eine GmbH formgewechselte Gesellschaft begehrt deswegen vom Beklagten Schadensersatz von über 1 Mio. €. Sie argumentiert, aufgrund der Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung am 19.7.2018 – die auf dem Insolvenzantrag vom 07.06.2018 und damit letztlich auf den Indiskretionen des Klägers beruhe - seien sanierende Maßnahmen nicht mehr möglich gewesen, insbesondere sei die Übernahme des Biodiesel-Unternehmens gescheitert.
Das Landgericht München I wies die Klage ab.
Die Kammer sah die Voraussetzungen für einen Anspruch auf nach §§ 116 S. 1, 93 Abs. 2 AktG nicht gegeben.
Nach diesen Vorschriften sind Aufsichtsratsmitglieder, die ihre Pflichten verletzten, gegenüber der Gesellschaft zum Ersatz des daraus bestehenden Schadens verpflichtet. Das Gericht führte insoweit aus, dass eine Pflichtverletzung hier zwar gegeben sei, da der Beklagte seine Amtspflichten als Aufsichtsratsmitglied durch die Durchführung der Vergleichsverhandlungen vom 05.06.2018 verletzt habe. Vergleichsverhandlungen liegen allein in der Zuständigkeit des Vorstands, der die Kompetenz zur Vertretung der Gesellschaft nach außen innehat. Vorstand war allerdings zum Zeitpunkt der Vergleichsverhandlungen immer noch Dr. P, der sein Amt erst zum Ablauf des 06.06.2018, also des Folgetags, niedergelegt hatte. Der Beklagte hätte also jedenfalls die Zustimmung des Dr. P einholen müssen, was er hier unterlassen hatte. Nach Auffassung des Gerichts folgt auch nichts anderes aus dem Umstand, dass Aufsichtsratsmitglieder im Fall der Führungslosigkeit der Aktiengesellschaft gem. § 15a Abs. 3 InsO zur Stellung des Insolvenzantrags berechtigt sind. Hieraus ergebe sich zum einen keine Kompetenz zur Durchführung von Vergleichsverhandlungen, zum anderen habe Führungslosigkeit nicht vorgelegen. Das alleinige Vorstandsmitglied Dr. P sei zwar schwer gesundheitlich angeschlagen, aber dennoch zur Wahrnehmung von Geschäftsführungsaufgaben in der Lage gewesen, wie eine von ihm am 07.07.2018 versendete E-Mail zeige. Ob daneben auch eine Verletzung der Verschwiegenheitspflicht aus § 116 Abs. 2 AktG vorlag, ließ die Kammer im Ergebnis offen. Zumindest im Hinblick auf die Erkrankung des Dr. P dürfte eine Pflichtverletzung insoweit allerdings ausscheiden, da dieser Umstand aufgrund der Ad-hoc Mitteilung vom 30.05.2018 bereits zuvor bekannt geworden war.
Ein Schadensersatzanspruch scheidet nach Auffassung des Gerichts letztlich aus, weil der Schadenersatz nicht kausal auf der Pflichtverletzung des Beklagten beruhe. Die angestrebten Investments der Gesellschaft zur Liquiditätsherstellung, etwa der Kauf des Biodiesel-Unternehmens seien noch nicht abschlussreif gewesen. Angesichts der schlechten Liquiditätslage der Gesellschaft - insbesondere der gegen sie bestehenden Schadensersatzforderungen - sieht die Kammer keine Anhaltspunkte dafür, dass ohne die Vergleichsverhandlungen die angestrebte Übernahme zustande gekommen und die Insolvenz dadurch letztlich abgewendet worden wäre. Zudem zeigt der Umstand, dass die 4 G2 AG bereits kurz vor den Vergleichsverhandlungen einen Entwurf für den Fremdinsolvenzantrag erstellen lassen hat, dass die Äußerungen des Beklagten letztlich auf die Entscheidung der 4 G2 AG keinen Einfluss gehabt haben.
Die Entscheidung zeigt, dass auch bei äußerst notleidenden Gesellschaften die Kompetenzordnung seitens der Organe zwingend zu beachten ist. Auch wenn hier durchaus Anlass für den Beklagten bestand, angesichts des gesundheitlichen Zustands des alleinigen Vorstandsmitglieds zumindest von einer „faktischen“ Führungslosigkeit auszugehen, ist es ihm von Gesetzes wegen nicht gestattet, die Zügel selbst in die Hand zu nehmen. In derartigen Fällen ist es dem Aufsichtsrat zu empfehlen, bereits frühzeitig die Nachfolge im Vorstand zu regeln, um ein Vakuum bei der Führung der Geschäfte der Gesellschaft zu vermeiden. Sollten im Einzelfall tatsächlich die Voraussetzungen für eine Führungslosigkeit vorliegen, ist es dringend erforderlich, die ausschließlich die gesetzlich vorgesehenen Mechanismen auszuschöpfen, namentlich die Bestellung eines Notvorstandes (§ 85 AktG) durch das Amtsgericht oder die Bestellung eines Mitglieds des Aufsichtsrats zum Stellvertreter des fehlenden Vorstandsmitglieds (§ 105 Abs. 2 AktG). Im Übrigen sollten sich Aufsichtsratsmitglieder im eigenen Interesse stets der Grenzen ihrer Befugnisse bewusst sein, da ansonsten – insbesondere im Krisenfall – erhebliche Haftungsrisiken drohen können. Auf einen derart glimpflichen Ausgang wie bei dem hier beklagten Aufsichtsratsmitglied kann (und sollte) im Regelfall nicht vertraut werden!